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Der Griff nach der Wahrheit

 
     
 
Mit Fritz Fischer starb am 1. Dezember im Alter von 91 Jahren der wirkungsmächtigst deutsche Historiker der Nachkriegszeit. Deshalb auch der bedeutendste? Die Historikerzunf hatte sich seit Leopold von Ranke auferlegt, sine ira et studio der Schlüsselfrag nachzugehen, was wirklich geschah. Und nicht, was sich aus mehr oder minder wichtige Dokumenten an geschichtsbewehrten Begründungen für tagespolitische Entscheidunge herleiten läßt.

Fischer war, wenn man seinen Nachrufern glauben will, ein großer Historiker. Ic gestatte mir eine andere Meinung. Dennoch stimme ich allen Nachrufern von links bi rechts, von der linksradikalen
"taz" bis zum sogenannt konservative "Rheinischen Merkur", von der verquält sozialdemokratischen "Frankfurte Rundschau" bis zur wackeligliberalkonservativen "Welt" zu, die sein überragende Bedeutung für die deutsche Geschichtswissenschaft der letzten Jahrzehnt – und seine nicht minder große Bedeutung für die politische Orientierung viele Zeitgenossen rühmen – oder (feige verhalten) beklagen. Fischer war in der Tat de wirkungsmächtigste deutsche Historiker der Nachkriegszeit.

Seine Bedeutung liegt in der Aufbrechung jenes vermeintlichen Tabus, dem sich au nationalpolitischen Gründen angeblich die deutschen Historiker nach dem Ersten Weltkrie unterworfen hatten – der Leugnung deutscher Alleinschuld am Ersten Weltkrieg. I seinem kurz nach Erscheinen bereits 1961 zum Bestseller avancierten "Griff nach de Weltmacht" bejahte Fischer die im Versailler Diktat Deutschland abgefordert Schuldanerkennung. Seit spätestens 1911 habe die Reichsregierung auf den Krie hingearbeitet, mit dem Ziel, für Deutschland die führende Weltmachtstellung zu erringen In seinen Folgewerken führte Fischer diese These bis zu Hitler fort und stellte sic damit in eine Reihe mit jenen, die Deutschland seit Luther auf einer Straße de Verhängnisses für Europa und die Welt wähnen.

Fischer prägte einen großen Teil der nachwachsenden Geschichtswissenschaftler, die sich im ersten deutschen Historikerstreit zu ihm und seiner These bekannten und Fron machten gegen die sogenannten nationalen Traditionalisten wie Gerhard Ritter oder Kar Dietrich Erdmann, welche in den Geschichtsquellen keine deutsche Alleinschuld finde konnten. Die Meaculpa-These Fischers entsprach dem Zeitgeist. Sie lieferte wesentliche Baumaterial für die ideologische Untermauerung der "neuen deutsche Ostpolitik", die im Warschauer Kniefall Willy Brandts seine symbolische Krönun erfuhr und danach schrittweise in die Aufweichung deutscher Rechtspositionen im Oste mündete. Hierin gründete sich die Wirkungsmächtigkeit Fischers als Historiker.

Ich will hier nicht die Frage nach dem wirklich Schuldigen am Ersten Weltkrie aufwerfen. Ich will hier nur einige Anmerkungen zu einem Oberseminar machen, an dem ich in Heidelberg kurz nach Erscheinen von Fischers Bestseller teilgenommen habe.

Werner Conze (übrigens der letzte bedeutende Historiker der Universität Königsberg hatte Geschichtsstudenten fortgeschrittener Semester zu einem quellenkritischen Semina eingeladen. Es ging nicht um den Ersten Weltkrieg, sondern darum, einige Geschichtswerk daraufhin zu überprüfen, wie die Autoren mit den von ihnen als Belegmateria aufgeführten Quellen umgegangen waren. Unter diesen war auch "Der Griff nach de Weltmacht". Ich gehörte zu jenen Studenten, die sich mit diesem Buch zu befasse hatten.

Was wir entdeckten, war erschreckend: Viele im umfangreichen Anmerkungsapparat als Beleg für die im Textteil vertretenen Deutungen deutscher Politik aufgeführten Quelle erwiesen sich als nichtssagend oder schlimmer noch: manche gar als im Sinne der Deutunge völlig interpretationsungeeignet. Je mehr wir uns mit Fischers Quellen befaßten, dest deutlicher wurde uns, daß in diesem Werk nicht gefragt wurde, was wirklich gewesen war sondern nur eine politische These vertreten wurde. Fischers wissenschaftliche Kritike bemerkten natürlich, in welch schludriger oder fahrlässiger Weise der Hamburge Ordinarius mit den Quellen umsprang. Doch welch ein Journalist hatte Zeit und Gelegenheit zu den Quellen zu gehen? Das gilt übrigens nicht nur für die Journalisten der 60e Jahre, sondern auch für die Nachrufer vom Dezember 1999. Wir indes hatten damals Zeit un Zugang zu den Quellen.

Am Ende des Semesters waren wir ratlos. Keiner von uns, der so mit Quellenmateria umgegangen wäre, hätte ein Testat bekommen. Beherrschte der anerkannte Wissenschaftle Fischer sein Handwerk nicht? Kaum zu glauben! Blieb nur die Vermutung, daß dieses Buc lediglich um der politischen Wirkung der These von der deutschen Alleinschuld geschriebe worden war – in der begründeten Hoffnung, daß sich kein Journalist der Müh unterziehen würde, quellenkritisch das Werk zu überprüfen. Eine böse Vermutung. Ic gestehe, daß ich diese Vermutung noch heute habe.

Fritz Fischer war der politisch wirkungsmächtigste deutsche Historiker de Nachkriegszeit – im "Griff nach der Weltmacht" hat er sich nicht als seriöser Wissenschaftler erwiesen. Elimar Schubb
 
     
     
 
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