A B C D E F G H I J K L M N O P Q R S T U V W X Y Z
     
 
     
 

Wiederentdeckung der Künstlerkolonie

 
     
 
Eine bizarre Felsformation leuchtet im rötlichen Licht der Morgensonne. Auf ihre Gipfel symbolisiert ein golden glänzendes Kruzifix Gott und das Ewige. Die befristete un begrenzte Existenz des menschlichen Betrachters auf der Erde wird unterstrichen durch de Ausblick in eine unendliche Berglandschaft. – Der Romantiker Caspar David Friedric hat dieses berühmte Bild wie so viele andere im Riesengebirge gemalt, das er von Dresde aus oft bereiste und erwanderte. Ursprünglich als Altarbild gedacht, verdichtet sich in dem Gemälde "Kreuz im Gebirge" ("Teschener Altar") die naturverbundene Religiösität des Künstlers.

Auch die Romantiker Ludwig Richter, Moritz von Schwind und Carl Gustav Carus wurden vo dem erhabenen, sich mit der Schneekoppe zu alpinen Dimensionen steigernden schlesische Gebirge magisch angezogen. Viel weniger bekannt ist die um die Jahrhundertwende in Riesengebirge geborene künstlerische Tradition, die das seit 1366 als Standort eine Glashütte dokumentierte Schreiberhau ("Schribirshau") in die lange Reih deutscher Künstlerkolonie
n einreiht: Worpswede, Kronberg im Taunus, Kleinsassen in de Rhön, Dachau, Kampen auf Sylt, Nidden auf der Kurischen Nehrung usw.

Die in Berlin ansässige "Gesellschaft für interregionalen Kulturaustausch e V." will nun mit einer Ausstellung unter dem Titel "Die impo-sant Landschaft" an dieses weithin vergessene Wirken von über hundert Künstlern de verschiedensten Bereiche erinnern. Erste Station der Gemälde und Grafiken, Skulpturen kunsthandwerklichen Arbeiten, Fotografien, Handschriften und Tondokumente aus Schreiberha und Umgebung sowie der 120 erläuternden Texttafeln ist ab dem 22. Mai das maßgeblich a der Vorbereitung beteiligte Bezirksmuseum im niederschlesischen Hirschberg. Ab 4 September wird die Ausstellung dann im Historischen Museum in Breslau, ab 29. Oktober in Kunstamt Kreuzberg/Bethanien in Berlin und ab Mitte Januar 2000 im Oberschlesische Landesmuseum in Ratingen gezeigt.

Finanziert und unterstützt wird das Projekt u. a. vom Bundesinnenministerium, de Stiftung für deutsch-polnische Zusammenarbeit in Warschau, der Robert-Bosch-Stiftung, de Schlesischen Museum in Görlitz, dem historischen Museum der Stadt Breslau, de "Euroregion Neisse" sowie nicht zuletzt der Heimatkreisgemeinschaft Schreiberha mit Sitz in Bad Harzburg.

Zu jenen Malern, die in den ersten Jahrzehnten unseres Jahrhunderts vorübergehend in oder bei Schreiberhau lebten und arbeiteten, gehörte vor allem der aus Liebau in Riesengebirge stammende Expressionist Otto Mueller. Wegen der Herkunft seiner Mutter un seinen Lieblingsmotiven taucht dieser in der Literatur auch als "Zigeuner-Mueller" auf. Zusammen mit dem Architekten Carl Gotthard Langhans au Landeshut, dem Breslauer Adolf Menzel und dessen Brieger Malerkollegen Oskar Moll gil sein Werk als maßgeblicher Beitrag der Schlesier zur Bildenden Kunst in Deutschland.

Die Wurzeln der "Künstlerkolonie" Schreiberhau sind in der Ansiedlung de Brüder Gerhart und Carl Hauptmann im Jahre 1891 zu suchen. Insbesondere der Ruf de Dichters der "Weber" und des "Fuhrmann Henschel" lockte bald Künstle aus allen Teilen des Deutschen Reiches in das Hirschberger Tal. Aber auch Carl Hauptman war um die Jahrhundertwende ein überregional bekannter Novellist und Lyriker. Sei wichtigstes Werk neben dem "Rübezahlbuch", der Roman "Einhart de Lächler", erzählt übrigens das Leben des besagten Expressionisten Otto Mueller Das von den Brüdern Anfang der 1890er Jahre in Mittelschreiberhau bewohnte Domizil (sei 1994 dient das "Dom Hauptmann-ów" als Museum und als deutsch-polnisch Begegnungsstätte) sowie das 1900 von Gerhart Hauptmann in Agnetendorf errichtet "Haus Wiesenstein" wurden zu fast legendären Treffpunkten. Auch die durch de Wagner-Verehrer Hermann Hendrich sowie den Schriftsteller Bruno Wille initiierte und de nordischen Götterwelt gewidmete "Sagenhalle" in Schreiberhau – ei Veranstaltungs- und Ausstellungszentrum – diente nach 1901 als Kristallisationsker eines sehr lebendigen Kulturlebens.

Als wichtige Vertreter der im 20. Jahrhundert im Riesengebirge wirkenden Künstler sin die der Schule des frühen Realismus verbundenen Maler Carl Ernst Morgenstern und Adol Dreßler, der Schriftsteller Wilhelm Bölsche, die Komponistin Anna Teichmüller, die Kunsthandwerkerin Wanda Biberowicz und in einem weiteren Zusammenhang der Soziologe Werne Sombart zu nennen. 1922 gründeten Franz von Jackowski, Paul Aust und Erich Fuchs, de zeichnende Chronist der schlesischen Handwerks- und Bauernkultur in Oberschreiberhau die Künstlervereinigung "St. Lukas", in der sich insgesamt 14 ältere und jünger Maler bzw. zwei Bildhauer zusammentaten. Ehrenmitglieder wurden Gerhart Hauptmann un Hermann Stehr. Ein Generationenkonflikt zwischen den älteren, einer realistische Landschaftsmalerei verpflichteten Künstlern und den mehr oder weniger expressionistisc beeinflußten und teils vom Ungegenständlichen angezogenen Jüngeren, wie er etwa in Worpswede die Gemüter erregte, konnte dank dieser Vereinigung vermieden werden.

Die meisten der längst nicht nur aus Schlesien stammenden Künstler waren aus de renommierten Breslauer Kunstakademie hervorgegangen. In stilistischer Hinsicht bewegte sie sich im Spannungsfeld zwischen Neuromantik, Jugendstil und Expressionismus Wichtigestes Bindeglied war das allen gemeinsame Erlebnis der Riesengebirgslandschaft un ihrer Menschen. Mit dem Ende des Zweiten Weltkrieges und der Vertreibung der einheimische deutschen Bevölkerung wurde auch die Schreiberhauer Künstlergemeinschaft in all Himmelsrichtungen zerstreut. Mit ihrem Weggang verlor, wie es Günther Grundmann in de Buch "Deutsche Künstlerkolonien und Künstlerorte" formuliert hat, der geniu loci seine Verkünder.

Erst in jüngster Zeit ließen sich in der Umgebung der zu einem beliebte Touristenzentrum gewordenen Stadtgemeinde mit dem polnischen Namen Sklarska Poreb polnische Maler, Schriftsteller, Bildhauer und Fotografen nieder, deren Werke in de Ausstellung ebenfalls berücksichtigt sind. Zu den bekanntesten gehören der Dichte Tadeusz Rozewicz, Träger des Kulturpreises Schlesien, der Grafiker Krysztof Figielsk sowie der Bildhauer Zbigniew Fraczkiewicz. Von ihnen gingen wichtige Impulse für die Wiederentdeckung der früheren künstlerischen Bedeutung Schreiberhaus aus.

Hier bestätigt sich die Beobachtung, daß das ostdeutsche Kulturerbe dank de Interesses vieler polnischer und russischer Intellektueller mittlerweile zu einem Them geworden ist, dem sich auch die breitere Öffentlichkeit in der Bundesrepublik imme weniger entziehen kann.

Literaturhinweise:

– Zur Ausstellung "Die imposante Landschaft – Künstler un Künstlerkolonien im Riesengebirge des 20. Jahrhunderts" erscheint ein zweisprachige Katalog mit 400 Seiten, ebensovielen Abbildungen und Beiträgen von 32 deutschen un polnischen Autoren (Bezug: Gesellschaft für interregionalen Kulturaustausch e. V. Adalbertstr. 95 A, 10999 Berlin, Tel./Fax: 030/61609897 oder Tel.: 25886234)

– Georg Wichmann 1876-1944. Der Maler des Riesengebirges und sein Kreis, 22 Seiten, zahlreiche Abbildungen, Bergstadtverlag Wilhelm Gottlieb Korn, Würzbur
 
     
     
 
Diese Seite als Bookmark speichern:
 
     
     
     

     
 

Weitere empfehlenswerte Seiten:

Star im Heimatfilm

Das Böse austreiben

Ein eigenes Buch - Traum oder Wirklichkeit?

 
 
Erhalten:
wiederentdeckung
riesengebirge
 

 

   
 
 
1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11
WISSEN48 | ÜBERBLICK | THEMEN | DAS PROJEKT | SUCHE | RECHTLICHE HINWEISE | IMPRESSUM
Copyright © 2010 All rights reserved. Wissensarchiv