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Auch Goethe war dort gern zu Gast

 
     
 
Als Johanna Schopenhauer mit ihrer neunjährigen Tochter Adele 1806 in Weimar eintraf, zählte die kleine Residenzstadt an der Ilm etwas mehr als 6000 Einwohner. Das alte herzogliche Schloß hatte ein Brand vernichtet, gerade erst drei Jahre lang residierte der sächsisch-weimarische Hof in dem neuen Schloßgebäude, das unter maßgeblichem Einfluß Goethes nach mancherlei Schwierigkeiten fertiggestellt werden konnte. Johann Wolfgang von Goethe
wurde schon als 26jähriger an den Hof des Herzogs Carl August nach Weimar gerufen, wo er hohe Staatsstellungen einnahm.

Johanna Schopenhauer geborene Trosiener (1766-1838) hatte mit 18 Jahren den 20 Jahre älteren Handelsherrn Heinrich Floris Schopenhauer geheiratet. Einige Jahre nach der Geburt des Sohnes Arthur verlegte das Ehepaar seinen Wohnsitz von Danzig nach Hamburg, wo der Vater auf ungeklärte Weise ums Leben kam. Es ist erstaunlich, mit welcher Zielstrebigkeit die lebensfrohe, gut situierte Witwe den deutschen Musensitz zum künftigen Wohnsitz erkor, gedachte sie doch, dort eine ganz bestimmte Rolle zu spielen. Sie bezog eine Wohnung an der Esplanade, nahe dem Theater und schloß die ersten Bekanntschaften.

Die Übersiedlung nach Weimar fiel in eine unruhige Zeit. Nach der preußischen Niederlage bei Jena überschwemmten französische Soldaten das Ilmstädtchen, es kam zu Plünderungen, wer sich widersetzte, wurde schwer mißhandelt. Auch in die Wohnung der Madame Schopenhauer drangen Soldaten ein. Es gelang ihr jedoch, französisch parlierend und Geschenke verteilend, die Eindringlinge zu besänftigen, was sich schnell herumsprach. Um "einander die trüben Tage wechselseitig zu erheitern", versammelten sich nun öfter Gäste bei Johanna Schopenhauer.

Die Zurückhaltung der Weimarer Gesellschaft gegenüber der Frau Geheimrätin Goethe, die nicht als hoffähig galt, mochte Johanna keineswegs teilen. Schon einen Tag nach der Eheschließung des Dichters mit Christiane Vulpius stellte Goethe seine Gattin Madame Schopenhauer vor. In einem Brief an den Sohn Arthur findet sich der Satz: "Ich denke, wenn Goethe ihr seinen Namen gibt, können wir ihr wohl eine Tasse Tee geben." Johannas Wunsch, die zwanglosen geselligen Zusammenkünfte in ihrem Hause weiter auszubauen, nahmen konkrete Formen an, als Goethe seine Unterstützung in Aussicht stellte. So begann dann am 12. November 1806 die Reihe der Teeabende, die in ganz Deutschland zu einer Berühmtheit werden sollten: "Alle Sonntage und Donnerstage von fünf bis gegen neun versammeln sich meine Freunde bei mir; was an interessanten Bekannten herkommt, wird mitgebracht. Ich gebe Tee, nichts weiter; das übrige Vergnügen muß von der Gesellschaft selbst entstehen." Gespräche über Krieg und Politik waren verpönt.

Sehr angenehm empfanden die Besucher auch die Abwesenheit jedes Zwanges. Goethe konnte sich als Gast, ohne besondere Verpflichtung, bei Madame Schopenhauer weit freier geben als zu Hause, wenn er selbst Gäste empfing. Johanna stellte ihm in einer Ecke des Zimmers ein Tischchen mit Zeichenmaterialien bereit. Wenn der Geheimrat keine Lust zur Unterhaltung mit anderen verspürte, nahm er dort Platz, skizzierte oder tuschte mit leichter Hand kleine Landschaften aus der Erinnerung, die zum Teil in das erhalten gebliebene "Reise-, Zerstreuungs- und Trostbüchlein" Eingang fanden.

Johanna Schopenhauer war nicht die einzige Danzigerin, die vom Glanz des Goetheschen Musenhofes angezogen wurde. Auch Ottilie von Pogwisch (1796-1872) kam mit ihrer Mutter nach Weimar, gelangte in den Bannkreis um Goethe, lernte dessen Sohn August kennen, den sie im Jahre 1817 ehelichte. Goethe sah in der Einheirat seines Sohnes in die Familie v. Pogwisch einen gewissen standesgemäßen Ausgleich für die voreheliche Geburt des Sohnes August. Er nannte die junge Schwiegertochter zärtlich "sein Töchterchen". Von Haushalt und Küche soll die Danzigerin allerdings nicht viel verstanden haben, um so mehr lebte sie sich in die Geisteswelt des Dichters ein. Ottilie v. Goethe schenkte ihrem Gatten August zwei Söhne und eine Tochter, mit denen der Name v. Goethe erlosch. August v. Goethe starb 1830 in Rom, zwei Jahre vor seinem Vater. Die geistig regsame Ottilie war eng befreundet mit Adele Schopenhauer (1797-

1849), der Schwester des Philosophen, die im Hause am Frauenplan ein und aus ging. Adeles Tagebücher enthalten eine Fülle von Beobachtungen des Goethe-Kreises. Der Dichter schätzte das kluge Mädchen, er liebte ihre reizvollen Scherenschnitte, die in einigen Versen Goethes an den Maler Rösel verewigt worden sind:

Schwarz und ohne Licht

und Schatten

Kommen,

Röseln aufzuwarten,

Grazien und Amorinen;

Doch er wird sie

schon bedienen.

Uns mit Linien vorzuhexen,

Wird er auch

Adelens Klecksen,

Zartumrißnen, Licht

und Schatten,

Solchen holden Finsternissen,

Freundlich

zu verleihen wissen.

Zum Teilnehmerkreis des ersten bürgerlichen Salons in Deutschland zählten alle Weimarer Persönlichkeiten von Rang, neben zahlreichen Besuchern Goethes. Darunter Karl Ludwig Fernow, Kunstschriftsteller und Bibliothekar der Herzogin Anna Amalia; der Dichter Christoph Martin Wieland, als Erzieher des Erbprinzen Carl August in die thüringische Residenzstadt gerufen, mit ihm begann die große literarische Epoche. Dann der Königsberger Dichter und ehemalige preußische Beamte Zacharias Werner, dessen Drama "Wanda, Königin der Sarmaten" Goethe im Hoftheater aufführen ließ.

Seit 1798 lebte auch der Danziger Johann Daniel Falk in Weimar. Sein zeitweise nahes Verhältnis zu Goethe schilderte er in einer der ersten Biographien des Olympiers, "Goethe aus näherem persönlichem Umgange dargestellt". Gerne besuchten auch bildende Künstler Johannas Salon. Carolina Bardua malte Johanna zusammen mit ihrer Tochter, Gerhard von Kügelgen gestaltete mehrere Porträts Goethes, aber auch ein schönes Ölbildnis der Gastgeberin, das sich heute in Weimar befindet.

Die Glanzzeit der Teeabende dauerte ungefähr zehn Jahre. Als Goethe sich später zurückhielt, blieb das freundschaftliche Band über Adele Schopenhauers Freundschaft mit der Schwiegertochter des Dichterfürsten weiterhin geknüpft.

Angeregt durch die geistige Atmosphäre Weimars entdeckte Johanna, die auch als Malerin Talent besaß, ihre poetische Begabung. Es erschienen die "Erinnerungen von einer Reise durch England und Schottland in den Jahren 1803-1805", die sie mit Mann und Sohn unternommen hatte. Später folgten eine Reihe von Erzählungen und Romanen, darunter "Gabriele". Von diesem Roman sagte Goethe, "daß er ein reines Leben voraussetzt und alles nach dem Wirklichen gezeichnet ist".

Die lebensfrohe Witwe schloß erste Bekanntschaften

Dichter und Maler gaben sich die Klinke in die Hand

Im Haus am Frauenplan: Goethe beim Betrachten einer Zeichnung mit den beiden Enkeln Wolf und Walther, im Hintergrund stehend die Danzigerin Ottilie von Goethe, Eckermann und Coudray (Bleistift- und Federzeichnung von Neureuther, um 1830)
 
     
     
 
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