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Wien: Doppel an der Donau

 
     
 
Ein wesentliches Anliegen dieser Zeitung ist es, an die einst so starke Ausstrahlung der deutschen Kultur nach Osten zu erinnern. Deren Folgen sind bis heute in allen östlichen Nachbargebieten des zusammengestauchten deutschen Sprachraums erkennbar und wirken in die Zukunft fort.

Als Glied der facettenreichen deutschen Gesamtkultur hat bei dieser Beeinflussung auch Österreich eine große Rolle gespielt. Insbesondere am Beispiel Wiens läßt sich zugleich erkennen, daß es ebenso Prägungen in umgekehrter Richtung gegeben hat. Der mitteleuropäische Mikrokosmos Wiens spiegelte die gesamte Donaumonarchie. Vor allem ungarische und tschechisch
e Einflüsse fanden dort ihren Niederschlag.

Eine Ausstellung in der österreichischen Hauptstadt wirft seit Februar ihr Schlaglicht auf den Austausch und die Wechselwirkungen zwischen den beiden k. u. k.-Metropolen Wien und Budapest.

Die vom Wiener Kunsthistorischen Museum in Zusammenarbeit mit dem örtlichen Collegium Hungaricum im Palais Harrach veranstaltete Ausstellung trägt den verheißungsvollen Titel "Zeit des Aufbruchs - Budapest und Wien zwischen Historismus und Avantgarde" und kann noch bis zum 22. April besichtigt werden.

Anhand der Gegenüberstellung von 600 zeitgleichen ungarischen und österreichischen Kunstwerken dokumentiert die Schau die kulturellen Beziehungen im späten 19. und im 20. Jahrhundert. Als zeitlicher Anfangspunkt taucht die Wiener Weltausstellung von 1873 auf bzw. die Bildung der ungarischen Hauptstadt durch die Vereinigung der Kleinstädte Ofen/Buda und Pest im selben Jahr.

Besondere Beachtung findet auch das Jahr 1932, als mit dem "Abkommen von Venedig" festgelegt wurde, einen Großteil der bis dahin in Wien aufbewahrten Kunstgegenstände mit Ungarn-Bezug dem ungarischen Staat zuzuerkennen.

Die Exponate der um 1900 führenden und zugleich miteinander kämpfenden Richtungen des Historismus und des Jugendstils werden - samt ihren Gegensätzen und Ähnlichkeiten - nebeneinander gezeigt und veranschaulichen zweierlei: vor allem die Bedeutung Wiens als eines der damals neben Paris, Berlin und München bedeutendsten Kulturzentren Europas, auf dessen Vorbild sich in Ungarn eine Vielzahl von Schülern beriefen; außerdem wird klar, daß die Budapester Schüler nicht nur viel gelernt haben, sondern auch zu ihren Kollegen in der kaiserlichen Hauptstadt in Konkurrenz getreten sind und ihrerseits Einfluß ausübten.

Als Fazit entsteht der Eindruck eines kulturellen Doppelcharakters, wie er bisher einer breiteren Öffentlichkeit nur in Gestalt der Operetten bewußt ist.

Als Schwerpunkte der Exposition mit vielen Werken aus dem Ungarischen Nationalmuseum, der Ungarischen Nationalgalerie, dem Historischen Museum Budapest, dem Ethnographischen Museum und dem Museum für Kunstgewerbe sind die Bereiche Architektur, bildende Kunst und Kunstgewerbe auszumachen.

Ansichtskarten, Fotos und Pläne zeigen dem Betrachter, wie der Historismus in Wien und Budapest ein architektonisches "Gesamtkunstwerk" mit Gebäuden, Wandgemälden und Skulpturen anstrebte. In diese Zeit fielen der Ausbau der Hofburg und des auf fast die doppelte Größe erweiterten Königlichen Palastes in Budapest. Die Ausstellung bietet Vergleiche zwischen der Ringstraßenarchitektur und der repräsentativen Andrássy út sowie der Nagykörút und arbeitet Ähnlichkeiten bei Opernhäusern, Museen, Hochschulen, Kirchen oder Denkmälern heraus.

Deutlich zeigen sich die Verbindungen zwischen der Kunstrichtung der "Wiener Sezession" und derem ungarischen Gegenstück in Gestalt der Künstlerkolonie von Gödölló. Maler wie Klimt, Kokoschka oder Schiele werden János Vaszary, József Ripl Rónai, Tidavar Csontváry Kosztka oder Lajos Kassák gegenübergestellt.

Als Beispiele für die im Palais Harrach ausgestellten Kunstwerke seien hier genannt: das von Fürst Esterházy finanzierte und nach Illustrationen von Mihály Zichy in der Werkstatt von Franz Rottonara gefertigte Bühnenbild zur Wiener Premiere des ungarischen Dramas "Die Tragödie des Menschen" von Imre Madách, das impressionistische Munkácsy-Bild "Staubiger Weg" oder das in seiner Farbigkeit beeindruckende Gemälde "Wäschetrocknen" von Béla Iványí Grünwald (1867-1940) und nicht zuletzt einige Bilder der legendären Kaiserin Elisabeth.

"Sisi" verkörperte Verbindendes und Trennendes der Donaumonarchie

Unter den letzteren befindet sich das Porträt von Gyula Benczúr (1844-1920), das Kaiser Franz Joseph I. in einem Brief das beste und genaueste Porträt seiner Frau nannte. Aus den Texterklärungen erfährt man, wie die einstige bayerische Prinzessin "Sisi", die ihre Repräsentationspflichten so gar nicht mochte, im ungarischen Reichsteil zur bis heute überaus populären Königin Erzsébet wurde.

Schon 1908 wurde zum Gedenken an die 1898 ermordete Patronin Ungarns in der Budaer Burg ein Museum errichtet. Selbst die Kommunisten trauten sich nicht, die nach ihr benannte Straße sowie eine gleichnamige Brücke umzutaufen.

Die romantische und zutiefst unpolitische Kaiserin hatte sich - ebenso wie viele ihrer Zeitgenossen - aus einer Skepsis gegenüber der erstarrenden Monarchie heraus für die aufmüpfigen, temperamentvollen Madjaren begeistert, kämpfte zäh für den sogenannten österreichisch-ungarischen Ausgleich von 1867 und erlernte sogar die schwierige ungarische Sprache.

Als Kaiserin, Königin und faszinierende Frau verband Sisi beide Länder miteinander; zugleich zeigt sich an ihrem Schicksal das Trennende innerhalb der Donaumonarchie. Auch wenn diese Unterschiede nicht das vorrangige Thema dieser Wiener Ausstellung sind, soll doch an jenen aberwitzigen Streit ernnert werden, der noch an Elisabeths Grab "wie ein Wetterleuchten die düstere Zukunft des Reiches plötzlich erhellt" (Egon Caesar Conte Corti).

Gleich am ersten Tag der Beerdigungszeremonien in der Wiener Kapuzinergruft zeigten dort Hunderttausende ihre Trauer. Doch die in großer Zahl gekommenen Ungarn störten sich an dem am Sarg angebrachten Schriftzug "Elisabeth, Kaiserin von Österreich".

Noch am selben Abend wird der Titel "und Königin von Ungarn" hinzugefügt. Das wiederum ruft den Oberstlandmarschall von Böhmen auf den Plan, der die Erwähnung seines Landes vermißt.

Hier hätte es der fortan für immer schweigenden Stimme Sisis bedurft, die den Streit, um mit dem Schriftsteller Conte Corti zu sprechen, rasch beendet hätte: "Schreibt Elisabeth hin, nichts sonst."

Auskünfte: Kunsthistorisches Museum, Maria Theresien-Platz, A - 1010 Wien, Tel.: 0043-1-52524-403/404/407

Wiener Postkarte: Reger Verkehr an der "k. u. k. Hofoper" um 1900
 
     
     
 
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