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Auf der Suche nach dem Glück

 
     
 
Es ist das älteste Thema der Menschheit - jedenfalls seit der Zwangsräumung des Paradieses - und dennoch immer wieder neu: Die Suche nach dem Glück. Sie scheint in unseren Tagen erneut aus dem Schattendasein der öden politischen und wirtschaftlichen Debatten hervorzutreten und die Gesellschaft zu beleben. Ein großes Polit-Magazin macht daraus die Titelgeschichte, eine seriöse, weltweit verbreitete Tageszeitung widmet diesem Streben eine ganze Seite. Sind das die Vorboten einer Gegenbewegung zu der larmoyanten Miesmacherei, zur "kollektiv
en Depression" (Ulrich Beck), die die Deutschen seit langer Zeit befallen hat? Selbst Bismarck fragte schon, wer denn einen glücklichen und ausgeglichenen Landsmann kenne, und der scharfsinnige Journalist Johannes Groß bemerkte zu dem Phänomen, daß die Deutschen eben nicht lösungsorientiert diskutierten, sondern theologisch, sie suchten immer einen Schuldigen. Etwas gelassener und allgemeiner sah das der Dichterfürst Goethe. Es gehe, meinte er zu

Eckermann, "uns alten Europäern mehr oder weniger allen herzlich schlecht".

Diese und ähnliche Befunde treffen für die Politik zweifellos zu. Um so erstaunlicher ist es, daß gerade die Jugend, um deren düstere Zukunft es in den inhaltsleeren Debatten der Politiker geht, die Suche nach dem Glück nicht aufgegeben hat. Im Gegenteil, die Papstwochen im April und auch das Weltjugendtreffen in Köln zeigen ebenso wie sämtliche Umfragen der letzten Jahre, daß die meisten jungen Menschen auch heute noch den inneren Kompaß für diese Suche nicht verloren haben. Der Schatz am Fuße des Regenbogens ist in ihren Herzen. Einer, der jahrelang suchte und den Schatz schließlich fand, formulierte es in seinen späteren "Bekenntnissen" (Kapitel 23) so: "Das glückliche Leben ist nichts anderes als die Freude, welche die Wahrheit erzeugt und diese Wahrheit findet man in Dir, Herr, in Dir der höchsten Wahrheit." Es war der heilige Augustinus und seine Erkenntnis deckt sich mit der Sehnsucht nach Geborgenheit, Sicherheit, Freundschaft, Liebe, die die jungen Menschen in Rom, Köln und sonstwo auf der Welt suchen und nicht selten auch in ihren bis dahin "unruhigen Herzen" finden.

Kinder, Familie, Freundschaft, Treue sind die Begriffe mit den höchsten Werten in den Umfragen. Mit ihnen wird Glück und Erfüllung assoziiert. Das ist keine neue Erkenntnis, auch keine von angeblich konservativen Geistern. Jean Jacques Rousseau hat diese Begriffe der Gemeinsamkeit so beschrieben: "Der Mensch, das soziale Wesen, ist immer wie nach außen gewendet: Lebensgefühl gewinnt er im Grunde erst durch die Wahrnehmung, was andere von ihm denken." Deshalb ist, wie der Pädagoge Don Bosco meinte, "das erste Glück eines Menschen das Bewußtsein, geliebt zu werden".

Die Hirnforschung bestätigt diese Erkenntnisse neuerdings empirisch. Wenn ein neugeborenes Kind seine Mutter erblickt, dann, so haben amerikanische Neurologen festgestellt, kommt Bewegung ins Hirn. Es ergeben sich Strömungen, die typisch sind für Glücksgefühle. Das neugeborene Kind weiß noch nichts, aber es ist glücklich. Es fühlt sich geborgen. Es fühlt sich geliebt. Bleibt diese Liebe aus, kommt es zu Ängsten, zu Barrieren des Glücks. Dann werden zwei erbsengroße Teile des Gehirns, die Mandelkerne blockiert. Dort entstehen offenbar alle Emotionen, mithin auch die Glücksgefühle. Diese neurobiologische Anlage wird durch die Umwelt angeregt, die Gehirnbotenstoffe Dopamin und Serotonin auszuschütten, die wiederum die Stimmungslage, das Wohlbefinden, beeinflussen. In diesem Fall ist es das Lächeln der Mutter. Ganz allgemein ist es das Lächeln, die bekundete Bereitschaft zur Annahme und Bestätigung des Kindes. Liebe kann man zwar nicht sehen, aber man kann sie zeigen.

Der Mensch, vor allem der junge Mensch, braucht offenbar diese Zeichen. Sonst droht die emotionale Verarmung. Der deutsche Pädagoge und Psychotherapeut Reinhold Ortner formuliert dieses Bedürfnis so: "Jeder von uns braucht zu seiner psychisch gesunden Entwicklung ein seelisches Immunsystem. Dieses baut sich durch eine Grundnahrung aus Liebe, Zuwendung, Verständnis, Geborgenheit und Nestwärme auf. Vater, Mutter, Geschwister, Großeltern und andere Bezugspersonen müssen Tag für Tag dem Kind diese Grundnahrung schenken." Wenn Onkel, Tanten, Geschwister fehlen und der Rest der Verwandtschaft, die Eltern, permanent im Streß leben, wenn das Kind nur noch betreut und kaum noch geliebt wird, weil die Liebe und Beziehung auch Zeit braucht, dann gleitet eine Gesellschaft in einen Strudel emotionaler Verarmung. In diesem Prozeß befinden wir uns. Der mittlerweile anschwellende Diskurs über die Folgen des demographischen Defizits hat den emotionalen Faktor noch nicht entdeckt. Aber er ist es, der das Leben anmutig, schön, begeisternd oder auch zufriedenstellend macht. Verliebte sind im siebten Himmel, heißt es. Es sind aber nur die Emotionen, die Dopamine und anderen Botenstoffe, die so weit und so hoch tragen. Das Herz hat Gründe, die der Verstand nicht begreift, schrieb weniger biochemisch aber dafür um so menschlicher schon Blaise Pascal.

Der siebte Himmel - für viele Jugendliche ist das in diesen Tagen Köln. Die Begegnung mit anderen, mit Gleichgesinnten, die Freude im Glauben über alle Kulturgrenzen hinweg strahlt aus. Natürlich haben die Organisatoren auch manche Fehler gemacht. Aber die Echtheit dieser jungen Leute ist eine Lektion. Ihre Begeisterung für Ziele jenseits von materiellen Gütern, ihre aufrichtige Suche nach dem Glück, demoskopisch bekundet und pilgernd unternommen, ist ein Beispiel für nicht wenige Politiker. Sie messen die Ruhe ihres Herzens nicht an der Börse und auch nicht am Auf und Ab der Popularitätskurven. Für sie sind Werte keine rhetorische Ware, Überzeugungen keine Frage von Formulierungen. Sie erwarten von der Politik keine fertigen Konzepte oder Allheilmittel, das würde auch jeden Politiker überfordern. Aber sie erwarten Ehrlichkeit und den Mut, gesellschaftliche Probleme ungeschönt zu benennen und sachgerecht, also weder ideologisch noch parteipolitisch anzugehen. Was dann der einzelne aus seinem Leben macht, das bleibe ihm überlassen. Vielleicht lernt der eine oder andere Politiker etwas aus dem Kölner Ereignis für den Rest des Wahlkampfs. Man soll die Hoffnung ja nicht aufgeben, auch das gehört zur Suche nach dem Glück.
 
     
     
 
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