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Das Meer der Möglichkeiten

 
     
 
Das Jahr 1998 brachte der bundesdeutschen Exportwirtschaft erneut kräftige Zuwachsraten. Wie das Statistische Bundesamt in der vergangenen Woche mitteilte, wurden Waren im Gesamtwert von 949,7 Milliarden DM ausgeführt und im Gegenzug Importe
für 821,1 Milliarden DM getätigt. Das bedeutete einen Anstieg um 6,9 bzw. 6,3 Prozent gegenüber 1997. Der Außenhandelsüberschuß von 128,6 Milliarden DM ist nach dem Rekordergebnis von 1989 der zweithöchste in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland.

Während es beim Export nach Rußland, Asien, Lateinamerika, aber auch in die USA und nach Westeuropa wegen dortiger Krisenerscheinungen in der zweiten Jahreshälfte zu Einbrüchen kam, erwies sich insbesondere das Ostmitteleuropa-Geschäft erneut als Konjunkturspritze. Welche außerordentlichen Chancen sich gerade in den östlichen Reformstaaten für die deutsche Wirtschaft eröffnen, haben die Experten aus Wiesbaden in der Dezember-Ausgabe ihres Organs "Wirtschaft und Statistik" u. a. anhand eines detaillierten Überblicks über die Außenhandelsbeziehungen mit dem Baltikum gezeigt. Untersucht wurde der Zeitraum zwischen 1992, dem ersten Nachkriegsjahr, in dem die Außenhandelsstatistik gesonderte Angaben zu Estland, Lettland und Litauen beinhaltet, und der ersten Jahreshälfte 1998.

Auch wenn 1997 bereits Waren mit einem Gesamtwert von 3,2 Milliarden DM in den baltischen Ländern abgesetzt werden konnten, was immerhin fünfmal soviel ist wie 1992, so liegen diese Zahlen dennoch eindeutig unter denen für das ungleich größere Polen (20,7 Milliarden), für Tschechien und die Slowakei (zusammen 21,1 Milliarden) sowie Ungarn (11,7 Milliarden). Trotzdem verdienen gerade die Außenhandelsbeziehungen zu den kleinen Ostseerepubliken wegen der enormen Wachstumsraten und Zukunftsperspektiven besondere Aufmerksamkeit.

Estland, Lettland und Litauen waren vom Zerfall des einheitlichen Wirtschaftsraumes Sowjetunion stark betroffen. Vor der Unabhängigkeit 1991 gingen 85 bis 90 Prozent der Ausfuhren in diesen Bereich. Danach brachen die Märkte im Osten weitgehend zusammen, und die wieder souveränen Ostseerepubliken mit ihren auf Geheiß Moskaus im Zuge einer "künstlichen Industrialisierung" aus dem Boden gestampften und nun total veralteten Industrien mußten nach neuen Exportzielen suchen. Hinzu kam die Tatsache, daß für Energie und Rohstoffe, die zuvor billig aus Sibirien etc. geliefert worden waren, plötzlich Weltmarktpreise gezahlt werden mußten.

Dennoch wurden die Regierungen in Reval, Riga und Wilna mit dieser schwierigen Ausgangslage relativ gut fertig. Insbesondere die Entwicklung der estnischen Ökonomie liest sich dank einer restriktiven Finanz- und Lohnpolitik wie eine kleine Erfolgsgeschichte.

Für Litauen avancierte die Bundesrepublik Deutschland mit einem Anteil von 18 Prozent an den Importen und 12 Prozent am Export hinter der Russischen Föderation (fast 25 Prozent) zum zweitwichtigsten Handelspartner. Im Hinblick auf Lettland belegte Deutschland im selben Jahr als Exportziel mit 14 Prozent den dritten Platz hinter Rußland und Großbritannien und lag in der Importstatistik mit 17 Prozent sogar an der Spitze.

Im Vergleich dazu sind die Anteile für den deutsch-estnischen Handel deutlich niedriger, was vor allem auf die wirtschaftliche Dominanz Finnlands und Schwedens in der Region zurückzuführen ist. So entfielen im Jahre 1997 nach Angaben des estnischen Außenministeriums etwa 20,5 aller Ausfuhren und 33,9 Prozent der Einfuhren auf den Austausch mit dem verwandten Nachbarn im Norden, während die Schweden mit Anteilen von 18,2 bzw. 10 Prozent in der Statistik verbucht sind. Demgegenüber beliefen sich die Quoten für Deutschland auf "nur" 7,3 Prozent der Gesamtexporte und 9,6 Prozent der Importe.

Der Wert der ein- und ausgeführten Waren erreichte im Jahr 1997 in bezug auf Litauen 1657 Millionen bzw. 903,8 Millionen DM, hinsichtlich Lettlands 888,2 Millionen bzw. 659,7 Millionen DM sowie im Falle Estlands 658,9 Millionen bzw. 456,6 Millionen DM.

Charakteristisch für die Wirtschaftsbeziehungen der Bundesrepublik mit allen drei baltischen Staaten sind neben den zweistelligen Zuwachsraten (insgesamt stiegen diese 1996 gegenüber dem Vorjahr um 16 Prozent und 1997 sogar um 42 Prozent an) seit 1993 die hohen Ausfuhrüberschüsse – Tendenz steigend.

Konkret schlägt das für die bundesdeutsche Exportwirtschaft typische Übergewicht wertvoller Fertigwaren zu Buche. Insbesondere sind hier der in allen baltischen Ländern erheblich zunehmende Kraftfahrzeugverkehr sowie der Bedarf an hochwertigen Maschinen und chemischen Produkten zu nennen. Sprich: die traditionellen Standbeine der deutschen Exportwirtschaft. Auch Erzeugnisse des Ernährungsgewerbes spielen – besonders hinsichtlich Estlands – eine größere Rolle, was sich für jeden, der durch Lebensmittelgeschäfte in Reval oder Riga bummelt, unschwer nachvollziehen läßt.

Wie bedeutsam der Export von Autos für das Baltikumgeschäft der deutschen Wirtschaft ist, soll an dieser Stelle nur eine Zahlenangabe unterstreichen: 1997 erhöhten sich diese Einfuhren in Litauen gegenüber dem Vorjahr um sage und schreibe 135,9 Prozent auf 271,8 Millionen DM (Anteil an den Gesamtimporten: 16,4 Prozent).

Im Gegenzug wurden von der deutschen Seite vor allem Bekleidungsartikel und Holzwaren eingeführt. Außerdem kommt Lettland und Estland die günstige Lage als Drehscheibe des Ost-West-Handels und Umschlagplatz für russische Mineralölerzeugnisse zugute. 1997 machten letztere immerhin 26,1 Prozent der deutschen Einfuhren aus Lettland aus. Allein über den Hafen Windau (lettisch: Ventspils) wird rund ein Drittel aller russischen Ölexporte abgewickelt,was der dortigen Öl-Lobby einen bekanntermaßen großen Einfluß sichert und der lettischen Außenpolitik – ähnlich wie der litauischen und mit Abstrichen auch der estnischen – gewisse Rücksichten auf die Interessen Moskaus abfordert.

Seit August 1998 befindet sich allerdings auch der Handel zwischen Rußland und dem Baltikum in der Krise. Als Reaktion darauf dürften sich die Ökonomien der kleinen Republiken künftig noch stärker gen Westen und Norden ausrichten. Jährliche Wachstumsraten des Ostseehandels von derzeit etwa 20 Prozent lassen Manager und Medien nicht von ungefähr vom "Meer der Möglichkeiten" schwärmen.

 
     
     
 
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