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Die Dichterin Agnes Miegel als Journalistin

 
     
 
Von Agnes Miegels journalistischer Tätigkeit war bislang wenig bekannt. Anni Piorreck, die Freundin und Biographin, berichtet lediglich, daß die Dichterin im Jahre 1920 eintrat. Doch sollen die 284 Beiträge, die Agnes Miegel bis 1926 schrieb, bis auf wenige Ausnahmen mit der Zerstörung der Königsberger Universitätsbibliothek verlorengegangen sein. Deshalb veröffentlichte die Agnes-Miegel-Gesellschaft in Bad Nenndorf
im Jahre 1994 nur zehn Feuilletons, die dem Fluchtgepäck von Anni Piorreck entstammten. Tatsächlich gibt es bisher nicht entdeckte Parallelbestände in der Berliner Staatsbibliothek. Dabei ist nur sehr lückenhaft vorhanden, die FAZ dagegen weitgehend erhalten.

Am 1. Oktober 1926 wechselte Agnes Miegel als freie Mitarbeiterin zur FAZ, deren Herausgeber und Chefredakteur Dr. h.c. Alexander Wyneken war. In einem vom 27. September 1926 datierten Brief an die Freundin Lulu von Strauß und Torney heißt es: "Ich gehe am 1. Oktober (nach friedlichem Abschied) von der FAZ als freier Mitarbeiter zur ‚Allgemeinen , dem größten ostdeutschen Anzeigenblatt (Volkspartei), folge damit meinem alten Freund Dr. Jenisch, meinem (viel jüngeren) langjährigen Kollegen an der ‚Ostdeutschen . - Pekuniär verbessere ich mich nicht, aber wohl menschlich und hoffentlich künstlerisch! Ich hoffe nur, ich halte über; seit diesem Frühling ist meine Gesundheit etwas besser ..."

Agnes Miegel schien in der Redaktion der "Zeitung" nicht sehr glücklich gewesen zu sein. Als ihr von der Philosophischen Fakultät der Königsberger Universität im April 1924 die Ehrendoktorwürde verliehen worden war, hatte sie sich bei Ina Seidel für deren Glück-wünsche mit dem Zusatz bedankt, sie habe die Feierlichkeiten zum 200. Geburtstag des Philosophen Kant in einem Zustand körperlicher und geistiger Erschöpfung erlebt und "im Beruf nichts wie Ärger und Aufregungen gehabt".

Die freie Mitarbeit an der FAZ nahm Agnes Miegel bis 1929 sehr ernst. In diesem Jahr feierte sie ihren 50. Geburtstag. Ab dem Jahre 1930 läßt Agnes Miegel ihre journalistische Tätigkeit auslaufen, um sich aber in den Folgejahren immer wieder mit vereinzelten Beiträgen bei ihrer Leserschaft zurückzumelden.

Ihre Artikel sind Begebenheiten aus dem Alltag, einfühlsame Natur- und Landschaftsbeschreibungen, interessante Reiseberichte und sachkundige Stadtführungen in ganz Deutschland - Beiträge, die nahezu ausnahmslos in der anspruchsvollen Unterhaltungs-Beilage der "Königsberger Allgemeinen Zeitung" zusammen mit Essays, Kurzgeschichten und Gedichten von Thomas, Heinrich und Klaus Mann, Hermann Hesse, Franz Werfel, Max Brod, Lion Feuchtwanger, Julius Bab, Kurt Tucholsky, Ina Seidel, Georg Britting und Joachim Ringelnatz in illustrer Gesellschaft erscheinen. Einige ihrer Arbeiten, die zunächst nur für die "Königsberger Allgemeine Zeitung" geschrieben wurden, finden sich später in anderen Veröffentlichungen wieder. So druckte die "Königsberger Allgemeine Zeitung" das Gedicht "Herbstgesang" im September 1930 ab, das zwei Jahre darauf als erstes Gedicht einem Buch den Titel geben wird, in dem Agnes Miegel 30 Gedichte aus den letzten Jahren zusammenfaßt und das sie dem verstorbenen Verleger Eugen Diederichs widmet.

Ende 1929 veranstaltete die "Königsberger Allgemeine Zeitung" ein Preisausschreiben mit der Frage nach den sechs bekanntesten lebenden Ostdeutschland, Männer oder Frauen. Ausgelobt wurden 3.000 RM in bar sowie 200 Trostpreise. Das Ergebnis der Preisfrage gab die Sonntagsausgabe der "Königsberger Allgemeinen Zeitung" vom 26. Januar 1930 bekannt. Bei insgesamt 10.433 Einsendungen mit je sechs Stimmen erhielten Stimmen: Reichspräsident von Hindenburg 9.742; Agnes Miegel 9.088.

Auf den weiteren Rängen folgten so bekannte Persönlichkeiten wie Emil Hirschfeld aus Allenstein, der Weltrekordmann im Kugelstoßen (7.734), Filmstar Harry Liedtke (5.871), Oberpräsident Siehr (4.219) und der Schauspieler Paul Wegener (4.215).

Dieser schon sensationelle Bekanntheitsgrad bei Agnes Miegel ist gewiß zugleich Ausdruck ihrer Beliebtheit, die ihrerseits auch das Ergebnis ihrer langjährigen journalistischen Tätigkeit sein dürfte. In dieser Sonntagsausgabe, die die gewählten Persönlichkeiten vorstellt, ist die "Königsberger Allgemeine Zeitung" zu Gast "Bei Agnes Miegel", um die Dichterin zu beglückwünschen und aus der Redaktion zu verabschieden. Im Beiblatt der Morgenausgabe vom 26. Januar 1930 heißt es: "Es macht dem ostdeutschen Geist alle Ehre, daß unter den Einheimischen Agnes Miegel als Erste im Lande erkoren wurde. Die Wirkungen, die von dieser Frau ausgehen, kommen aus der zartesten und stärksten Empfindung eines warmherzigen Heimatmenschen. Ihre Gedichte sind ihre Bekenntnisse, sind Dank an die Gnade der Schöpfung, die das weite große Ostdeutschlandland so reich gesegnet hat. Ob sie über die Nehrung wandert, in die Einsamkeit mit ihren Melodien oder durch das Ackerland schweift, das braun und trächtig in der Sonne lagert, ob der helle Mai in den Birken hängt oder der späte Herbststurm durch die ungebrochenen Wälder orgelt - immer ist ein Ton der Sehnsucht in ihren Dichtungen, die Unsagbares oder Unsägliches gleich einem Hymnus aussprechen.

Über dem Sofa ihres kleinen wohltuend einfachen Heims in der Luisen-Allee hängt ein Bild der Nehrung, altertümlich gemalt, aber doch in der Stimmung erfaßt: Dünen, die sacht verklingen, buschige Mulden, niederstämmige Bäume mit merkwürdig massiven Kronen, darüber ein ins Unendliche sich verflüchtender Himmel. Bei dieser Stimmung verweilt die Dichterin, wenn der Durst nach Landschaft über sie kommt. Oder ihre Augen wandern zu der Photographie, die darunter hängt und eines der festen alten Gutshäuser zeigt, wie man sie noch oft hierzulande findet. Dieses breitstirnige Haus im Kreise Goldap, in dem sie glückliche Stunden verlebte, hat seine eigene Historie. Die Russen plünderten das Gut bis auf das letzte Stück Möbel, die Besitzer mußten fliehen, der älteste Sohn wurde verschleppt - dann kam die Befreiung, die Gutsherrschaft zog wieder ein - und hier ein Blitz von Humor in all dem Leid, drei Lebewesen boten den rückkehrenden Willkomm: ein vor Freude halbtoller Hund, ein quietschendes Schweinchen und ein zerzaustes, verflogenes Huhn, das aus dem Baum vor der Tür heruntergackerte.

Um dieser Wunden willen, die Ostdeutschland geschlagen wurden, liebt Agnes Miegel ihre Heimat doppelt. Es tut ihr weh, daß sie eines Leidens wegen nicht mehr so rückhaltlos Naturkind sein darf, wie sie es früher war. In einigen Tagen schon fährt sie wieder nach dem Süden, um Linderung zu suchen. Es ist immer ein Abschied von der geliebten Heimat. Aber auch ein Wiedersehen! In die guten, tiefen Augen, die nicht leicht wieder vergißt, wer sie einmal geschaut hat, tritt ein Schimmer von Ergriffenheit: ‚Aber, wenn ich wieder hier bin! Hinter Elbing fange ich an aufzuatmen, und nichts in der Landschaft, die vorübereilt, ist so unbedeutend, daß es mir nicht lieb und zärtlich erschiene.

‚Wenn ich wieder hier wäre! Wir denken an die herrlichen Gedichte, die Agnes Miegel, dieses Mal das Kind der alten Pregelstadt, das zwischen braunen Speichern und teerigen Kähnen aufgewachsen ist, ihrem lieben Königsberg gewidmet hat: Wir denken an das Lied von dem stählernen Henning Schindekopf, wie er den wilden Herzog Kynstudt von Litauen schlug und für seine Treue verblutete, oder auch an die Geschichten von den Patrizierkaufleuten Peter Harden und Franz Conneegen, Erzählungen voll Kraft und Würde, die eine alte Tradition beschwören.

Es ist alles echt und gut, was aus dieser Frau mit dem großen Dichterherzen hervorgegangen ist. Das Kleinste, das sie berührt, gewinnt Wesen und Bedeutung - kraft ihres Adels und ihrer Hingebung. Halb Städter, halb Landkind, wie jeder echte Ostpreuße, gehört ihre ganze Liebe den Tieren. Ihr Zukunfts-traum ist es, einmal eine kleine Hühnerfarm zu haben ..

Nicht klein denken, als ganzer, inniger, deutscher Mensch leben - das lernen wir von dieser herrlichen Frau, in der wir Deutschlands größte lebende Dichterin grüßen. Die Gegenwart ist ihr nicht häßlich - o nein! - sie ist ihrer mutigen Seele ein neues Beginnen, ein Erwachen aus Schmerzen, um Gutes zu tun.

Agnes Miegel, die in ihrem Leben viel erfahren und viel mit sich abgemacht hat, das unvergänglich durch ihre Lyrik strahlt, zeigt uns den rechten Weg: Durch ein tüchtiges Heute zu einem eroberten, erarbeiteten, besseren Einst. So müssen wir wohl den Dank abwehren, den die Dichterin heute, vor ihrem Scheiden, ihren ostdeutschen Landsleuten für liebevolle Anerkennung aussprechen läßt, und müssen bekennen, daß wir tief in ihrer Schuld sind, die wir in getreuer Verehrung redlich abtragen wollen." Manfred Neuman
 
     
     
 
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