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Als erstes werden wir entrümpeln

 
     
 
Daß es Schleswig-Holstein nicht gut geht, zieht keiner in Zweifel. Dennoch ist der Ruf nach einem Regierungswechsel im nördlichsten Bundesland verhalten. Ministerpräsidentin Heide Simonis (SPD) versteht es, sich positiv in Szene zu setzen. Ihre rot-grüne Regierung will der Spitzenkandidat der CDU, Peter Harry Carstensen, ablösen, doch hat er gegen "Heide", wie sie sich den Schleswig-Holsteinern präsentiert, einen schweren Stand.

Das Gespräch führte Nina Schulte

Herr Carstensen, vor ein paar Monaten lag die schleswig-holsteinische
CDU noch in den Umfragen deutlich vor der SPD. Heute, kurz vor dem Wahltag, sieht es nach einem Kopf-an-Kopf-Rennen aus. Glauben Sie noch daran, daß Rot-Grün von einer bürgerlichen Koalition abgelöst werden kann?

Carstensen: Ich bin sehr zuversichtlich, da die Stimmung, die wir draußen erleben, eine völlig andere ist, als die Umfragen ergeben. Die Menschen wollen über Sachthemen und über ihre Probleme sprechen, und sie sind es leid, daß über ganz andere Dinge geredet wird. Wir haben über Katastrophen und vor Weihnachten auch über Personalien geredet. Jetzt kann es endlich in die Vollen gehen, und insofern bin ich fest davon überzeugt, daß wir auch die Wahl gewinnen.

Daß es einen Stimmungsumschwung, der natürlich nicht nur Schleswig-Holstein, sondern die Union insgesamt betrifft, in den letzten Wochen gegeben hat, ist ja nicht zu bestreiten. Wie kann man sich diesen Umschwung erklären?

Carstensen: Ich sagte gerade, wir haben vor Weihnachten über Personen geredet. Wir haben andere Themen nicht in den Mittelpunkt stellen können. Wir haben die Flutkatastrophe gehabt, die natürlich alles überdeckt hat. Das ist eine Zeit, wo sich Regierende besser darstellen können, weil sie handeln können. Ich bin aber davon überzeugt, daß innenpolitische Themen wie Arbeit und Wachstum, die Verschuldung des Landes oder die schulische Situation jetzt in den Vordergrund treten. Wenn darüber nachgedacht wird, dann glaube ich, daß die Situation für uns wesentlich besser ist. Natürlich spielt Rückenwind aus Berlin eine große Rolle. Gegen den Trend werden wir nicht vollständig arbeiten können. Die Entscheidung, Volker Kauder jetzt zum Generalsekretär zu machen, ist eine gute Entscheidung gewesen. Er ist einer, der eine Landespartei sehr gut kennt, er ist ja lange Generalsekretär in Baden-Württemberg gewesen. Wir haben jetzt sehr viel Rückenwind, Rückhalt und Unterstützung auch aus Berlin, und damit werden wir es auch schaffen.

Wenn Sie es schaffen, nach dem 20. Februar die neue Landesregierung mit der FDP bilden zu können, was würden Sie dann zuerst anpacken?

Carstensen: Wenn Sie eine heruntergekommene Wohnung übernehmen, was machen Sie als erstes? Dann entrümpeln Sie. Und das werden wir tun. Wir machen erst einmal einen Kassensturz. Ich habe überhaupt kein Vertrauen zu den Zahlen, die uns jetzt genannt werden. Wir haben eine riesige Verschuldung und haben kaum mehr Spielraum.

Zweitens müssen wir uns Gedanken machen, wie wir die Wirtschaft wieder in Gang bringen und in dem Zuge vieles entbürokratisieren. Wir müssen den Menschen und der Wirtschaft in Schleswig-Holstein wieder Freiraum geben - das ist etwas, was nichts kostet - und werden uns in den ersten Monaten auf das konzentrieren müssen, was nichts kostet.

Das dritte, was wir machen müssen: Die insbesondere von den Grünen im Bereich der Umweltpolitik aufgebauten Blockaden, wie die Flora-Fauna-Habitat-Gebiete und Vogelschutzgebiete, kommen auf den Prüfstand. Wir werden diese Blockaden überwinden.

Und schließlich: Wir werden alles, was wir auch bei uns auf eigenen Agenden haben, überprüfen, und fragen, ob es noch zu den wesentlichen Punkten der Politik gehört. Bei uns gibt es vier wesentliche Punkte. Das erste ist Arbeit und Wachstum, das zweite sind die Bildungschancen unserer Kinder, das dritte ist die Vereinbarkeit zwischen Familie und Beruf, und das vierte ist die Unterstützung des gesellschaftlichen Engagements, also des Ehrenamtes. Und alles, was nicht mindestens in eines dieser Felder einzuordnen ist, wird nicht getan. Wir haben kein Geld und keine Zeit mehr für Spielwiesen.

Sie haben im Wahlkampf die Bildungs- und Schulpolitik besonders ins Zentrum gestellt. Glauben Sie, daß man mit dieser Thematik bei Landtagswahlen genügend Leute mobilisieren kann?

Carstensen: Es gibt zwei Themen, die mit weitem Abstand die Leute interessieren. Ganz vorn ist Arbeit und Wachstum, sind die Arbeitsplätze, das ist das wichtigste Thema. Das zweite ist die Bildungsfrage. Insofern können wir damit mobilisieren, insbesondere in einer Landtagswahl, weil nun gerade Bildung und Kultur originäre Landespolitik ist. Insofern ist es notwendig, sich darüber Gedanken zu machen. Zweitens haben wir hier auch die größten Unterschiede. Die SPD und die Grünen wollen die Einheitsschule, wir wollen sie nicht. Unsere Kinder sind unterschiedlich, wir wollen unsere Kinder nach ihren Befähigungen, nach ihren Stärken und auch nach ihren Schwächen fördern. Ein schwacher Schüler muß anders gefördert werden als ein starker Schüler, und ein starker Schüler darf nicht darunter leiden, daß der schwache Schüler in seiner Klasse mehr Zeit braucht. Das ist eine Politik, die sich auf mehr Leistung in den Schulen und auf Vergleichbarkeit konzentriert. Dies bedeutet auch mehr Freiheit für die Schulen, was die Zusammenstellung des Lehrerkollegiums angeht, um so auch den wirklich bedrohlichen Unterrichtsausfall in Schleswig-Holstein zu beenden.

Bei der Bildungspolitik spielt ja auch die Föderalismusreform, über die jetzt die Verhandlungen leider festgefahren sind, eine wesentliche Rolle. Wie sehen Sie da die Zukunftsaussichten?

Carstensen: Der Pisa-Sieger ist nicht Finnland, sondern Kanada. Und Kanada hat gerade im Bildungssystem ein föderales System, was eben mit der Kultur der Länder dort auch die Bildungspolitik betrifft. Ich glaube, dieser Wettbewerb ist eine Stärke, die wir haben. Ich sehe gar nicht ein, daß wir auch hier schon wieder zu Nivellierungstendenzen kommen sollen. Nein, wir haben gute Pisa-Länder, sie liegen alle im Süden, und wir haben schwache Pisa-Länder, die liegen zum großen Teil im Norden, und Schleswig-Holstein gehört dazu. Das hat etwas mit der politischen Ausrichtung zu tun. Bildungspolitik ist eine Sache, die im Land bleiben soll. Forschungspolitik und Bildungspolitik gehören selbstverständlich auch koordiniert. Man muß über Instrumente nachdenken. Christian Wulff hat das bei der KMK gemacht, das ist richtig. Grundsätzlich ist Bildungspolitik bei den Ländern zu belassen. Es ist bedauerlich, daß daran die Föderalismuskommission jetzt gescheitert ist, sie wird aber wieder in Gang kommen.

Schleswig-Holstein steht im Ländervergleich bei den wirtschaftlichen Eckdaten nicht gerade rosig da. Was ist nach Ihrer Einschätzung da die Hauptursache, falsche Landespolitik oder der Druck, der von der Bundespolitik kommt?

Carstensen: Wenn so etwas schief gegangen ist, und in Schleswig-Holstein ist viel schiefgegangen, dann ist immer die Bundespolitik schuld; und Europa wird die Schuld gegeben. Wenn es etwas Gutes ist, dann ist es immer das Land gewesen. Nein, wir haben Bundesländer, die zeigen, daß man auch gut regieren kann, und leider sind auch die wieder im Süden. Wir haben eine Landesverschuldung, die in Schleswig-Holstein bei 6.800 Euro pro Kopf, in Bayern bei 1.600 Euro pro Kopf liegt. Wenn ich wenigstens die Zinsen dieser 5.200 Euro Differenz für Bildungspolitik und für Wirtschaftförderung ausgeben könnte, wäre ich sehr froh. Die Länder, die in den letzten Jahren einen Wechsel erlebt haben, wie Hamburg, Niedersachsen, Saarland und Hessen, beweisen, daß man plötzlich von hinteren Positionen nach vorn aufsteigen kann. Ganz deutlich wird es auch bei Christian Wulff in Niedersachsen, das vor zwei Jahren noch an zweitletzter Stelle stand, was wirtschaftliches Wachstum angeht, und heute an vierter Stelle der Bundesrepublik steht. Das heißt, die Stimmung ist eine andere geworden, und das Umfeld für Wirtschaft hat sich verändert.

Wir haben alle die gleichen europäischen Rahmenbedingungen - Dänemark genauso wie Deutschland - und wir haben in Deutschland alle die gleichen bundespolitischen

Rahmenbedingungen, Bayern, Baden-Württemberg, Niedersachsen, Schleswig-Holstein. Damit ist nicht zu erklären, daß es Unterschiede gibt. Wenn man schlecht regiert, gehen die Daten runter, wenn man gut regiert, gehen sie nach oben. Deswegen brauchen wir einen Wechsel, wir wollen wieder gut regiert werden.

Wie sehen denn Ihre Rezepte aus, was wollen Sie alles besser machen, und wie wollen Sie es besser machen?

Carstensen: Wir sind ganz weit davon entfernt, über den Abbau von Schulden zu reden, wir müssen erst einmal sehen, daß wir von dieser Neuverschuldung herunterkommen. Das wird uns zehn Jahre kosten. Wir brauchen wieder Spielraum in der Politik, wir brauchen Wachstum, weil wir durch Sparen nicht mehr in der Lage sein werden, den Haushalt zu konsolidieren, und wir brauchen ein Wirtschaftsklima, das auch die Betriebe wieder ermuntert zu investieren. Wir jagen doch, wenn ich die Äußerungen von Frau Simonis zur Firma Dräger gehört habe, mit dem schlechten Klima die Leute aus dem Land. Wir müssen entbürokratisieren, wir brauchen schnelle Entscheidungen, wir brauchen Sicherheit in den Entscheidungen, wir brauchen schnelle Planungsabläufe, und wir brauchen eine bessere Verkehrsanbindung, auch das liegt im argen; sonst sind wir nämlich bei der Entwicklung, die wir in Osteuropa und um die Ostsee herum bekommen, abgeschnitten, und dann hat niemand ein Interesse, durch Schleswig-Holstein zu fahren und in Schleswig-Holstein zu investieren. Das sind die Dinge, die vorrangig anliegen.

Wir erleben einen Boom in Hamburg, und wir wollen ein bißchen was davon abhaben. Wir müssen ausgesprochen eng mit Hamburg zusammenarbeiten. Wenn man weiß, daß allein aus den Kreisen Stormarn, Pinneberg und Segeberg jeden Tag über 150.000 Menschen nach Hamburg hineinpendeln, dann weiß man, wie eng die Zusammenarbeit sein muß. Wir haben ein Interesse an Arbeitsplätzen, und da spielt es nicht die erste Rolle, ob sie nun nördlich oder südlich der Landesgrenze sind. Wir haben auch ein Interesse an Arbeitsplätzen im Hamburger Hafen, am Hafenausbau und an Arbeitsplätzen bei Airbus.

Schleswig-Holstein ist ein Land, das heute noch einen sehr hohen Anteil von Heimatvertriebenen hat. Gerade in den letzten Jahren ist es ihnen von der Landespolitik nicht immer leicht gemacht worden, sich hier heimisch zu fühlen. Was haben Sie diesen Menschen, die ja auch eine nicht unbeträchtliche Zahl von Wählern darstellen, zu sagen?

Carstensen: Gerade auch die Heimatvertriebenen haben Schleswig-Holstein mit verändert, mit aufgebaut. Sie können stolz sein auf ihre Leistung, die sie in Schleswig-Holstein erbracht haben. Das Land Schleswig-Holstein würde sich so nicht darstellen, wenn wir die vielen Heimatvertriebenen und den zu einem großen Teil von ihnen aufgebauten Mittelstand nicht hätten. Ich finde, sie sollten von denjenigen, die immer in Schleswig-Holstein gelebt haben, auch Anerkennung finden. Für mich ist das eine Bereicherung, wir haben mehr Kultur bekommen, wir haben viele neue Ideen bekommen, und ich finde, dieses muß man anerkennen und sie müssen in die Lage versetzt werden, ihre Beziehungen zur alten Heimat auch in Schleswig-Holstein leben zu können. Das ist früher so bei Kai-Uwe von Hassel gewesen, das ist bei Gerhard Stoltenberg so gewesen, die die Kultur der Heimatvertriebenen als Herzensangelegenheit mit unterstützt haben, und ich glaube, das ist etwas, was wir auch tun müssen. Wir dürfen nicht meinen, das sind Leute, die revanchistische Gedanken haben, sondern das sind inzwischen Schleswig-Holsteinerinnen und Schleswig-Holsteiner - mit einem anderen Hintergrund, mit einem sehr befruchtenden und positiven Hintergrund, und wenn man jetzt an die EU-Osterweiterung denkt, auch mit einer speziellen Zukunftsperspektive. Die Heimatvertriebenen sind schließlich prädestiniert, Brücken zu bauen, mit denen die Osterweiterung der EU dann wirklich mit Leben erfüllt werden kann.

Wir haben natürlich schon die zweite und zum Teil die dritte Generation, aber die Beziehungen oder zumindest ein Gefühl für die Region, mit der wir zusammenarbeiten wollen, dem Ostseebereich, ist noch vorhanden. Die Hanse hat nicht von Differenzen gelebt, sondern die Hanse hat Reichtum dadurch gebracht, daß man Gemeinsamkeiten gelebt hat. Wir müssen nicht das Trennende, sondern das Verbindende betonen und jeden, der Erfahrung mit den osteuropäischen Ländern, mit Polen, Rußland, dem Baltikum, insbesondere auch mit Ostdeutschland hat, einbinden, weil das zu einem Nutzen für das ganze Land sein kann.

Peter Harry Carstensen
 
     
     
 
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