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Dein Kind soll ich besingen

 
     
 
Seit mehr als drei Jahrzehnten habe ich mir eine ostdeutsche Handbibliothek durch Erwerbungen vom Antiquariatsmarkt zusammengestellt. Dabei kam schon in den 1960er Jahren ein Bündel von 86 Carmina des 17. Jahrhunderts in meine Hände. Es handelte sich um 69 Sterbe- und 17 Hochzeitsgedichte aus der Zeit von 1659 bis 1676. Sie sind in alter Zeit durchnumeriert worden, tragen keinen Stempel einer öffentlichen Bibliothek
, sind samt und sonders von dem bekannten Königsberger Carmina-Dichter Theodorus Wolderus abgefaßt und in der Königsberger Buchdruckerei von Johann Reusner gedruckt worden. Ich möchte trotzdem meinen, daß die von mir erworbenen Exemplare aus der Königsberger Stadtbibliothek stammen, denn zusammen mit anderen Büchern von dort kamen sie in meinen Besitz. Der Transport von Königsberg in den Westen ging damals so vor sich, daß die deutschen Bücher in Königsberg auf Lkw der Roten Armee verladen und nach Allenstein im polnisch besetzten Teil Ostdeutschlands verbracht wurden. Auf den Allensteiner Marktplatz hatte man Vertreter der verschiedensten Wissenschaftsinstitute Polens bestellt, von denen jedes einen Lkw mit Büchern zugeteilt bekam, egal, ob der Bestand etwas mit dem entsprechenden Institut zu tun hatte oder nicht. Daß bei dieser Lage viele Bücher in den Besitz von Wissenschaftseinrichtungen kamen, die aufgrund der geringen Sachbezogenheit nichts mit ihnen anfangen konnten, ist klar. So nahm man von polnischer Seit die Gelegenheit wahr, viele Bücher der russischen Lieferung gewinnbringend nach Deutschland – von Danzig nach Southampton und Hamburg – zu transportieren und zu verkaufen. Auf diese Weise kommt es öfter vor, daß sich in den Büchern außer dem Stempel der Königsberger Stadtbibliothek auch solche aus polnischen Instituten befinden.

Da Carmina – trotz ihres Alters (17. Jahrhundert) – historisch allgemein nicht viel hergeben, wird es den polnischen Empfängern nicht schwer gefallen sein, sich dieser nach Deutschland zu entledigen, zumal diese Druckerzeugnisse meist nur moralischen Lobpreis der betroffenen Hochzeitspaare oder Verstorbenen dokumentieren.

Etwas anders liegen die Dinge bei einem achtseitigen Hochzeitsgedicht, das eine Tochter von Simon Dach betrifft. Es trägt leider keine Jahreszahl, aber nach der Durchnumerierung des gesamten Carmina-Bündels ist anzunehmen, daß das uns hier interessierende Carmen nicht vor 1660 datiert werden kann.

Bereits aus der Arbeit von Lotte Bartsch mit dem Titel "Simon Dach. Leben, Familie, Zeit und Wirkung", die 1967 im Jahrbuch der Albertus-Universität zu Königsberg/Preußen im Druck erschien, sowie aus der vierbändigen Gesamtausgabe der Werke von Simon Dach, die Walther Ziesemer vor 1945 herausbrachte, wissen wir, daß über die Familie von Simon Dach, vor allem über seine Kinder, mehr Vermutungen als reale Fakten bestehen. Schon Dachs Biograph Hermann Oesterley, dessen Ausarbeitung bereits 1876 in Tübingen im Druck erschien, läßt die erheblichen Lücken in der Kenntnis über Dachs Nachkommen, vor allem über seine Töchter erkennen.

Das erwähnte Hochzeitsgedicht trägt zweifellos zur Aufhellung mancher dunkler Punkte bei, denn hier wird zeitgenössisch dokumentiert, daß die "J. Tochter" (Jungfer Tochter) Regina "Herrn Abraham vom Bergen Churfl. Durchl. zu Brandenburg wollbestalten Cantzeleyverwandten in Preußen" geheiratet hat. Dabei wird Regina vorgestellt als "des weiland WollEhrenvesten/GroßAchtbahrn und Wollgelahrten Hn. M. SIMON DACHEN Dieser Academi Wollverdienten Professori Publici und Weltberühmten Poeten hinterlaßenen J. Tochter". Das "weiland" zeigt an, daß Simon Dach zum Zeitpunkt der Hochzeit seiner Tochter Regina bereits gestorben war. Es ist bekannt, daß er am 15. April 1659 in Königsberg aus dem Leben abberufen wurde.

Das Carmen kommt zusätzlich darauf zurück, und zwar im Zusammenhang mit der Erwähnung von Simon Dachs Ehefrau, die ebenfalls Regina hieß. Sie war eine geborene Pohl und wird in dem Carmen zweimal liebevoll "Pohlinchen" genannt, welchen Kosenamen ihr Ehemann ihr zu Lebzeiten gegeben hatte. Ihrer Pflege des Dichters auf seinem Kranken-, resp. Sterbelager wird mit den Zeilen gedacht:

"Da muß Pohlinchen Tag und Nacht

Gantz schlaafflooß halten

treue Wacht/

Und Ihres krancken pflegen.

So folgt in allem Ehstands Stück/

Dem Sonnenschein Ein Ungelück/

Und Kreutz dem vollem Seegen."

Schließlich kann die Krankheit, die zu Simon Dachs Tode führte, nicht nur eine kurze von einigen Tagen oder einigen Wochen gewesen sein, sondern hat sich über Jahre hingezogen. Auch diesen Tatbestand erfaßt das Gedicht, indem noch einmal seine Ehefrau angesprochen wird:

"Mit der er hat getheilt die Pein

In so viel krancken Jahren."

Schließlich wird ihr umgängliches und geduldiges Wesen gepriesen:

"Da muß POHLINCHEN sein gelobt/

Obschon der Neid dawieder tobt

Da ist nur lauter Sonne."

Ein anderer Aspekt ergibt sich aus der Feststellung, daß Reginas Schwester Sophia mit "Johann von Bergen oder vom Berge" verheiratet gewesen ist (L. Bartsch, S. 322). Es scheinen also zwei Schwestern zwei Brüder geheiratet zu haben, wenn auch in erheblichem zeitlichem Abstand.

Außerdem ist jetzt aufgrund des Hochzeits-Carmens klar, daß die "verwitwete von Bergen", die in zweiter Ehe mit dem Professor der Medizin Dr. Georg Friedrich Wagner verheiratet war, die Tochter Regina von Simon Dach gewesen ist. Und Simon Dachs Sorgenkind, der Sohn Robertin, der bei Wagners im darüberliegenden Stockwerk eine kleine Wohnung innehatte, war damit gleichzeitig bei seiner Schwester Regina einquartiert.

In den bislang vorliegenden biographischen Notizen wird angegeben, daß die Verehelichung einer möglichen Tochter von Simon Dach mit einem Abraham von Bergen im Jahre 1664 stattgefunden habe. Da Regina am 28. November 1646 als 4. Kind von Simon Dach in Königsberg geboren wurde, hat sie demnach im 18. Lebensjahr geheiratet.

Abraham von Bergen wurde nach L. Bartsch (S. 319) im Zusammenhang mit einer 1759 im Druck erschienenen Rede auf Simon Dach erwähnt; doch ist kein Exemplar bis auf unsere Tage überliefert. Sie ging auf einen Lauson zurück, der ausgiebige Forschungen über Simon Dach getätigt hatte. Vermutlich hat Lauson also das hier vorliegende Hochzeitsgedicht gekannt, zu dem er in Königsberg Zugang gehabt haben dürfte.

Eine kleine zusätzliche Überraschung bietet uns der Verfasser des Hochzeits-Carmens, "Theodorus Wolderus Doctor", insofern an, als er Simon Dach als "mein Herr Ohm/der edle Dach" anspricht und damit eine Verwandtschaftsbeziehung behauptet. Somit liegt die Vermutung nahe, daß der Martin Wolder, dem Simon Dach zu Beginn seiner Wittenberger Studien als Famulus diente, ein Verwandter gewesen ist, wovon bislang bei Dachs Biographen nicht die Rede war.

Jedenfalls, seinem Ohm zugewendet, prägt Theodor Wolder im vorliegenden Hochzeits-Carmen die Verse:

"Ich merck dennoch

hochseeliger Geist/

Worauff du mich ietzunder weist/

Dein Kind soll ich besingen/

Der liebsten Tochter/ die jetzt freyt/

Den/ dem sei Anfangs zu bereit/

Sol ich ein Brautlied bringen."

Die Vertraulichkeit dieser Zeilen scheint die Verwandtschaft zu bestätigen.

 
     
     
 
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