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Als sein nachgelassenes Werk "Geschichte eines Deutschen. Die Erinnerungen 1914 – 1933" im letzten Winter erschien, überschlug sich die Kritik vor Begeisterung. "Eine fulminante Endeckung: Sebastian Haffners erstes Buch, vielleicht sein bestes überhaupt", hieß es und Franziska Augstein jubelte in der FAZ: "Dies ist ein wunderbares Buch. Blatt für Blatt hält es die Höhe, nimmt gefangen und reißt mit. Sicher wird es das Sachbuch des Jahres werden – in seiner Bedeutung wie in der verkauften
Auflage."

Etwa ein halbes Jahr früher hatte der Droemer/Knaur Verlag ein anderes Buch Haffners veröffentlich: "Zwischen den Kriegen / Essays zur Zeitgeschichte". Wer vor allem das Kapitel "Neue Kritik" liest, den beschleichen tiefe Zweifel – kann es sich bei den beiden Büchern tatsächlich um ein- und denselben Autor handeln? Oder hat da einer in jungen Jahren die Fähigkeit zum analytisch klaren Blick gehabt, der ihm in der zweiten Lebenshälfte abhanden gekommen ist?

Was Sebastian Haffner in den Jahren 1967 bis 1972 vor allem im "Stern" geschrieben hat, läßt eine gestörte Wahrnehmungsfähigkeit der politischen und gesellschaftlichen Wirklichkeit der damaligen Bundesrepublik erkennen, die den Publizisten Haffner entzaubert und auf die Größe eines kleinen linkslastigen Agitprop-Schreibers schrumpfen läßt.

Im Jahre 1968, dem Geburtsjahr der studentischen Protestbewegung, formulierte Haffner: "Tatsächlich sind wir hier schon mitten in der Frage, um die es geht. Ist die Bundesrepublik als Demokratie noch zu retten? Oder ist der Sog eines neuen Faschismus, in den sie offensichtlich geraten ist, schon unaufhaltsam, unumkehrbar geworden, und kann nur eine sozialistische Revolution die Demokratie in Westdeutschland wiederherstellen?" Und ein Paar Seiten weiter heißt es: "Die Außenpolitik der Bundesrepublik, vom Kalten Krieg gezeugt, ist Kriegspolitik – von Anfang an und immer noch, trotz der gewundenen verbalen Abschwächungen, mit denen sie neuerdings bemäntelt wird. Kriegspolitik nach außen aber zieht Unterdrückungspolitik nach innen zwangsläufig nach sich – im Deutschland Springers nicht weniger als im Deutschland des Kaisers und Hitlers."

Man muß sich diese unglaublichen Sätze auf der Zunge zergehen lassen – die Bundesrepublik anno 1968 als kriegslüsternes Monster, das sich dazu anschickt, die eigene Bevölkerung "nicht weniger" als Hitler zu unterdrücken. Hier hat Haffner seinen eigenen Vorurteilen und denen der damals herrschenden politischen Klasse (die leider noch immer die öffentliche Meinung prägt) freien Lauf gelassen. Haffner wird nicht müde, dieses Schreckensszenario in allen Einzelheiten zu beschreiben: "Eine radikale Umkehr in der Außenpolitik ist daher das erste Erfordernis, wenn die Bundesrepublik gerettet werden soll – nicht nur vor dem dritten Krieg und der dritten Niederlage, denen sie sonst eines Tages nicht entgehen wird, sondern schon vor dem Bürgerkrieg und der Schreckensherrschaft im Inneren, die jetzt als unmittelbar drohende Gefahren vor der Tür stehen."Haffner besaß die Fähigkeit, den Unsinn, den er mit diesen apokalyptischen Prognosen zu Papier brachte, sogar noch zu steigern: "... und nun die Notstandsverfassung, die eine CDU/SPD-Koalition jetzt verabschiedet hat und die eine CDU/NPD-Koalition in ein paar Jahren anwenden wird."

Bei der folgenden Passage müssen Haffner sämtliche Sicherungen durchgebrannt sein. Über die Berliner Studentenunruhen schrieb er 1968: "Niemandem fällt die Parallele mit dem Warschauer Ghettoaufstand vor genau 25 Jahren auf: Hier wie dort der getretene Wurm, der sich krümmt, die verfolgte Minderheit, die sich ohnmächtig, mit rührend unzulänglicher Gewalt, gegen ihren übermächtigen Verfolger aufbäumt. Heute wie damals als Reaktion nur Entrüstung gegen dieses gewaltsame Aufbäumen – und Verschärfung der Verfolgung." Dieser unerhörte Vergleich zwischen dem Aufstand zutiefst verzweifelter, vor Hunger und Krankheit krepierender Juden und der spaßgeprägten Revolte satter Kinder des deutschen Bürgertums ist mehr als eine Geschmacklosigkeit – er ist zutiefst infam und verharmlost die Verbrechen des Dritten Reichs.

Während die Bataillone der 68er zum Marsch durch die Institutionen aufbrachen, lieferte Haffner solidarische Begleitmusik: "Die Revolution, von der die neue Linke spricht, ist ein zartes, gebrechliches Pflänzchen, von dem noch keiner sagen kann, ob es nicht bald genug von selbst wieder verkümmern wird, wie das deutsche Revolutionen so an sich haben (vielleicht wäre es sogar schade darum). Der Faschismus aber ist bereits wieder eine ausgewachsene, unmittelbar bedrohliche Macht in Deutschland. Diese Gefahr heraufgeschworen, die schlafende Bestie geweckt zu haben – das ist es ja gerade, was viele Liberale der neuen Linken und ihren revolutionären Gesten im stillen zum Vorwurf machen ... Der größte Fehler, den Liberale heute machen könnten, wäre, der gereizten Bestie ihre machtlo- sen Feinde zum Fraß vorzuwerfen.

Das würde ihr nur Appetit auf mehr machen, und die nächsten, die dann gefressen würden, wären die Liberalen selbst. Sei es auch nur um der Erhaltung des Liberalismus und der Offenhaltung der gesellschaftlichen Zukunft willen, die Parole muß jetzt und bis auf weiteres für jeden Liberalen lauten: Frieden mit der neuen Linken, Kampf dem Faschismus!"

Kein Zweifel: wir müssen nach jemand anderem Ausschau halten, der uns als Zeitzeuge die bundesrepublikanische Geschichte authentisch erzählt. Vergessen wir Haffner.

 
     
     
 
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