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Wo umweltschutz ein Fremdwort ist

 
     
 
Während in Deutschland ein paar Frösche oder seltene Vögel ganze Bauvorhaben platzen lassen können, nimmt man in China keinerlei Rücksicht auf Tiere und Pflanzen. Giftige Abwässer werden einfach in Flüsse "entsorgt". Derartige Produktionsmethoden machen chinesische Produkte konkurrenzlos billig, doch sie zerstören auch den Lebensraum der Menschen. Die ersten Folgen sind schon spürbar.

Zu den beliebtesten Motiven der chinesischen Tuschmalerei
gehörten jahrhundertelang die romantischen Wasserfälle und die solitären Steilfelsen von Huangschan in der Bergprovinz Anhui. Von dieser Vorlage ist seit den Zerstörungen der letzten Jahre nicht mehr viel im Original übrig. Die meisten Wasserfälle und Felsen wurden gesprengt, um Talsperren, Straßen und Hotelkomplexen Platz zu machen. Und als der saure Regen die auf überlebenden Felsen malerisch wachsenden Kiefern getötet hatte, ließ die Provinzverwaltung die populären Motive durch Plastikbäume ersetzen.

Das Schicksal jener Naturschönheiten steht beispielhaft für den Umgang der chinesischen Führung mit Mensch und Natur. Aus Angst vor verschärften sozialen Konflikten wird als Flucht nach vorne kurzfristiges Wachstum ohne Rücksicht auf Verluste forciert. Es gibt zwar in Peking eine Umweltschutzagentur mit 300 Mitarbeitern. Doch sie hat keine Hausmacht. Ihr Budget besteht zu 80 Prozent aus ausländischen Entwicklungshilfespenden. Vor Ort arbeiten korrupte Behörden und Parteisekretäre ungestört mit Umweltsündern zusammen. Die Höchststrafe für ertappte schwarze Schafe ist eine Gebühr von 10000 Euro. Das Verursacherprinzip gilt als Regel in China ohnehin nicht. Der rücksichtslose Umgang mit der Natur hat in China Tradition. Seit 4000 Jahren lassen dort Kaiser Flüsse umleiten, Wälder roden und Berge einebnen. Auch Mao forderte, der Mensch müsse sich von der Natur befreien. Seit der Revolution wurden die letzten großen Waldflächen von der Größe von Frankreich und Deutschland zusammengenommen abgeholzt, um Ackerland und Brennholz zu gewinnen. Versteppungen, Bergrutsche und die Sedimentierung der Flüsse sind die Folge. Mittlerweile deckt China seinen unersättlichen Holzbedarf durch Schlägerungen in Sibirien, Burma, Laos, Indonesien und Lateinamerika. Als Peking im Sommer 2000 von elf Sandstürmen der sich verbreitenden Wüsten des Westens heimgesucht wurde, begann man mit der Aufforstung von Gürteln schnellwachsender Monokulturen.

Das seit 1994 andauernde zehnprozentige Wirtschaftswachstum ließ auch den Elektrizitätsbedarf um jährlich sechs Prozent steigen. Die Kraftwerkskapazitäten halten damit kaum Schritt. Wenn in der Sommerhitze die Klimaanlagen auf voller Stärke laufen, bricht deshalb regelmäßig die Stromversorgung zusammen und gefährdet die industriellen Wachstumsziele. Neben der Atomenergie, deren Kapazitäten mit 40 neuen AKWs bis 2020 vervierfacht werden sollen, und gigantischen kontroversen Dammbauten wie der Flutung der drei Schluchten des Jangtse als größtem hydroelektrischen Projekt der Welt setzt China auf den Ausbau der Kohlekraftwerke, die jetzt schon 80 Prozent der Elektrizität aus dem einzigen reichlich vorhandenen heimischen Energieträger gewinnen. Dies bedeutet mehr Aschestaub, Rußpartikel und sauren Regen. Auch die meisten Wohnungen werden weiter mit Kohle beheizt. So beträgt der chinesische Jahresverbrauch an Kohle 1,5 Milliarden Tonnen, das heißt etwas mehr als eine Tonne pro Einwohner. Während Deutschland seine Kohlendioxydaustoß 1990 bis 2002 um 13 Prozent reduzierte, steigerte China den seinigen um 45 Prozent. Mit 21,6 Millionen Tonnen ist Chinas CO2-Ausstoß der größte der Welt. Der in China erzeugte saure Regen beeinträchtigt mittlerweile nicht nur Japan und Korea.

Zu allem Überfluß hat China zusätzlich die Produktion der Fluorkohlenwasserstoffe, jener als Ozonkiller wirkenden Treibhausgase, in den 90er Jahren verfünffacht. Zwischen 1964 und 1995 wurden in Lop Nor auch 23 Atombomben oberirdisch gezündet.

Obwohl in Vorzeigestädten wie Peking die Schwerindustrie abgesiedelt und in Schanghai der Hausbrand auf Gasheizungen umgestellt wurde, macht der rapide steigende Individualverkehr alle zaghaften Bemühungen um eine sauberere Luft zunichte. Auch nachdem ganze Stadtviertel für neue breite Ausfallstraßen geopfert wurden, steckt der Verkehr der chinesischen Metropolen wie in Bangkok oder Manila im Dauerstau. Die Emissionsnormen für Kohlenmonoxyd liegen um 60 Prozent über den EU-Normen. Wegen der schlechten Treibstoffqualität ist der Einsatz von Katalysatoren jedoch sinnlos. Wie in anderen Schwellenländern ist auch in China der Besitz eines eigenen Autos ein unverzichtbares Statussymbol der wachsenden Mittelschichten. Alljährlich nimmt die Zahl der Zulassungen um 70 Prozent zu. Für den Chef von General Motors sind die Chinesen "Auto verrückt". Man vermag sich die Folgen nicht auszumalen, wenn wie in den USA jeder zweite Chinese ein Auto besitzt und sich dort 600 Millionen Privatwagen tummeln.

Die Luftbelastung durch Industrieschlote, Kohlebefeuerung und Verkehr ist im Dauersmog der Großstädte nur allzu sicht- und riechbar. Manche Kinder inhalieren täglich das Äquivalent von zwei Zigarettenpackungen. 300000 Chinesen sterben jedes Jahr verfrüht an Atemwegserkrankungen.

Beim Wasser ist die Lage nicht besser. In 21 der 27 größten Millionenstädte ist das Wasser ungenießbar. 75 Prozent der Flüsse gelten als stark verunreinigt, da städtische und Industrieabwässer zu zwei Dritteln ungeklärt eingeleitet werden. Auch bei dem restlichen Drittel ist die Klärung unzureichend. Als Ergebnis sind Oberflächen- und Grundwasser durch Schwermetalle, Öle, Chemikalien und Stickstoffe vergiftet. Da 35 Prozent des Ackerlandes, zumal die meisten Reisfelder, bewässert werden müssen, sind auch die Ernten rückläufig beziehungsweise stark belastet. Bei den immer häufigeren Überschwemmungen wird das Acker- und Gartenland aufs neue schwer verseucht. Nach Expertenschätzungen benötigt China mindestens 10000 neue Kläranlagen, um wenigstens die Hälfte seines Abwassers angemessen zu klären. Es ist unwahrscheinlich, daß es in Bälde die nötigen 40 Milliarden Euro dafür aufbringt, zumal auch derzeit nur ein Fünftel des Haus- und Industriemülls ordnungsgemäß verbracht wird.

Wasser wird nicht nur verunreinigt, es wird - zumal im Westen und Norden, wo die Hälfte der Bevölkerung lebt - zunehmend knapp. Die Wüsten des Westens weiten sich wegen der Erosion, der Entwaldung, der Versalzung und Überdüngung der Böden aus. Ein Viertel Chinas ist mittlerweile Wüste. Jährlich geht weiter eine Million Hektar Ackerland verloren. Die Weideflächen haben sich in den letzten Jahrzehnten halbiert. Experten schätzen, daß bis 2025 70 Millionen Bauern wegen der weiteren Versteppung kein Auskommen in der Landwirtschaft mehr finden können. Wie nach jener größten Migration der Menschheitsgeschichte ein Fünftel der Weltbevölkerung von sieben Prozent des sich immer mehr verknappenden Ackerlandes der Welt im Lande ernährt werden soll, bleibt offen.

Insgesamt werden die Kosten von Umweltbelastung und Raubbau sowie des Gesamtschadens, den vermeidbare Überschwemmungen, Ernteausfälle, Krankheitskosten, Arbeitsausfälle und Ressourcenverluste verursachen, auf zehn Prozent des chinesischen Bruttoinlandsproduktes geschätzt. Dennoch sind wie im Kommunismus Strom und Wasser in China weiter billig - und werden deshalb oft verschwendet. Allein 50 Prozent des Bewässerungswassers geht in lecken, offenen Kanälen verloren.

Häufig wird von chinesischer Seite beschwichtigend angeführt, arme Länder hätten in ihrer Industrialisierungsphase stets die Umwelt zerstört, um zwei, drei Generationen später, mittlerweile reich geworden, die Schäden wieder zu reparieren. China will Peking bis zu den Olympischen Spielen von 2008 sanieren. Und nicht wenige westliche Umweltunternehmen antichambrieren bereits bei den örtlichen Machthabern in der Hoffnung auf lukrative Großaufträge. Möglicherweise kommen viele zu spät.

Keine Seltenheit: Zweifelhafte "Mülldeponie" in der chinesischen Provinz Guangdong
 
     
     
 
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