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Kurt Schumachers Schaffen aus der Sicht eines Deutschen und eines Polen

 
     
 
Den diesjährigen 50. Todestag des Westpreußen Kurt Schumacher hat das Westpreußische Landesmuseum zum Anlaß für eine Wanderausstellung über den bedeutenden Politikers genommen. Eine Alternative zum Besuch der Ausstellung ist die Lektüre des in deutscher und polnischer Sprache verfaßten Begleitbuches. Es enthält außer den chronologisch gegliederten Ausstellungstafeln auch zwei begleitende wissenschaftliche Beiträge, "Kurt Schumacher aus polnischer Sicht" von Professor Marek Andrzejewski und "Kurt Schumacher aus deutscher Sicht. Zu seinem 50. Todestag" von Volker Schober.

Gerne wird versucht, das an den Deutschen begangene Vertreibungsunrecht mit der Diskriminierung von Slawen
im Zweiten Weltkrieg zu relativieren. Dabei wird in der Regel übersehen oder - schlimmer noch - bewußt verschwiegen, daß Deutsche auch schon vor dem Zweiten Weltkrieg in den Vertreiberstaaten diskriminiert und teilweise sogar vertrieben wurden. Wenn denn von politisch korrekter Seite überhaupt auf diesen berechtigten Einwand eine Erwiderung erfolgt, lautet sie meist, daß dafür aber auch die Polen vor dem Ersten Weltkrieg im deutschen Kaiserreich unterdrückt worden seien. Daß dem zumindest in Schumachers Geburtsstadt Kulm nicht so war, bringt Andrzejewski in seinem Beitrag klar zum Ausdruck. So schreibt der Pole explizit, "die Verschärfung der nationalen Antagonismen in der Stadt und auf dem Gebiet des ehemaligen Westpreußen erfolgte erst nach 1918".

Überhaupt ist dieser Text frei von antideutschen und chauvinistischen Tönen. Natürlich muß man nicht jeder Beurteilung des Professors zustimmen, wenn er beispielsweise schreibt: "Wenn ein Sozialdemokrat anstelle von Adenauer Bundeskanzler gewesen wäre, so scheint es, daß der Emanzipationsprozeß der Bundesrepublik von der Abhängigkeit von Washington, London und Paris in einem solchen Falle verzögert worden wäre", wenn er Schumacher eine "zu reservierte Haltung" gegenüber den "Projekten der wirtschaftlichen Anbindung der Bundesrepublik an Frankreich" vorwirft oder wenn er die beiden SPD-Vorsitzenden Schumacher und Brandt auf eine Stufe stellt. Diese Einschätzungen muß man nicht unbedingt teilen, doch entscheidend ist, daß der Autor sich bei der Präsentation der Kurt Schumacher betreffenden Fakten nicht ohne Erfolg um Wahrhaftigkeit und Objektivität bemüht. Analytisch sauber werden die Unterschiede und Gemeinsamkeiten zwischen Schumacher und dem Vorsitzenden der anderen großen Volkspartei der Bundesrepublik dargelegt.

Daß der Professor sich gegenüber seinem eigenen Lande eine größere Konzessionsbereitschaft Schumachers gewünscht hätte, kann man dem Polen kaum zum Vorwurf machen. Er relativiert jedoch sofort seine Kritik mit dem korrekten Hinweis, daß der deutsche Sozialdemokrat sich mit seiner Haltung im Einklang mit seiner Nation befunden habe. Trotz Schumachers unbestrittenem Eintreten für deutsche Rechte kommt der Pole zu einem positiven Gesamturteil. Er versucht sogar, die Schwierigkeiten des Sozialdemokraten im mitmenschlichen Umgang mit dessen schweren Gesundheitsschädigungen zu rela- tivieren und bezeichnet Schumacher in seinem Resümee als einen Menschen, "auf den auch die heutigen Bewohner Kulms stolz sein können".

Außer Kurt Schumacher thematisiert Andrzejewski auch die Darstellung des Deutschen und Sozialdemokraten durch Polen. Er konzentriert sich dabei auf die Verunglimpfung durch die Kommunisten während des Kalten Krieges, weist jedoch darauf hin, daß seine Behandlung durch polnische Exilanten kaum besser war. Bezüglich der Nach-Wende-Zeit schreibt Andrzejewski nur den einen - zugegebenermaßen interessanten - Satz: "In den neunziger Jahren versuchten einige polnische Politiker und Publizisten, wohl um damit den Erwartungen der deutschen Christdemokraten entgegenzukommen, in einer subjektiven Weise die Rolle Konrad Adenauers bei dem Prozeß der deutsch-polnischen Versöhnung zu vergrößern, was von den Fakten nicht gestützt wird." Angesichts der Tatsache daß die Wende nun auch schon über ein Dutzend Jahre zurückliegt, und der Qualitäten, die der Autor mit seinem Beitrag unter Beweis stellt, hätte man sich von ihm mehr über diese immerhin bis zur Gegenwart reichende Ära gewünscht.

Der Vorsitzende des SPD-Ortsvereins Neuenheim, Volker Schober versucht Kurt Schumacher in seinem Beitrag auf eine Kontinuitätslinie zu zwingen, die über Willy Brandt zu Gerhard Schröder führt. Dieser Gewaltakt führt zu Unstimmigkeiten, die offenkundig nicht nur in Schobers Aufsatz, sondern auch in seiner von der Friedrich-Ebert-Stiftung bereits 2000 herausgegebenen Doktorarbeit "Der junge Kurt Schumacher 1895-1933" auffallen.

So kritisiert die FAZ-Rezensentin Petra Weber in ihrer Besprechung der Monographie, daß Schober manche Unstimmigkeiten in den Äußerungen Schumachers weder benenne noch erkläre. So werde zum Beispiel nicht kommentiert, warum der Politiker, obwohl er die nationalsozialistische "Stimmungsmacherei" gegen Frankreich verurteilt habe, in der Nachkriegszeit selbst "nationalistische Parolen" von sich gegeben habe. Überhaupt bemängelt die Rezensentin die fehlenden "Kontinuitätslinien", die die Biographie der ersten Jahre Schumachers mit seinem Leben und Wirken als Nachkriegspolitiker verbinden würden. Dieser Kritik am Buch "Der junge Kurt Schumacher 1895-1933" kann man sich bezüglich des Aufsatzes "Kurt Schumacher aus deutscher Sicht. Zu seinem 50. Geburtstag" anschließen.

Nach der Lektüre wird es verständlich, daß die Friedrich-Ebert-Stiftung sowie der Beauftragte der Bundesregierung für An- gelegenheiten der Kultur und der Medien das Projekt unterstützt haben.

Den diesen beiden Artikeln folgenden Ausstellungstafeln meint man ansehen zu können, daß Volker Schober zu den wissenschaftlichen Beratern gehörte. So wird beispielsweise der Widerspruch nicht aufgelöst, daß die Polen vor dem Ersten Weltkrieg einer "Germanisierungspolitik" ausgesetzt worden seien, sich im Ersten Weltkrieg aber loyal zum Deutschen Reich verhalten hätten.

Die polnische Loyalität wird damit zu erklären versucht, daß die "Menschen in den östlichen Provinzen Deutschlands - Deutsche wie Polen -" diesen Weltkrieg "vor allem als die Verteidigung des gemeinsamen westlichen Kulturkreises" gesehen hätten. Das ist neu. Bis jetzt bestand eigentlich Konsens, daß Deutschland sich zu dieser Zeit noch auf dem sogenannten deutschen Sonderweg befand und dem Mitteleuropagedanken anhing. Daß Polen da freiwillig mitgemacht haben, kann aber offenkundig nicht sein, weil nicht sein kann, was nicht sein darf.

Die These, daß Schumacher auf dem von ihm von 1905 bis 1914 besuchten Kulmer Gymnasium "direkt mit den Folgen der Germanisierungspolitik in den preußischen Ostprovinzen konfrontiert" worden sei, wird mit dem Hinweis zu belegen versucht, daß an "dem mehrheitlich von polnischen Schülern besuchten Gymnasium - in Schumachers Abiturklasse standen siebzehn Polen drei Deutschen gegenüber - ... der Gebrauch der polnischen Sprache seit 1899 untersagt" gewesen sei. Daß die Polen mit 17 Schülern in Schumachers Abiturklasse gemessen an ihrem Anteil an der Gesamtbevölkerung, völlig überrepräsentiert waren und dieses auf bemerkenswerte Bildungschancen für die Polen in Preußens Osten schließen läßt, wird in der Ausstellung jedoch nicht erwähnt.

Wes Geistes Kind diese Ausstellung ist, offenbaren spätestens die letzten Seiten beziehungsweise Tafeln, in denen unter der Überschrift "50 Jahre danach: Aussöhnung und Perspektiven" und bebildert mit Aufnahmen von Brandt, Kohl und Schröder der Warschauer Vertrag von 1970 und der Vertrag über gute Nachbarschaft und freundschaftliche Zusammenarbeit von 1990 samt Folgen abgefeiert werden. A. Liedfeger

Westpreußisches Landesmuseum (Hrsg.), "Kurt Schumacher", Münster 2002, broschiert, 108 Seiten, 26 Abb., 3 Eur
 
     
     
 
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