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Die Lage am Persischen Golf wendet sich allmählich

 
     
 
Mit 1,648 Millionen Quadratkilometern und etwa 65 Millionen Einwohnern ist Iran der bedeutendste Staat am Ufer des Persischen Golfes. Nur Saudi Arabien (2,2 Millionen Quadratkilometer) ist größer als Iran, dessen Bevölkerungszahl (etwa 61 Millionen) jedoch die aller Golfstaaten zusammengenommen übersteigt. Dazu verfügt der Iran nach bisherigen Erkenntnissen über 10 Prozent der Ölreserven der Welt. Iran ist seit 1979 eine theokratisch strukturierte islamisch
e Republik.

Washington hat seine Interessen am Persischen Golf schon während des Zweiten Weltkrieges erkannt. Seitdem haben alle amerikanischen Präsidenten, von Delano Roosevelt bis Bill Clinton, dieses Interesse bekräftigt. Im Januar 1980 wurde die Carter-Doktrin formuliert: "Jeder Versuch einer auswärtigen Macht, die Kontrolle über die Region des Persichen Golfes zu erlangen, wird als ein Angriff auf vitale Interessen der Vereinigten Staaten angesehen und mit allen Mitteln, einschließlich militärischer Gewalt, zurückgeschlagen werden."

Nachdem die Briten 1967 begannen, sich "östlich von Suez" zurückzuziehen, nahmen die Vereinigten Staaten mehr und mehr ihre Stellung im Iran ein. Es entwickelte sich ein auf gemeinsamen Interessen fußendes Verhältnis: Schah Mohammed I. Pahlevi war auf die Hilfe Washingtons angewiesen, um aus dem rückständigen Iran gleichzeitig eine Industrie- und Militärmacht zu machen. Diese Politik überforderte aber maßlos die in uralten Traditionen verharrende persische Gesellschaft und wurde daher zum Wegbereiter der islamischen Revolution.

Das Interesse der USA am Iran ist vielschichtig: Das Land besetzt das gesamte Nordufer des Persischen Golfes und nimmt daher eine beherrschende geopolitische Position in seinem Bereich ein. Während des Kalten Krieges blockte der Iran die Sowjetunion vom Nahen Osten und dessen Ölquellen ab. Die unter amerikanischer Ägide durchgesetzte politische Stabilität der Region bleibt bis heute ein ernsthaftes Anliegen Washingtons. Damit werden die amerikanischen Ölinteressen gesichert, aber auch der freie Ölabfluß aus der Region garantiert. Hierbei handelt es sich um eine kaum zu unterschätzende Leistung amerikanischer Politik.

Die Islamische Republik Iran ist politisch stabil. Seit der islamischen Revolution im Februar 1979 erfolgen die Ablösung der Staatsführung, die Durchführung von Wahlen und der Regierungswechsel zwar im Zeichen scharfer innenpolitischer Auseinandersetzungen, jedoch stets im Rahmen der bestehenden Legalität. Dennoch genügen ausländischen Kommentatoren oft auch geringe Unregelmäßigkeiten im politischen Ablauf Irans, sie als den Beginn des Endes der Islamischen Republik darzustellen. Solche Urteile haben wohl nur einen propagandistischen Wert. Die islamische Revolution, ihr Staat und ihre Gesellschaft sind weder nachahmenswert noch entsprechen sie europäischen Vorstellungen. Allein, es ist ein Irrtum zu glauben, es gehöre zu ihren Zielen, dem Ausland zu gefallen.

Mit Blick auf die Parlamentswahlen vom 18. Februar erreichte dieser Irrtum in Europa und in den USA einen Höhepunkt: Im Falle eines Sieges Chatamis wurde in etwa das Ende der islamischen Revolution und eine nicht näher definierte dubiose "Öffnung zum Westen" vorausgesagt. Nur vereinzelte Stimmen wiesen darauf hin, daß die Möglichkeiten des Staatspräsidenten, etwas gegen die Verfassung und die Mullahs anzurichten, gering seien. Chatami will aber selbst das nicht. Er gehört nämlich selbst der islamischen Revolution an und ist strikt gegen eine "Öffnung zum Westen", wenn dies die Akzeptanz der amerikanischen Dominanz im Persischen Golf bedeuten sollte.

Chatami hat auch nach den Wahlen vom 18. Februar, die er gewonnen hat, wiederholt betont, daß eine Rückkehr Irans zum status quo ante, d. h. zur Billigung einer amerikanischen Dominanz im Bereich des Golfes, nicht mehr möglich sei. Vielmehr sollen die Länder der Region selbst über ihr Schicksal entscheiden. Ebendies will aber Amerika auf keinen Fall. Hier aber liegt der Grund künftiger Auseinandersetzungen im Bereich des Golfes. Das primäre außenpolitische Ziel des Iran und seines Präsidenten Chatami ist, die Vereinigten Staaten als Vormacht im Bereich des Persischen Golfes auszuschalten. Je erfolgreicher Chatami im Inneren ist, je stärker die demokratische Idee im Rahmen der islamischen Republik wird, desto näher wird Teheran dem Ziel kommen, die amerikanische Dominanz im Persischen Golf zu brechen.

Der Prozeß dazu ist bereits im Gange. Washington wollte Teheran isolieren, und es ist ihm eine Zeitlang auch durch die Übermittlung eines falschen Bildes des Iran, durch das Embargo und sonstige wirtschaftliche Strafmaßnahmen gelungen. Doch seit der Mitte der neunziger Jahre hat sich für Amerika das Blatt am Persischen Golf gewendet. Der Iran ist eben ein zu wichtiger Staat, um auf die Dauer durch Isolierung wegen seiner Staatsform und deren politischer Inhalte bestraft zu werden. Washington sieht es anders. Persien ist ihm nur dann genehm, wenn amerikanische Ölfirmen seine Ölbranche beherrschen und es Amerika als Vormacht im Persischen Golf akzeptiert. Teheran lehnt beides ab.

Das Ansehen der islamischen Republik ist in der Region im Wachsen begriffen und bei Fortsetzung des liberalen Kurses Chatamis wird sie immer mehr zum Vorbild der Golfstaaten. Trotz aller verbalen Bekundungen Washingtons hat es kein Interesse an einer islamischen Republik Iran mit demokratischem Gesicht. Außerdem ist der Versuch Washingtons, den Iran wirtschaftlich zu isolieren, vor allem am Widerstand Frankreichs und Italiens gescheitert. Trotz amerikanischer Widerstände haben beide große Investitionen in die Energieindustrie Irans vorgenommen, so weit, daß nunmehr im Iran die amerikanischen Ölfirmen als isoliert gelten. Der Besuch Außenminister Fischers in Teheran Anfang März ist allgemein als ein Versuch Berlins bewertet worden, ungeachtet amerikanischer Widerstände der Politik Frankreichs und Italiens gegenüber dem Iran und dem Persischen Golf zu folgen.

Der Versuch einer Wiederannäherung zwischen Berlin und Teheran findet in einem kritischen Moment statt. Der Besuch des deutschen Außenminsters in Teheran zu diesem Zeitpunkt bedeutet eine Stärkung Chatamis, d. h. des Ansehens der islamischen Republik Iran im Bereich des Golfes, in einer Zeit, in der Washington ebendies nicht will. Somit tritt die Europäische Union mehr oder weniger geschlossen im Persischen Golf auf, während die Vereinigten Staaten auch weiter nördlich, am Kaspischen Meer, immer mehr in die Defensive geraten. Der ursprüngliche Plan Washingtons war, Iran und Irak vollends zu isolieren und das Öl aus dem kaspischen Raum über eine 2000 Kilometer lange Pipeline von Aserbaidschan über die Türkei ans Ostmittelmeer zu bringen, ohne russischen Boden zu berühren. So würde Washington langfristig die Hand auf den Ölhahn zur Versorgung der Europäischen Union legen können. Dieser Plan ist aus mehreren Gründen gescheitert.

Selbst amerikanische Ölfirmen wollten von der phantastischen Pipeline, die vom aserbaidschanischen Baku zum türkischen Ceyhan (an der Südküste, gegenüber Zypern) reichen sollte, nichts wissen, weil sie zu lang, zu teuer und zu unsicher wäre, denn sie müßte durch kurdisches Gebiet gezogen werden. Die Beharrlichkeit, mit der Washington an der Realisierung dieses Planes noch festhält, sollte für alle europäischen Politiker lehrreich sein, weil die US-Absichten gegenüber Europa weiterhin bestehen bleiben …

Vor allem aber hat in diesem Zusammenhang Moskau sehr schnell reagiert. Zum einen hat es die separatistische Bewegung in Tschetschenien mit aller Härte niedergeschlagen. Damit bleibt die Pipeline Baku–Novosibirsk (Schwarzes Meer) offen. (Es ist nicht ohne Interesse, daß "türkische Islamisten" nach Kräften die Separatisten in Tschetschenien unterstützt haben, denn ihr Erfolg hätte die Pipeline Baku–Ceyhan realistischer gemacht). Dazu hat Moskau eine neue Pipeline von Kasachstan über das Nordufer des Kaspischen Meeres bis nach Novosibirsk gebaut, wodurch das kasachische Öl überhaupt erst einen Ausgang zu den Weltmärkten fand.

Einen zweiten, billigen und sicheren Ausweg bot dem kasachischen Öl der Iran: Er übernahm kasachisches Öl am Südufer des Kaspischen Meers, verbrauchte es dort und lieferte die gleiche Ölmenge am Persischen Golf auf Rechnung Kasachstans aus. Aufgrund der Geographie kann der Iran das Problem der Vermarktung des kasachischen Öls durch den Bau von Pipelines vom Südufer des Kaspischen Meeres bis zum Persischen Golf lösen. Eine solche Pipeline wäre etwa 600 Kilometer lang und würde über sicheres Gebiet führen. Im vergangenen Dezember hat Teheran die "Transportgebühren" des kasachischen Öls um 30 Prozent herabgesetzt, so daß dieser Weg, sehr zum Ärger amerikanischer Ölfirmen, noch billiger geworden ist.

Unter diesen Umständen hat sich die Lage der USA in Zentralasien so weit verschlechtert, daß sie ihre einstigen Pläne für Zentralasien aufgeben und sich allein auf Aserbaidschan und die Tür-kei konzentrieren. Anderenfalls, wenn sie alles haben wollen, laufen sie Gefahr, alles zu verlieren. Die russische Konkurrenz in diesem Raum hat sich eben als stärker erwiesen, als ursprünglich angenommen wurde. Auch die Haltung Frankreichs und Italiens, neuerdings sogar auch der Bundesrepublik Deutschland, tragen zur Änderung der Absichten Washingtons in Zentralasien bei.

Sehr bezeichnend für diese Entwicklung ist der Fall der turkmenischen Erdgaspipeline. Ihr Bau wurde von der amerikanischen Export-Import-Bank finanziert und sollte turkmenisches Erd- gas über Aserbaidschan und Batumi (Schwarzes Meer) zu den Weltmärkten führen. Anfang März verlangte aber Washington, auf Drängen des aserbaidschanischen Präidenten Hejdar Alijew, daß diese Pipeline auch aserbaidschanisches Erdgas nach Batumi transportieren müsse. Das ist der erste Schlag, den Washington einer zentralasiatischen, ehemaligen sowjetischen Republik versetzt, um seinen Interessen in Aserbaidschan und der Türkei zu dienen. Turkmenistan berührt diese Haltung Amerikas weniger, als es lärmend vorgibt: mit französischer Hilfe ist bereits eine Erdgaspipeline von Turkmenistan und dem Iran bis in die Türkei gebaut worden.

Somit sind die USA dabei, die Kontrolle über die Energieträger des Nahen Ostens und Zentralasiens zumindest zum Teil zu verlieren. Rußland wird auch in diesem Zusammenhang immer stärker, und das gleiche gilt auch für den Iran unter Chatami. Damit verlieren sie ein wichtiges Machtinstrument. Sehr bewußt haben sie den Irak als Öllieferanten ausgeschaltet und das gleiche auch mit Libyen versucht. Für die USA ist eben die Höhe des Ölpreises irrelevant: je größer die Einnahmen der arabischen Golfmonarchien aus dem Ölgeschäft sind, desto größer deren Waffenimporte aus den USA, so daß am Ende die Rechnung für Amerika immer stimmte. Jedenfalls bisher.

 
     
     
 
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