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Objekte kriegerischer Begierde

 
     
 
Wenn in Deutschland von Kunstraub und Beutekunst die Rede ist, spät genug kam dieses Thema auf’s Tapet, war es noch jahrzehntelang von der politischen Klasse mit einen Tabu belegt – Dann klingt das Signalglöcklein: UdSSR; staatlich organisierter Kunstraub durch Trophäenbrigaden; Hunderte, ja Tausende von deutschen Gemälden, Zeichnungen, Kupferstichen, Museumsobjekten, Archivalien, Akten in russischen Kellern, meist unsachgemäß gelagert, dem Verfall preisgegeben, aber auch Nachlässe deutscher Dichter von Polen geraubt, historische Dokumente, deutsche Kunstwerke in Krakau. Alles das hatten sich die damalige Sowjetunion und die Volksrepublik Polen
völkerrechtswidrig angeeignet. Sie geben es bis heute nicht heraus, obgleich sie sich nach der Wende vertraglich gegenüber der Bundesrepublik Deutschland dazu verpflichtet hatten.

Nachdem sich die sowjetischen Archive auch zum Thema des Raubes deutscher Kulturgüter geöffnet hatten, ist es möglich zu erforschen, was sich im jetzigen Rußland und den anderen Nachfolgestaaten der UdSSR an verschleppten deutschen Kunstwerken, Museumsgut, Bibliotheksbeständen usw. befindet. Obwohl in Deutschland die vollständigen Protokolle aller während des Krieges vorgenommenen Auslagerungen von Kunstwerken und anderem Kulturgut – sei es in Kalkbergwerke und Schlösser, sei es in schlesische Klöster oder in Safes der Reichsbank – fehlen, kann man aus Teilunterlagen, bruchstückhaften Aufstellungen und Aussagen von Zeitzeugen allmählich einen Eindruck gewinnen, welches Kulturgut Deutschland im Rahmen der Kriegshandlungen und nach dem Krieg durch das Eingreifen der Siegermächte verloren hat. Wir wissen weitgehend, was in den Ländern des Ostblocks liegt, was zurückgegeben wurde an die deutschen Museen und was bei Kampfhandlungen vernichtet wurde. In diesem Zusammenhang geht es um eine vierte Kategorie: Was wurde weder in den Osten verschleppt noch im Kriege vernichtet? Was ist einfach verschwunden?

Dabei könnte es geschehen, daß die USA von ihrem bisherigen Freispruch in Sachen Kunstraub abrücken müssen.

Bisher glaubte man, nur die Sowjetunion und Polen hätten systematisch und von Staats wegen deutsche Kulturgüter geraubt. Die US-Amerikaner, die Briten und die Franzosen hingegen haben sich zurückgehalten. Zwar haben, was allgemein bekannt ist, einzelne Soldaten und Offiziere, ja, sogar nicht wenige Generäle der amerikanischen, britischen und französischen Truppen in Deutschland Kunstgegenstände und andere Preziosen gestohlen, doch galt und gilt solche Handlung als Diebstahl und wird auch geahndet, wenn man den Tätern auf die Spur kommt.

Sollte die Entlastung der westlichen Siegerstaaten ein Märchen gewesen sein? Sollten die Amerikaner und mit ihnen andere Staaten Europas in Wahrheit bis heute streng getarnte Raubzüge unternommen haben, um deutsche Kulturgüter als Reparationsleistungen zu konfiszieren, was nach internationalem Völkerrecht strikt verboten ist?

In Deutschland findet man darüber kaum Veröffentlichungen. Da weht der Zufall die britische Fachzeitschrift "International Journal of Cultural Property" mit der Nummer 2/1998 auf den Schreibtisch, und man findet darin einen ausführlich und wohldokumentierten Beitrag des Oberkustos am Museum für Vor- und Frühgeschichte der Staatlichen Museen Preußischer Kulturbesitz in Berlin, Dr. Klaus Goldmann, aus dessen Feder schon manches Buch und mancher Sachkundige Aufsatz über Kunstraub stammt, unter dem Titel "The Treasure of the Berlin State Museums and its Allied Capture: Remarks and Questions". Darin meldet der renommierte Wissenschaftler begründete Zweifel an der Behauptung an, daß Tausende von hochrangigen Ausstellungsstücken der Berliner Museen und Hunderte von Kunstwerken Berliner Galerien tatsächlich den Kriegsereignissen zum Opfer gefallen sind. Er meint, zahlreiche Indizien dafür zu haben, daß sie sich "in der westlichen Hemisphäre" befinden, wie er sich zurückhaltend ausdrückt.

In den letzten Kriegstagen wurden die Kunstgegenstände und die Museumsobjekte der staatlichen Museen Berlin – so war bisher die allgemeine Meinung – in das Kalibergwerk Merkers im südlichen Thüringen in Sicherheit gebracht, um sie vor der Zerstörung zu bewahren oder sie nicht den Bolschewisten in die Hände fallen zu lassen. In dem gleichen Abbaugebiet des Kalibergwerkes lagerten die Bestände der Deutschen Reichsbank, u. a. eine große Anzahl von Goldbarren und Devisen. Die amerikanische 3. Armee unter General Georgs S. Pation besetzte am 4. April 1945 das Gebiet Merkers und sicherten sofort die Bestände der Deutschen Reichsbank samt den Sicherheitsdepots mit Kunstwerken und anderem Kulturgut.

Die Kunstwerke fielen in den Kompetenzbereich des amerikanischen Kunstschutzes (US-Monuments, Fine Arts & Archives Brunch MFA&A), während das Gold und die Devisen in den Verfügungsbereich des US-Finanz-Ministeriums gehörten. Bevor das Gebiet der sowjetischen Besatzungsmacht übergeben wurde, transportierten die Amerikaner in Blitzesschnelle alle gefundenen Kunstwerke, Goldbestände usw. nach Frankfurt am Main und Marburg, so daß die sowjetischen Kunstraubkommandos unter Oberst Belokopitow nur noch leere Schatzkammern vorfanden. In Marburg und Frankfurt wurden die aufgespürten Kunstwerke usw. registriert und in den Nachkriegsjahren nach und nach den Berliner Museen zurückgegeben.

Aber neben dem Kunstdepot in Merkers muß es noch weitere Auslagerungsorte gegeben haben, in die unter der Verantwortung der Deutschen Reichsbank in den letzten Kriegswochen Transporte von Museumsstücken und Kunstwerken gegangen waren. Darüber fehlen wichtige Unterlagen, so daß man nur kombinieren kann. Vermutlich war dieser zweite Bergungsort das Kalibergwerk Berte-rode, in das bedeutende Kunstwerke aus Berlin gebracht worden waren. Dorthin hatte man auch rechtzeitig die Sarkophage des Soldatenkönigs Friedrich Wilhelm I. und seines Sohnes Friedrich des Großen transportiert sowie des Reichspräsidenten und Feldmarschalls Paul von Hindenburg. Es ist davon auszugehen, daß dorthin auch Teile der Objekte aus den Berliner staatlichen Museen gelangt waren. Die Amerikaner bargen schleunigst sowohl die Särge als auch alles sonstige, was sie fanden und brachten es in den "Westen". Kurz bevor die sowjetische Armee das Gebiet übernahm, ereignete sich bedauerlicherweise in dem Kalibergwerk Berterode eine schwere Explosion, die die Stollen verschüttete, so daß die Sowjets dort nichts mehr finden konnten und in Zukunft davon ausgingen, daß bei der Explosion wichtige Kulturwerke vernichtet worden waren.

Rätselhaft ist der angeordnete Transport von wichtigen Teilen der Berliner Museumsobjekte mit Hilfe von Binnenschiffen in den "Westen". Zwar wurden die Schiffe bis an den Rand mit Museumsgut beladen, sie legten in Berlin auch ab, doch mußten sie in Potsdam anlegen, weil der Treibstoff verbraucht und keiner mehr aufzutreiben war. Die Ladung wurde von der Luftwaffe beaufsichtigt und in bewachte Züge gebracht und in Richtung Magdeburg geleitet. Dort wurden sie wieder umgeladen. Auch dieser Zug stand unter dem Kommando der Luftwaffe. Und von da an verliert sich ihre Spur. Goldmann schließt es nicht aus, daß sie auf Görings Schloß Veldenstein bei Nürnberg gelangten und dort in die Hände der Amerikaner gerieten. Was dann geschah, ist in Deutschland offenbar unbekannt.

Ebenfalls rätselhaft ist der Verbleib eines großen Transportes zahlreicher Kisten aus dem Reichskulturministerium. Sicher ist nur, daß Lkw’s mit den Kisten beladen wurden, um sie vor den Sowjets in Sicherheit zu bringen und daß die LKW’s sich nach "Westen" in Marsch setzten. Goldmann schließt nicht aus, daß in diesen Kisten auch die kompletten Unterlagen über die Auslagerung der Kunstwerke, Archivalien, wichtige Bibliotheken usw. enthalten waren, die – jedenfalls befinden sie sich nicht im Machtbereich der ehemaligen Sowjetunion – vermutlich jetzt ebenfalls "in der westlichen Hemisphäre" zu suchen sind.

Ein staatliches Museum in Berlin nach dem anderen listet Goldmann auf und entdeckt dabei Erstaunliches: Die Antiken-Sammlung, die über eine weltberühmte Sammlung antiken Glases, bestehend aus 2800 Stücken, verfügte, deren Wert 1962 auf 22,4 Millionen DM geschätzt wurde, soll angeblich diese Sammlung eingebüßt haben bei einer Explosion im Berliner Flak-Bunker, die sich nach der Eroberung durch die Sowjets ereignet hatte. Dafür gibt es aber keinerlei Anzeichen. Die Sowjets, die die Trümmer im Flak-Turm durchsuchten, fanden keine Spur von einer zerstörten Sammlung antiken Glases. Goldmann geht davon aus, daß die Sammlung überlebt hat und sich irgendwo im Westen befindet. Zur Antiken-Sammlung gehörte auch eine außerordentlich umfangreiche Sammlung von Gold und Juwelen aus der Zeit der Antike. Sie war ins Kunstschatz-Depot Grasleben ausgelagert worden. Dort fiel sie den britischen Besatzungstruppen in die Hände, die sie in ihr Kunstsammellager Schloß Celle brachten. Als die Kisten der Sammlung 1947 geöffnet wurden, fehlten 162 Teile aus Gold. Sie wurden bisher auf dem internationalen Kunstmarkt nicht angeboten. Zu den verschwundenen Gegenständen gehört auch aus dem "Hildesheimer Silberfund", einem kompletten Silbergeschirr aus der Zeit des Kaisers Augustus, das auf deutschem Boden gefunden wurde, das größte und wichtigste Teil, eine kunstvoll gearbeitete Silberschüssel, die unter dem Namen "Der Krater" bekannt ist. Die westlichen Besatzungsmächte behaupten, die Sowjets hätten sie geraubt, während Dokumente besagen, die Silberschüssel "Der Krater" sei in die Kaligrube nach Merkers in Sicherheit gebracht worden, in jenes Depot, das von der amerikanischen Armee besetzt und geräumt worden ist. In diesem Falle müßte man wohl in den USA nach ihr fahnden.

Aus der Gemäldegalerie fehlen 434 Bilder, die die Entwicklung der europäischen Malerei vom 13. bis ins 18. Jahrhundert darstellen. Sie sollen angeblich im Flak-Bunker verbrannt sein. Daran zweifelt Dr. Goldmann. Nach seinen Forschungen haben sie sich nie im Bunker befunden, sondern sind mit einem Zug unter Bewachung der Wehrmacht im März 1945 in den Westen transportiert worden. Aus der Gemäldegalerie fehlen weiter neun Gobelins, in Brüssel nach Entwürfen von Raphael gefertigt, die als Kostbarkeiten in den Westen in Sicherheit gebracht wurden.

Im Schloßmuseum, dem Museum für angewandte Kunst, werden viele Objekte vermißt. Das Museum zeigte angewandte Kunst vom Mittelalter bis ins 20. Jahrhundert. So fehlt ein elfenbeinerner Elefant, in Silber gefaßt, eines der wichtigsten Teile des "Lüneburger Ratssilbers". Alle anderen Teile des Schatzes wurden von den Amerikanern zurückgegeben. Der Elefant blieb vermißt. Weiter wird das Kreuz aus der Baseler Kathedrale vermißt, ein Kunstwerk von überragender Bedeutung.

288 Werke von welthistorischer Bedeutung aus Indien und aus Südostasien, die im Berliner Museum für indische Kunst gezeigt wurden, fehlen, unter ihnen 60 der schönsten steinernen Skulpturen der indischen Kultur sowie 1950 Objekte der weltberühmten "Turfan-Sammlung". Auch sie sind westwärts geschafft worden, um sie zu sichern. Das Museum für ostasiatische Kunst, dessen Sammlungen Weltgeltung hatte, verfügt nur noch über zehn Prozent seines Bestandes. Sein Direktor betrieb in allen anderen staatlichen Museen Berlins mit größtem Nachdruck die rechtzeitige Verlagerung in den Westen. So geht Goldmann davon aus, daß er selbstverständlich auch die Objekte seines Museums nach Westen hat bringen lassen. Wo sind sie geblieben? Die meisten der aus dem Museum für Völkerkunde vermißten Objekte gehören zu den wertvollsten Zeugnissen der frühen Geschichte Amerikas.

 
     
     
 
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