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Das echte Ostdeutschlandlied

 
     
 
Immer wieder kommt es beim Singen unseres Ostdeutschlandliedes „Land der dunklen Wälder“ zu Irritationen. Manchmal werden die dritte und vierte Strophe ausgetauscht, es wird sogar eine fünfte gesungen. Vor allem aber scheiden sich die Geister an der letzten Strophe. Einige beginnen mit „Tag ist aufgegangen …“, andere mit „Licht hat angefangen …“ Und dann geht der Tag einmal über Haff und Moor auf, und ein andermal steigt er im Ost empor - umgekehrt ergeht es dann dem Licht genauso. Es gibt da schon erregte Dispute, denn jeder verteidigt seine Version, oft auch aufgrund von Veröffentlichung
en in Liederbüchern und -heften, vor allen in denen, die kurz nach Krieg und Flucht erschienen.

Da ich zu der Generation gehöre, die dieses Lied schon in der Heimat gesungen hat und mit Dichter wie Komponist in der ostdeutschen Kulturarbeit persönlich verbunden war, habe ich nie Zweifel an der „echten“ Fassung gehegt. Aber ich stieß mit meiner Behauptung immer wieder auf Mißtrauen. Selbst als in unserem Seminar „Reichssender Königsberg“ Munin Brust, der Sohn des Komponisten Herbert Brust, einwandfrei die Originalfassung präsentierte, waren einige Teilnehmer kaum von der Richtigkeit seiner Ausführungen zu überzeugen. Jetzt tauchte die Frage sogar auf der Sitzung der Ostdeutschen Landesvertretung im Ostheim in Bad Pyrmont auf. Deshalb soll hier einmal die Entstehung unseres Ostdeutschlandliedes - und damit der Urtext, den der ostdeutsche Dichter Erich Hannighofer schrieb - dokumentiert werden.

Das war zu Beginn der 30er Jahre, als der Königsberger Komponist Herbert Brust einen Textdichter für sein „Oratorium der Heimat“ suchte, das sozusagen das Hohe Lied auf seine geliebte Heimat werden sollte. Der 30jährige fand ihn in dem acht Jahre jüngeren Erich Hannighofer, einem hochbegabten jungen Königsberger Schriftsteller, der wie Brust fest in seiner Heimat verwurzelt war. Schon bei der ersten Begegnung entstand eine tiefe Verbindung zwischen Komponist und Dichter, die zu einer kongenialen Partnerschaft führte: Sie schufen mit dem Oratorium „Ostdeutschlandland“ ein großartiges Werk, das sich mit seinem Schlußchoral in die Ewigkeit einschrieb. Denn diese vierstrophige Hymne ist das Lied „Land der dunklen Wälder“, unser Ostdeutschlandlied.

Die Anfang 1933 im Ostmarken-Rundfunk uraufgeführte Kantate beginnt mit den Worten: „Heimat! Wir rufen dich! Singe mit uns den Gesang deiner Landschaft! Singe mit uns den Choral deines Schicksals …“ - eines Schicksals, dessen Grausamkeit damals noch niemand ahnen konnte.

Auch nicht, daß die Schlußhymne einmal für uns Vertriebene zum Inbegriff der fernen Heimat werden sollte, Erinnerung und Bekenntnis, Glaube und ewige Liebe zugleich - und zum schönsten aller Heimatlieder, obgleich der Begriff „Heimat“ als Wort nicht einmal vorkommt. Das setzten andere, denen das Lied im landläufigen Sinn zu wenig heimatverbunden, dafür aber zu sakral war, in einer fünften Strophe hinzu, in der die „Heimat wohlgeborgen unter dem Friedensdom“ ruht. Aber diese wurde kaum gesungen, denn sie unterschied sich in Sprache und Diktion doch sehr von den Versen Hannighofers, die eben von einem anderen Format und wie aus einem Guß waren.

Es ist gerade diese klare, schöne Sprache, mit der Hannighofer mit so wenigen Worten - man bedenke, daß eine einzige Strophe gerade zwölf Worte umfaßt! - Bild und Wesen einer Landschaft und ihrer Menschen zeichnet, die das Lied so einmalig macht. Herbert Brust hat einmal über diese Verse gesagt: „Es war eine Gnade, daß ich sie fand!“

Das empfanden auch die Hörer der Kantate, die begeistert an den Rundfunk schrieben, nachdem sie das Lied zum ersten Mal gehört hatten. Einige Werkstudenten, als „Königsberger Straßensänger“ bekannt und beliebt, waren von dem Schlußchoral „Land der dunklen Wälder“ so ergriffen, daß sie ihn zur Laute sangen. In offenen Singstunden konnte man das Lied auf dem abendstillen Königsberger Schloßhof hören, die Menschen blieben stehen und lauschten. Die Jugend trug es in ihre Singkreise, im Rundfunk und auf Feiern sang es der fast blinde Bariton Hans Eggert, der zu dem Interpreten des Liedes wurde, das bald „Ostdeutschlandlied“ hieß. Bis dahin wurde „Sie sagen all, du bist nicht schön …“ von Johanna Ambrosius so genannt. Aber das war lange vor dem Ersten Weltkrieg entstanden, in einer Zeit, als die Schönheit und Einmaligkeit der ostdeutschen Landschaft noch wenig bekannt war, wie die negativen Anfangszeilen beweisen. Außerdem wurde es in mehreren Vertonungen interpretiert. Das neue Ostdeutschlandlied aber hatte nur einen Komponisten, der selber bekannte: „Es ist eine Gnade, daß ich diese Weise fand!“

Das empfinden wir auch heute so, wenn wir es singen: Es ist eine Gnade, daß wir Ostdeutschland dieses Lied haben! Es ist der Choral, den wir für die uns genommene Heimat singen, ein Gebet der Liebe. Es klingt in den Schlußworten auf: „Tag ist aufgegangen über Haff und Moor …“ Es gibt immer wieder einen neuen Tag, der aus der Dunkelheit der Nacht steigt und der das Licht des Morgens mit sich bringt: „Licht hat angefangen, steigt im Ost empor!“ Dort, wo die Heimat ist, die unvergessene.

Wenn man diese Worte so interpretiert, kann es überhaupt keinen Zweifel an dem Urtext geben. Das hat auch die Witwe des Komponisten, Edith Brust, so gesehen, das bezeugt auch deren Sohn Munin Brust. Dokumentiert in der Broschüre „Land der dunklen Wälder und kristallnen Seen“, die Gerhardt Seiffert im vergangenen Jahr zum 100. Geburtstag des großen ostdeutschen Komponisten verfaßte. Munin Brust überreichte sie mir, damit ich immer allen Fehlinterpretierungen begegnen kann. Was ich hiermit tue. 

Herbert Brust: Dem Komponisten von „Land der dunklen Wälder“ hat Gerhard Seiffert zu seinem 100. Geburtstag am 17. April des letzten Jahres eine 42 Seiten umfassende Biographie gewidmet, aus der eindeutig hervorgeht, welches das „echte“ Ostdeutschlandlied ist.

Das Ostdeutschlandlied: Originalhandschrift von Herbert Brust

 
     
     
 
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