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Zu neuen Ufern

 
     
 
Am Vormittag des 11. August 1901 legt das Schiff, getauf auf den Namen "Gauß", in Kiel ab. Kisten und Kasten sind ordentlich verstaut die Schlitten festgemacht. Man bespannt die Lotmaschine mit Draht, eicht die Chronomete und die Anker werden gelichtet. Wenig später beginnt der wissenschaftliche Betrieb Lotungen, Temperaturmessungen des Wassers und der Luft. Meteorologische Beobachtunge gehören zum Arbeitspensum der Wissenschaftler. Sie nehmen Kurs auf Kapstadt (Südafrika) Dort wimmelt es von buntem Volk aus allen Erdteilen: Flüchtlinge, Schlachtenbummler Abenteurer, Strandgut, die hier ihr Geschäft wittern. Der Burenkrieg gegen Englan (1899–1902) war gerade zum 31. Mai beendet. Er hat die Stadt fast um das Doppelt anwachsen lassen.

Die Mannschaft der "Gauß" ist ausgeflogen. Seit dem 23. November sind sie in Kapstadt. Sie haben ein Leck im Schiff. Das soll gefunden und abgedichtet werden. Abe bisher war es nicht aufzudecken gewesen. Kapitän Rufer meint zu Erich von Drygalski, de Leiter der Expedition: "Unsere Leute denken, wer weiß, ob sie sich jemals wieder in volle Menschenleben stürzen können, deshalb der Hochbetrieb in den Hafenkneipen." Drygalski hat eine ostdeutsche Natur und läßt sich nicht so leicht aus der Ruh bringen. Zwei Grönlandfahrten liegen hinter ihm – er hat Erfahrung. Er antwortet de Kapitän: "Sagen Sie den Leuten, das Leck kann uns nichts anhaben, wenn wir erst in Polarkreis festgefroren sind. Und schauen Sie mal nach den Pumpen, daß die in Ordnun sind. Dann nichts wie los! Wir haben keine Zeit zu verlieren!" Seit ihrer Abfahr haben sie schwere Stürme im Atlantik erlebt. Erst einmal konnten sie nach Hamburg ein Nachricht geben. Jetzt tut Eile Not, denn der Sommer ist bald vorbei. "Also mache wir los!", sagt Kapitän Rufer und gibt Befehl zum Segelsetzen.

Am 7. Dezember 1901 nimmt der Dreimastsegler "Gauß" Kurs Ost-Südost auf die Crozel-Inseln. Es ist ein gutes Schiff, eigens für die Expedition gebaut mit dreivierte Meter starken Bordwänden aus Holz, Bug und Heck durch Stahlpanzer verstärkt, 46 Mete lang, 11 Meter breit. Ausgerüstet ist es mit den besten Instrumenten moderner Technik hat Dampf
heizung und elektrisches Licht, eine Hilfsmaschine mit 275 PS mit aushebbare Schraube und ebensolchem Steuer. Aber es dampft nicht, es segelt. Das Schiff rollt in schweren Wogen. Das Leckwasser steigt. Erstmals werden Eisberge gesichtet.

Am nächsten Morgen taucht die gischtumbrandete Klippenküste der Crozet-Inseln au – ein Wagnis durch die Brandung zu rudern. Aber es gelingt. Die Forscher kehre gerade noch vor Dunkelheit mit reichen Ergebnissen zurück: See-Elefanten, Esel Goldhaarpinguine, Raubmöwen, Enten, Komorane, Riesensturmvögel, Insekten, Würmer flügellose Fliegen, Moose, Proben des vulkanischen Gesteins. Was sie mitgebracht haben wird präpariert.

Das Schiff fährt wieder zu den Kerguelen-Inseln. Vom 2. bis 31. Januar dauert de Aufenthalt. Der Sommer auf der Südhalbkugel geht zu Ende. Aber die Beobachtungsstatio muß fertig werden. Alle Hände der Besatzung der "Gauß" helfen. Dann werde Proviant, Kohlen und 40 sibirische Schlittenhunde übernommen. Drygalski zählt sein Mannschaft, mit der er jetzt den Angriff auf das Polareis der Antarktis beginnt: insgesam 32 Mann – 5 Gelehrte, 5 Offiziere, 22 Matrosen. Sechs Ersatzleute sind in Kapstadt angeheuert. Drygalski mahnt: "Die Arbeit beginnt erst, wenn wir im Ei festsitzen. Bis dahin muß ich wissen, was ihr könnt!" Das war sein Geheimnis: Vo jedem Einzelnen verlangte er selbständiges Handeln im Sinne des gemeinsamen Unternehmens jeden aus seiner Mannschaft schätzte er als eigene Persönlichkeit ein. Seine Perso flößte Vertrauen ein, zu ihm als Führer und zur Sache, die er leitete. So gab e niemals während der langen Zeit, auch nicht in kritischen Lagen, Streit unter de zweiunddreißig .

Am 3. Februar wird die Heard-Insel, letzter Fleck der bekannten Welt, Wendepunkt nac Südost, passiert. Dann steuert das Schiff ins völlig Ungewisse: Treibeis – Eisberg – Nebel – Packeis – Schneesturm – Nacht … Alle vier Stunde lösen sich die Wachen ab. In der Treibeiszone sind die Eisberge die gefährlichste Gegner. Unvermutet tauchen sie aus Schneetreiben und Nebel auf. Schon 14 Tage lang kämpf sich das Schiff mit Dampf und Segel durch das Eis. Fast scheint es den Packeisgürte durchbrochen zu haben. Aber die Sicht ist schlecht bei Tag und Nacht. Pinguine stolziere aufgeregt umher und äugen neugierig zum Schiff herüber. Drygalski rechnet, mißt un meint, hier müsse das Ende der Antarktisküste zu suchen sein. Aber es ist keine Spur vo Land auszumachen. Die dunklen Schatten in der unübersehbaren Eiswüste entpuppen sich als Steilwände schwimmender Eisberg. Das Senkblei lotet noch auf 3000 Meter keinen Grund.

Eine weitere Woche vergeht. Immer wieder hat das Schiff den Kurs ändern müssen – von Südost auf Nord, von Nord auf West. Am 21. Februar, mitten in der Nacht, erwach Drygalski. Die Maschine steht still. "Professor, Professor!", hört er es rufen Draußen herrscht scharfer Frost. Schwarzes Wasser sticht scharf von den grauweiße Eismassen ab. Kapitän Rufer und Drygalski spähen angestrengt im Mastkorb über die hoh lange Eiskante hinweg. "Land?", fragt Rufer. Drygalski antwortet "Land!" Zusammenhängende weiße Flächen dehnen sich ins Unbegrenzte aus.

Unaufhörlich lotet das Senkblei die Tiefe: 240 m. Grüner Schlick am Lot. Der Socke des antarktischen Festlandes ist erreicht. Küste eines bisher unbekannten Landes, das bi etwa 300 m ansteigt. Unter Jubel der ganzen Mannschaft tauft Drygalski das neu entdeckt Polarland: "Kaiser-Wilhelm II.-Land", später "Gaußberg" benannt. Die Eisküste bricht dort mit einer Steilwand von 40 – 50 Metern Höhe ins Meer ab. Ein Kette unbeweglicher Eisberge lauert vor der Küste. Nach Norden ist sie weit zu übersehen, also folgt ihr das Schiff nach Südwesten. Doch der Packeisgürtel scheint be dem anwachsenden Wind in Bewegung zu geraten. Wenn das wirklich eintritt, werden sie in einer Sackgasse eingekeilt.

Drygalski verlangt sofort Kurswechsel um 180 Grad. Tatsächlich wächst der Ostwin überraschend zum Sturm und bringt die Eismassen ringsum in Aufruhr. Rufer versucht mi aller Gewalt, nach Nordost oder Südost aus der Falle herauszukommen. Polternd prassel die Eisschollen gegen die Bordwände, zersplittern am Bug. Mit voller Dampfkraft kämpf das Schiff gegen Sturm und andringende Eismassen. Alle Mann sind auf Posten. Stunde u Stunde verrinnt. Da werden in der Ferne Eisberge gesichtet und zugleich fällt dichte Nebel. Widerstand ist zwecklos! Der Kapitän muß das Schiff dem nach West treibende Packeis überlassen. Am Morgen des 22. Februar ist das Schiff von dichtem Eis umklammert Die "Gauß" rührt sich nicht mehr. Gibt es noch Hoffnung? Das weiß auc Drygalski nicht …

Die Besatzung versuchte, durch Sprengungen das Schiff frei zu bekommen, abe vergeblich. Man begann sich auf die Überwinterung vorzubereiten. Ein Observatorium fü astronomische Zwecke wurde errichtet, eine meteorologische Hütte bekam ihren Platz, un zwei Eislöcher am Bug und Heck der "Gauß" wurden für das Herablassen de Netzte freigehalten. Die Löcher im Eis mußten immer wieder von Schnee und Eis befrei werden. Bei Wassermessungen setzte der Wasserschöpfer schon beim Herablassen Eis an Hatte man ihn aber vorher erwärmt, so fror das Wasser, wenn man es im Freien abzulasse versuchte. Es blieb nichts anderes übrig, als jedes Mal den schweren Wasserschöpfer mi ins Schiff zu nehmen, und dann dauerte es noch geraume Zeit, bis die gefrorenen Ventil wieder in Ordnung waren.

Schlimmer noch als die Kälte waren jedoch die Stürme. Die Thermometer zum Messen de Eistemperatur wurden tief verschüttet und erst nach Abflauen des Schneesturmes vo Obermaschinisten Stehr nach längerem Suchen wieder gefunden und neu gesetzt. Vierma täglich waren auch in diesen Zeiten weitere Gänge zu den magnetischen Observatorie notwendig, an einem Kabel entlang führend – gefährliche Wege, aber in pflichttreue Verantwortung ausgeführt. Auch zur astronomischen Hütte war ein Kabel gespannt, da si zum Vergleich der Chronometer einmal täglich besucht werden mußte. Ein Matrose verlor a 26. April 1902 auf dem Rückweg die Richtung. Er wurde rechtzeitig vermißt, gesucht un auch glücklich an dem Fuß der nur 40 Meter vom Schiff entfernten meteorologischen Hütt gefunden. Die königlich-preußische Luftschifferabteilung in Berlin hatte der Expeditio einen Fesselballon zur Verfügung gestellt. Die Nacht vom 28. auf 29. März wa sternenklar, und am 29. schien die Sonne in aller Frühe. Es herrschte Windstille – bester Zeitpunkt für einen Ballonaufstieg (Ballonhülle Durchmesser 9 Meter). Ganze 10 Minuten benötigten Stehr und seine Helfer, um den Ballon aufzurüsten – ein Leistung bei -20°C. Dann stand Erich v. Drygalski im Korb. Langsam ließen ihn die 1 Männer aufsteigen, die den Ballon hielten. In einer Höhe von nur 50 m sah Drygalsk bereits den "Gaußberg". Also "Neues Land"! Große Begeisterung! Noc am gleichen Tag stiegen Kapitän Rufer und der Geologe Philippi auf, um zahlreich Aufnahmen zu machen.

Auf elektrisches Licht wurde wegen Sparsamkeit verzichtet. Also wurde es dunkel in Schiff, ebenso der Kohlevorrat beschränkt. Ein Akkumulator (Energiespeicher) wurd montiert, aber der Wind war unbeständig. So waren die Lampen mal hell, mal dunkel un bald verloschen sie ganz: man griff auf Tranlampen zurück.

Immer wieder mußte das Schiff aus hohen Schneewehen ausgegraben werden. Dabe zerrannen die Wochen, die Monate – immer noch Winter, immer noch eisige Kälte un Schneestürme über Schneestürme! Um die Mannschaft gesund zu erhalten, unternah Drygalski Schlittenfahrten. Ihr Ziel war, das 90 km entfernte Festland zu erreichen. Un tatsächlich, die Strapazen brachten den Erfolg – das "Neuland", de Gaußberg wurde erstiegen. Die Expedition wies den vulkanischen Ursprung dieses Berge nach, der erste Nachweis ehemaliger vulkanischer Tätigkeit auf dem Festland de Antarktis.

Immer noch lag das Schiff ringsum von Eis eingeschlossen. Der Sommer verging, de Herbst kam und schließlich der zweite Winter. Als das Jahr 1903 begann, gab es auf de "Gauß" keine Mutlosigkeit. Sieben Schlittenfahrten wurden zum neu entdeckte "Gaußberg" durchgeführt. An seinem Fuß errichteten Schlittengruppen ei Eishaus und stellten meteorologische Instrumente zu Messungen auf. Immer wieder hatte ma sich vom Schiff mit einem "Trick" zu helfen versucht. Sobald ein Stück offene Wasser sichtbar wurde, hatte man den Weg mit Asche bestreut. Diese Asche absorbiert genügend Sonnenwärme, um einen zwei Meter tiefen Kanal aufzuschmelzen.

Endlich hatten sich alle wohl durchdachten Anstrengungen gelohnt – am 8. Februa 1903 hatten sie es geschafft! Die "Gauß" konnte sich aus ihrem eisige Gefängnis befreien! Sie versuchte sich vorsichtig einen Weg nach Westen zu bahnen, durc das Scholleneis hindurch. Das machte ihnen noch schwer zu schaffen. Nach zweimonatige Treiben im Scholleneisgürtel war es ihnen dann gelungen, endgültig die Antarktis zu verlassen. Am 1. Juni folgte das erste Telegramm nach Berlin: "Alles wohlauf! Schif vorzüglich bewährt!"

Am 24. November 1903 erreichte die "Gauß" Brunsbüttel.

 
     
     
 
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