A B C D E F G H I J K L M N O P Q R S T U V W X Y Z
     
 
     
 

Die Karten neu gemischt

 
     
 
Rund 16 Millionen polnische Grundbücher liegen bald nur noch in elektronischer Form vor. Diese datentechnische Großaufgabe beschäftigt das polnische Justizministerium bereits seit Oktober vergangenen Jahres. Seit Anfang April werden weitere Grundbuchabteilungen umgestellt - mit Folgen, auch für Deutsche.

Indirekt betroffen sind Vertriebene und deren Erben, die Grundrechte oder Besitzansprüche geltend machen wollen. Die Grundbuchabteilung Danzig/Wejherowo beispielsweise wurde bereits in die rechtlich verbindliche neue Form gebracht. Diese Form ist nach der Umstellung der Grundbücher entscheidend anders strukturiert: Die bisher noch sichtbaren, ehemaligen, das heißt nicht mehr gültigen, Besitzverhältnisse sind nun praktisch getilgt. Es wird nämlich nicht der ganze Grundbucheintrag übernommen, sondern nur der aktuelle Inhalt. Historische Besitzverhältnisse nachzuvollziehen dürfte bald erheblich schwieriger sein.

Der Wegfall alter Besitznachweise ist allerdings mehr eine - je nach Standpunkt - (un-)angenehme Begleiterscheinung, als das zentrale Motiv der Umstellung. Für ausländische Unternehmer, die in Polen Besitz erwerben wollten, brachte die alte Papierform nämlich Nachteile. Den begehrten Investoren
wurde der Eigentumsnachweis durch die umständliche "papierne" Bürokratie erschwert, der Einsatz der Grundbucheintragungen als Sicherheit bei der Annahme von Krediten gestaltete sich oft mühsam. Beides soll nun leichter und schneller möglich sein. Kattowitz und Schweidnitz gehören zu den 17 Bezirken, die jetzt umgestellt wurden. Während der Übertragung stehen die Grundbücher zehn Tage nicht zur Verfügung, Eintragungen in die alten Bücher finden nicht mehr statt. Im ost- und mitteleuropäischen Vergleich ist Polen mit seiner elektronischen Form sogar ein Nachzügler. Im Mai 2001 erst wurde die Änderung der Rechtsvorschriften, die dem "neuen Grundbuch" zugrunde liegen, mit Blick auf den EU-Beitritt des Landes beschlossen. Auch die Grundbuchabteilungen bei den Gerichten wurden personell um neue Gerichtsreferendare (polnisch: Referendarz) aufgestockt. In der Bundesrepublik Deutschland sind selbst die Ämter der neuen Bundesländer längst umgestellt worden. Zeitersparnis und eine höhere Rechtssicherheit durch leichteren Datenabgleich sind die Vorteile, wenn auch zu einem hohen Preis für ehemalige Besitzer.

Bisher waren Versuche, Besitz, der im Zuge von Flucht und Vertreibung von polnischer Seite seit Kriegsende enteignet wurde, wiederzuerlangen, praktisch vergebens. Für spätere Klagen vor polnischen oder europäischen Gerichten wegen offener Vermögensansprüche - gerade letzteres könnte sich langfristig für Betroffene und deren Erben als interessant erweisen - wird der Eigentumsnachweis also schwerer. Aufgrund der Grundbuchumstellungen in Polen dürften in Zukunft die in der Bundesrepublik vorhandenen Möglichkeiten, alte Besitzrechte nachzuweisen, an Bedeutung gewinnen. Hierbei sind besonders die Dokumente des Archivs des Lastenausgleichsgesetzes (LAG-Archiv) in Bayreuth eine wichtige Quelle. Für den Fall tatsächlicher Restituierung (Entschädigung oder Rückgabe) durch Polen müssen Betroffene mit Rückzahlungsforderungen der Bundesrepublik rechnen, falls sie oder Angehörige im Rahmen des LAG Ausgleichszahlungen erhalten hatten. Auch wenn das Lastenausgleichsgesetz heute keine Entschädigungsmöglichkeiten mehr bietet, ist es doch neben privaten Dokumenten eine wichtige Quelle.

 
     
     
 
Diese Seite als Bookmark speichern:
 
     
     
     

     
 

Weitere empfehlenswerte Seiten:

Balinesen

Boom in Osteuropa

Der Rhetorik-Unterricht Adolf Hitlers als Bühnenstück

 
 
Erhalten:
 

 

   
 
 
1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11
WISSEN48 | ÜBERBLICK | THEMEN | DAS PROJEKT | SUCHE | RECHTLICHE HINWEISE | IMPRESSUM
Copyright © 2010 All rights reserved. Wissensarchiv