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Bilderwelt

 
     
 
Hängt man der Berichterstattung der öffentlich-rechtlichen Fernsehanstalten gläubig an, so mußte man zu Neujahr zu der Überzeugung gelangen, daß die Wegnahme der Mark und die Einführung der Euro-Währung das deutsche Volk geradezu in Begeisterung versetzt hatte: So wurde zu Jahresanfang berichtet, daß sich in der hessischen Metropole Frankfurt eine Vielzahl von Sympathisanten zu einem veritablen Volksfest eingefunden hätten, um die neue Währung wie die Heraufkunft einer außerirdischen Frohbotschaft zu feiern.

Doch schon die Bilder zeigten anderes: die Kamera in die horizontale Ebene gerichtet, ließ Kopf hinter Kopf, Leib hinter Leib erstehen, doch der Blick von oben aus der Höhe der kalten Betonriesen Frankfurts offenbarte, es hatte sich nur ein schmaler Kreis von Sympathisanten eingefunden; Freibier, aber vielleicht auch nur plärrende Lautsprecher und bunte Fähnchen locken noch allemal. Aber kaum ein Wunder, daß die großen Scharen wegblieben, lief doch die Einführung gegen die Absicht eines übergroßen Teiles (70 Prozent!) unseres Volkes ab. Doch nicht das vermaledeite Währungssystem soll hier interessieren, sondern die "Erziehung im Medienzeitalter", wie dies Bundespräsident Herzog insbesondere auch als politisch-demokratischen Erziehungsauftrag gegenüber "jungen Menschen" gefordert hatte.

Wie könnte nämlich die oben skizzierte Berichterstattung von jenen Jugendlichen kommentiert werden? Im gelindesten Fall als eine schlecht gemachte und leicht hingehuschte Art von Propaganda
schau. Aber im Wiederholungsfall? Denn – wie billig – , niemandem von Ahlbeck bis Freiburg und von Zittau bis Flensburg ist es eingefallen, solch eine vage Währungsverheißung wie den Euro zum Anlaß für Freudentaumel und Volksfeste zu nehmen. Aber wer inszeniert verantwortlich diese Welt der schönen Bilder...?

Angesichts solcher Gegebenheiten fragt der Bundespräsident nun, "wie können wir uns und unsere Kinder davor schützen, im Konsumrausch und Info-Schrott zu ersticken", denn "im Medien- und Informationszeitalter nehmen die Anforderungen an die Urteils- und Entscheidungskraft des Menschen dramatisch zu". Sehr richtig, doch der Frage nach der Urteilskraft muß die Frage nach dem Auftrag voran gestellt werden, der noch immer im Rahmen unseres Grundgesetzes seine Antwort finden muß. Von Propagandavorstellungen oder nicht hinreichend überzeugenden politischen Zielvorstellungen ist da ebensowenig die Rede wie von parteipolitischer Ausrichtung. Dabei kommt den öffentlich-rechtlichen Sendern eine herausragende Bedeutung zu, die gerade durch die Einführung von privaten Sendern in Funk und Fernsehen eigentlich noch wachsen sollte.

Doch der Vergleich mit einer beliebigen Programmzeitschrift etwa in der Rubrik Spielfilm zeigt mühelos an, daß das konkurrierende Element als Stimulans nicht aufgenommen worden ist: der Film, zumal die überseeische Dutzendware, ist zum kruden Spielmaterial für billige Trancezustände geraten, der vorab unterstellte Wettlauf um Skepsis und Ethik ist zu einem Quotenkampf um Einschalter verkommen. Doch nicht mündige Bürger profitieren davon, sondern pfiffige Aktionäre, denen die finanzielle Einlage für Sickergruben, Müllhalden oder auch für Verlage oder Filme gleich viel gilt.

Der Staat schweigt hier, weil er meint, Stalins und Honeckers blutige Spuren schreckten für immer, doch ist zum veritablen Umweltschutz nicht längst auch die Entsorgung des Ungeistes zugehörig.

Die politische Vision schwelgt von dem einem Europa, doch das Wesen und die Stärke unseres Kontinentes ist die Vielzahl seiner Nationen, seiner Regionen und Völkerschaften, aber die Masse der Spielfilme ist überseeisch dominiert. Wann lief der letzte finnische Film, wann der letze estnische? Wenn sich dieses Europa emanzipieren soll, dann doch nicht gegen irgendwelche Entwicklungsländer, sondern gegen die derzeit stärkste wirtschaftliche und militärische Macht. Oder?

Selbstverständlich gilt dies nicht nur für die Welt der schönen Bilder, sondern auch für den gesamten europäischen Duktus der "Erziehung im Informationszeitalter", der der Propaganda aus Unterwürfigkeit ebensowenig bedarf wie den dunklen Zeitvertreib der Massen.

 
     
     
 
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