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Chaos und völlige Anarchie?

 
     
 
Der Bund will sich nach den Vereinbarungen im Koalitionsvertrag fast ganz aus der Bildungspolitik zurückziehen und insoweit die Kompetenz für Rahmengesetze aufgeben. Durch die erste große Koalition auf Bundesebene (1966–69) ist das Grundgesetz dahin geändert worden, daß Gemeinschaftsaufgaben von Bund und Länder
n formuliert worden sind und dem Bund eine Kompetenz zur Rahmengesetzgebung für das Hochschulwesen eingeräumt wurde. Das hat sich lange als segensreich erwiesen, nicht zuletzt, weil damit auch eine finanzielle Beteiligung des Bundes einherging.

Wenn die Länder durch Exzesse der Bundesbildungsministerin der rot-grünen Koalition, Edelgard Bulmahn, aufgeschreckt worden sind (unter anderem Verbot von Studiengebühren, Abschaffung der Habilitation, Einführung der verfaßten Studierendenschaft als Zwangskörperschaft), ist nachvollziehbar, daß sie entsprechenden Tendenzen einen Riegel vorschieben wollen. Zwar hat das Bundesverfassungsgericht alle Versuche der früheren Ministerin als verfassungswidrig erklärt; die einmal eingenommene Haltung des größten Teils der Länder und der Union wird aber beibehalten, auch wenn unter der neuen Ministerin keine Übergriffe zu befürchten sind. Deshalb spricht viel dafür, es bei der bisherigen Regelung zu belassen. Zu bedenken nämlich ist, daß auch einmal ein Land in der Bildungspolitik „verrückt spielen“ kann. Man denke hier an Tendenzen, die in den 70er Jahren vor allem in Bremen, Berlin, Niedersachsen und Hessen die Betroffenen verunsichert haben. Namen wie Ludwig von Friedeburg und Peter von Oertzen standen für eine aus den Fugen geratene Politik, was unter anderem die Mitwirkung der Gruppen anging. Will man das verhindern, bedarf es eines Minimums an Gemeinsamkeit. Dazu gehören Regeln über den Zugang zu den Hochschulen und die Abschlüsse, ebenso die Festlegung der Personalkategorien und Teile des Dienstrechts. Derzeitig ist das Hochschulrahmengesetz im Verhältnis zu der ursprünglichen Fassung von 1976 weitgehend „entschlackt“. Die Länder haben große Freiheiten, das Hochschulrecht nach eigenem Gutdünken zu gestalten. Ob die bereits eingetretene Sprachverwirrung (so kann zum Beispiel der hauptamtliche Leiter Präsident, Rektor oder Vorstandsvorsitzender heißen) als Ergebnis der den Universitäten gegebenen Möglichkeiten wirklich sinnvoll ist, mag dahinstehen.

Die durch das Hochschulrahmengesetz gewährleistete begrenzte Einheitlichkeit hat in der Vergangenheit manchen hochschulpolitischen Unfug auf Länderebene verhindert. Ohne die durch das Gesetz gezogenen Grenzen wäre den Hochschulen an manchen Orten noch größerer Schaden zugefügt worden, indem zum Beispiel die sogenannte Drittelparität eingeführt und der Einfluß der Personalvertretung noch extremer ausgestaltet worden wären.

Zur Zeit deutet – außer in Berlin, wo im rot-roten Senat noch immer die Viertelparität herumspukt – in keinem Bundesland etwas darauf hin, daß es zu Ausschlägen in die eine oder andere Richtung kommt. Also sei die Zeit reif für eine Reduzierung der Bundeskompetenz. Gesetze haben aber auch eine präventive Wirkung. So wie die Zuständigkeit der Länder einerseits die Initiative der früheren Bundesministerin ins Leere laufen ließ, setzt andererseits eine begrenzte Zuständigkeit des Bundes den Ländern Grenzen. Ist dieses Gleichgewicht nicht gegeben, sind Extreme nicht auszuschließen.

Zweifelhaft erscheint auch, ob es klug ist, die Gemeinschaftsaufgabe Hochschulbau aufzugeben. Die Hochschulen in den finanzschwachen Ländern werden sich wundern, woher ihre Landesparlamente die 100prozentige Finanzierung hernehmen wollen. Manches Land hat nur wegen der Aussicht, einen Bundesanteil zu bekommen, Investitionen vorgenommen. Wenn dieser Anreiz entfällt, kann es in den Ländern zu weiteren drastischen Sparmaßnahmen und zu einem totalen Stop beim Hochschulbau kommen. Das wird zu einem noch größeren Qualitätsgefälle zwischen den Hochschulen führen. Schon heute ist ein Süd-Nord-Gefälle unbestritten. Das wird zum Beispiel auch bei den Selbsteinschätzungen der Universitäten erkennbar. In dem Wettbewerb um die zehn sogenannten Spitzenuniversitäten haben sich 27 beworben. Darunter sind keine aus Schleswig-Holstein, Hamburg und Mecklenburg-Vorpommern, hingegen sieben aus Baden-Württemberg und vier aus Bayern. Die Schere zwischen gut ausgestatteten Hochschulen und solchen, die auch in ihrer Bausubstanz schwere Mängel aufweisen, wird noch größer werden. Das hat Folgen für die Attraktivität bezüglich der Lehrpersonen und auch der Studierenden. Da Hochschulen nicht zuletzt auch die Qualität des Wirtschaftsstandorts bestimmen, sind auch insoweit Nachteile zu befürchten.

Gleichgültig, in welchem Umfang die Länder gestärkt werden – sie müssen die ihnen zustehenden Kompetenzen auch aktiv wahrnehmen. Bisher haben sie weniger agiert als reagiert. Damit es nicht zu einem Flickenteppich in der Bildungspolitik kommt, muß der Kultusministerkonferenz höheres Gewicht beigemessen werden. Das gilt vor allem für den Schulbereich. Jeder kennt doch die Klagen, daß Umzüge von einem Bundesland in ein anderes zum unwägbaren Risiko für die Schüler werden. Nimmt sich die Kultusministerkonferenz nicht erfolgreich solcher Themen an, wird bald wieder der Ruf nach größerer Zuständigkeit des Bundes ertönen.

Die Aufgabe von Zuständigkeiten des Bundes unter dem Aspekt des Wettbewerbs zu sehen, der dann eben bescheinigt, welche Politik die bessere ist, läßt außer acht, daß es nicht wünschenswert sein kann, ein völlig zerklüftetes Bildungssystem zu haben. Auch wenn das Prinzip „Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse“ nur bei der konkurrierenden Gesetzgebung genannt ist (Art. 72 Abs. 2 Nr. 3 GG), sollte es doch stets Zielvorstellung sein. Ein Ausscheren einzelner Länder kann die KMK allerdings nicht verhindern. Also bleibt nur die Hoffnung, daß es gut geht – oder das Abwarten bis zu einer erneuten Änderung des Grundgesetzes. Dann wieder mit einer Rahmenkompetenz des Bundes.

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