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Albert Borowski und die Reichsexklave

 
     
 
Unmittelbar nach dem Ersten Weltkrieg war Ostdeutschland von Innen und Außen in seiner Existenz aufs äußerste bedroht. August Winnig (1878-1956) wurde im Januar 1919 während des Ausnahmezustandes durch Erlaß der vorläufigen Reichsregierung zum sozialdemokratischen Oberpräsident und Reichskommissar in Ostdeutschland ernannt. Seine Bemühungen um Ordnung und Stabilität in der Grenzprovinz sind in der Autobiographie "Heimkehr" in bewegender Weise nachzulesen. Im März 1920 entschied August Winnig, sich zusammen mit dem Befehlshaber des Wehrkreises I, Generalleutnant
von Estorff, und vielen Landräten an die Seite des Generallandschaftsdirektors Wolfgang Kapp zu stellen. Obwohl der Putsch unzureichend vorbereitet war, traf Winnig aus Sach- und Gewissensgründen seine Entscheidung gegen die Reichsregierung in Berlin. Die gefährdeten Grenzen Ostdeutschlands und die Untätigkeit der Reichsregierung zwangen ihn in seinen Augen dazu. Er hatte einen unabhängigen Charakter, war uneigennützig und unumstritten und meinte, auf Seiten Kapps für eine gerechte Sache zu kämpfen. Wegen dieser Entscheidung wurde er amtsenthoben und aus der SPD ausgeschlossen. Sein Nachfolger wurde sein bisheriger Stellvertreter Albert Borowski, der in dieser schwierigen Zeit einer der politischen Gegner Winnigs war, obwohl beide aus dem Arbeiterstand stammten und derselben Partei angehörten.

Albert Borowski, dieser am 27. November 1876 in Rhesau, Kreis Angerburg, zur Welt gekommene Rudauer Bürger evangelischer Konfession, zählt zu den markantesten Gestalten der ostdeutschen Arbeiterbewegung. Neben den politischen und gewerkschaftlichen Arbeiterverbänden entstanden während der Sozialistengesetze und im zunehmenden Maße vor dem Ersten Weltkrieg Selbsthilfe- und Kultur- organisationen der Arbeiterschaft. Schon früh wurde eine Konsumgenossenschaft für Ostdeutschland und ein Konsumverein für Königsberg mit zahlreichen Verkaufsstellen gegründet. Büro und Lager befanden sich am Lizent. Vor 1914 wurde eine weitere Zentrale in Rosenau erbaut. Zu den aktivsten Initiatoren dieses Selbsthilfewerkes für die Arbeiter gehörte Albert Borowski.

Borowskis Amtszeit als Staatskommissar für Ostdeutschland dauerte vom 31. März bis zum 21. Juli 1920. Die von der Reichsregie-

rung und der Parteibasis geforderte Absetzung der "meuternden" Landräte und anderer Staatsbeamter gelang auch ihm nicht. Der Konflikt zwischen der Reichsregierung und Albert Borowski entzündete sich an Verfahrensfragen über die Art der Anhörung nachgeordneter Beamter über ihre Rolle im Kapp-Putsch. Die unter den ostdeutschen Beamten verbreitete Sympathie für den und Teilnahme an dem Putsch sollte disziplinarisch verfolgt werden. Die in Verdacht geratenen Beamten "mauerten", indem sie sich auf das Amtsgeheimnis beriefen oder aus anderen Gründen ihres Verhaltens und ihrer Person sicher waren. Borowski konnte sich nicht durchsetzen und geriet in die Kritik der sozialdemokratischen Parteibasis, die sich massiv in einzelne schwebende Verfahren einmischte. Das Reichsinnenministerium unterstützte Borowski in diesen örtlichen Auseinandersetzungen nicht. Borowski berichtet am 17. Mai 1920 an den Reichskanzler: "Ich kann mich mit der vom Reichsministerium des Inneren beliebten Art der Behandlung meiner dienstlichen Tätigkeit nicht einverstanden erklären." Die Entlassung erfolgte durch einen Drahterlaß des Reichspräsidenten vom 21. Juli 1920 nach knapp vier Monaten Dienstzeit.

Besonders belastend war das Disziplinarverfahren gegen den 75jährigen Landgerichtspräsidenten Karnitz, der am 20. März 1920 aus Anlaß des Kapp-Putsches das Hissen der preußischen Flagge vor dem Dienstgebäude angeordnet hatte. Seine Untergebenen, untere Beamte der Justiz, Kastellan, Sekretär, Kanzlist, Assistent, hatten ihren Präsidenten deswegen angezeigt. Der Beamtenausschuß - ähnlich den damals herrschenden Soldatenräten - beim Amtsgericht Königsberg faßte am 9. April 1920 zusammen: "Durch dieses Verhalten hat er seine Sympathie zu dem verübten Verfassungsbruch zum Ausdruck gebracht und Unwillen bei der Mehrheit der Justizbeamten erregt."

Albert Borowski wollte bei dieser Intrige gegen den allseits geachteten Präsidenten Karnitz nicht mitmachen. Auch sollte er einzelne Landräte umgehend entlassen. Tatsächlich wurde auch durch den Nachfolger Borowskis die Mehrzahl der betroffenen Beamten kurzzeitig beurlaubt oder mit einer Geldbuße belegt. Borowski blieb in seinem seit 1920 wahrgenommenen Amt als besoldeter Stadtrat in Königsberg und war von 1926 bis 1932 Mitglied des Preußischen Staatsrates, seit 1810 in Preußen ein Kollegium zur Begutachtung wichtiger Staatsangelegenheiten. 1933 wurde er durch die Nationalsozialisten im Rahmen des Berufsbeamtengesetzes aus allen Positionen entlassen.

Albert Borowski hat viele Jahrzehnte hindurch den Menschen in Ostdeutschland in verantwortlichen Stellungen gedient. Der "Mann mit dem Barte", wie er ob seines langen weißen Vollbartes hieß, war eine nicht nur in Rudau bekannte Erscheinung. Fritz Gause beschreibt ihn als eine in der ganzen Provinz wegen seiner Fähigkeiten und Solidität geschätzte Persönlichkeit. Daran hat sich auch unter den Nationalsozialisten nichts geändert. In Rudau bewohnte er zurückgezogen mit seiner Frau von 1935 bis 1945 ein alleinstehendes Haus. Das etwas außerhalb Rudaus am Fußweg nach Maldaiten gelegene Gebäude war in guten Tagen sein Sommerhaus gewesen und diente ihm jetzt als Zufluchtsstätte. Möglicherweise hat Borowski in jenen Jahren versucht, seine materiellen Verhältnisse durch eine Tätigkeit als Gemeindesekretär im Gemeindebüro von Rudau zu verbessern.

Man kann sagen, daß Albert Borowski den NS-Staat verhältnismäßig unbeschadet überlebt hat, trotz seiner eindeutigen politischen Gegnerschaft. Die ein- rückenden "Befreier" jedoch töteten ihn. Als sie am 28. Januar 1945 Rudau besetzten, war Albert Borowski als Mitkämpfer der ostdeutschen sozialdemokratischen Arbeiterbewegung in der Annahme, ihm und seiner Frau würde nichts passieren. Er war in Rudau verblieben. Unter den Menschen, die in Rudau beziehungsweise im Samland zwischen 1945 und 1948 totgeschlagen wurden, elend verhungerten oder an Epidemien verstarben, befanden sich jedoch auch Albert Borowski und seine Frau.

Elsa Kolb berichtet 1952 in einer handschriftlichen Adressenübersicht an die Kreisgemeinschaft Fischhausen in Pinneberg, daß Albert Borowski und seine Frau erhängt worden seien. Allgemein wird berichtet, daß im Januar 1945 der Königsberger Stadtrat und Staatsrat Albert Borowski mit seiner Frau beim Einmarsch der Russen umgebracht worden sei. Zeugen unter den Überlebenden dieser entsetzlichen Zeit in Rudau, die Einzelheiten von den letzten Lebenstagen und dem Sterben dieses alten Ehepaares überliefert hätten, gibt es allerdings kein
 
     
     
 
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