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Wie eine Bleiplatte auf der CDU

 
     
 
Helmut Kohl, klagte kürzlich ein CDU-Funktionär, sei völlig beratungsresistent – wie schon in den letzten Jahren seiner Kanzlerschaft. Der ehemalige Bonner Regent hat seine Partei durch ein ausgeklügeltes und illegales Spendensammelsystem an den Rand des Abgrunds gebracht. Statt seinem Nachfolger jetzt durch Aufdeckung aller Tatsachen zu helfen, igelt sich der ehemalige Kanzler ein. Wütend läßt er über die "BILD-Zeitung" verkünden, er denke nicht daran, die Namen der anonymen Spender zu nennen.

Dadurch kann die Affäre immer größere Kreise ziehen. Schon gerät Schäuble in Erklärungsnot
, wieso er eine Million Mark von einem Konto der Bundestagsfraktion abholen und in bar an die Partei übergeben konnte. Auch was Kohl mit dieser Million gemacht hat, konnte noch nicht aufgeklärt werden. Doch die Zeit nach Kohl ist in der CDU immer noch nicht angebrochen. Alte Freunde des Ex-Kanzlers, der frühere Sozialminister Norbert Blüm an der Spitze, verteidigen ihren ehemaligen Chef, als ob er noch im Amte wäre und als ob er nicht des Verstoßes gegen das Parteiengesetz, sondern des falschen Parkens überführt worden wäre. Auch jüngere CDU-Funktionäre, etwa der sächsische CDU-Abgeordnete Arnold Vaatz und die frühere Familienministerin Claudia Nolte, beide zeitlebens von Kohl gefördert, zeigen Dankbarkeit.

Auch wenn Kohls Position wankt, kann sich Schäuble einer Mehrheit gegen Kohl im Parteipräsidium und Vorstand noch nicht sicher sein. Besonders in den Kreisvorständen lösen Berichte, die neue CDU-Führung wolle sich von Kohl abnabeln, Besorgnis und Empörung aus. Draußen im Lande ist die Dimension des Falles Kohl noch nicht so offenkundig geworden.

In der neuen CDU-Führung herrscht blankes Entsetzen besonders über Kohls völlig schiefgelaufenes ZDF-Interview. Vor der Fernsehöffentlichkeit gab er unumwunden zu, zwischen 1993 und 1998 etwa zwei Millionen Mark (tatsächlich waren es wohl drei) von Spendern in bar eingesammelt und über ein kompliziertes Kontensystem in den regulären Geldkreislauf der CDU eingeschleust zu haben, ein klarer Verstoß gegen das Parteiengesetz.

Schäuble muß jetzt fürchten, daß die CDU im kommenden Jahr erheblich weniger staatliche Mittel bekommt. Denn wenn der maßgebliche Rechenschaftsbericht von 1998 nicht korrekt ist, was Kohl selbst zugegeben hat, muß der zuständige Bundestagspräsident Wolfgang Thierse (SPD) einen Teil der Gelder sperren oder ganz streichen. Bis zu 40 Millionen Mark droht die CDU für das Jahr 2000 zu verlieren. Parteigeschäftsstellen müßten dann geschlossen und Mitarbeiter entlassen werden. Eine böse Millennium-Überraschung.

Flugs schickte Schäuble seine Generalsekretärin Angela Merkel vor, die in der "FAZ" Kritik an Kohl übte wie noch nie zuvor. Die Partei müsse auch ohne Kohl laufen lernen, schrieb die Generalsekretärin, die dem Altkanzler nicht nur einen klaren Verstoß gegen das Recht vorwarf, sondern auch noch indirekt zum Rückzug von allen Ämtern aufforderte.

Gerade Frau Merkel nimmt Kohl seine ständigen Einmischungen gegen die Parteireform übel. Seit einem Jahr tobt ein stiller Kleinkrieg zwischen den beiden. Als Kohl auch noch ein Vernehmungsprotokoll der Augsburger Staatsanwaltschaft mit Aussagen des CDU-Steuerberaters Weyrauch früher in Händen hielt als die neue Führung, platzte Schäuble der Kragen. Er ließ den Abteilungsleiter im Adenauerhaus, Hans Terlinden, der das Protokoll an Kohl, aber nicht an den eigenen Vorstand gegeben hatte, fristlos feuern. Frau Merkel durfte schließlich ihren "FAZ"-Artikel gegen Kohl schreiben, der, auch wenn das in der CDU bestritten wird, sehr wohl von Schäuble autorisiert war.

Die SPD geht mit ihren Affären geschickter um. Der niedersächsische Ministerpräsident Glogowski, der sich gerne von Firmen aushalten ließ, verschwand in der Versenkung. In Nordrhein-Westfalen steht der West-LB-Flieger und Finanzminister Heinz Schleußer auf der Kippe. Bundespräsident Rau, auch unter Verdacht, Freiflüge angenommen zu haben, dürfte die Affäre überstehen: Ein Staatsoberhaupt wird in Deutschland nur ungern angegriffen.

Schäuble versucht in der CDU zu retten, was zu retten ist. Die Vorstandswahlen will er um ein halbes Jahr auf April vorziehen, um wenigstens einige von Kohls Freunden aus der Führung herauszuschießen. Doch solange Kohl selbst wie eine Bleiplatte über seiner Partei liegt, kommt sie nicht wieder auf die Beine. Hans-Georg Münster

 
     
     
 
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