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Die Memoiren eines Offiziers im besonderen Einsatz

 
     
 
Er war zweifellos eine der schillernsten Personen des SED-Staates. Veröffentlichunge über ihn nach 1989 beschreiben ihn als den "größten gewerbsmäßige Staatshehler", während andere ihn als "kaltschnäuzigen Finanzjongleur" titulieren; der Klappentext seines jetzigen Buches möchte ihn hingegen offenbar primä als "Geheimdiplomat auf gesamtdeutschen Parkett" gewertet sehen. Sein Buc (Alexander Schalck-Golodkowski "Deutsch-deutsche Erinnerungen", Rowohlt-Verlag Reinbeck, 2000; 349 Seiten, 45 Mark) hätte also eigentlich größere Chancen gehabt, ei Bestseller zu werden. Es dürfte indes kaum dazu kommen: Denn verspricht er auch, dari die Wahrheit zu schreiben (er spricht allerdings vorsichtig "Meine Wahrheit") so verschleiert
seine Autobiographie doch mehr als daß sie enthüllt. Gewiß erhält de Leser an einigen – leider nicht vielen – Stellen gewisse Einblicke in die inneren Zirkel des Machtzentrums der DDR und auch in das dortige Wirtschaftssystem, abe es bringt kaum Neues. Zudem bleibt der Autor durchweg an der Oberfläche. Die nich wenigen anekdotenhaften Schilderungen sind nett hinzunehmen. Doch das Wichtigste, die entscheidenden Punkte bleiben bedauerlicherweise ungeschrieben – obwohl dazu seh vieles zu sagen wäre!

Als Schalck im Rang eines Oberstleutnants "Offizier im besonderen Einsatz" in direkter Anbindung an das DDR-Ministerium für Staatssicherheit (MfS) wurde, erfüllte ih das nach seinen eigenen Worten "mit gewissem Stolz". Doch kann man ihm die Formulierung – die heutzutage wohl nach einer gewissen Entschuldigung klingen sol –, "Ich wußte vom MfS wenig", tatsächlich glauben? Erwartungsgemä sucht der Leser im ganzen Buch vergebens von Verhaftungen politisch Andersdenkender, da Wort vom DDR-Zuchthaus Bautzen scheint er niemals gehört zu haben. In den Menschen welche das ungeliebte Regime in Mitteldeutschland verlassen wollten (er tat es späte selber!) sah er "einen Akt der Undankbarkeit", war ihr Weggang doch "ei volkswirtschaftlicher Verlust" – welche Gefühle diese Personen hatten, ihr Heimat zu verlassen, dafür hatte er "kein Verständnis". Besa Schalck-Golodkowski kein Herz, konnte rein menschlich nicht tiefer nachdenken? Dafür ga es eigentlich mehr als genügend Anlässe! Doch den Volksaufstand vom 17. Juni 1953 wei er dann auch nur mit dem Satz zu beschreiben, "In mir blieb das Gefühl zurück, da ich mich endgültig für die DDR und für die SED entschieden hatte und daß die Entscheidung richtig war."

Nach ihrer Phraselogie wollte die SED den "neuen Menschen" schaffen, welche die Erfüllung seiner Wünsche im Sozialismus selbst findet und damit "da persönliche Profitinteresse", die "Konkurrenz um Karriere und Geld in Kapitalismus" überwindet, doch wo war der Unterschied zu dem verzweigte finanziellen Prämien-System der DDR? Der Autor sieht diesen Fehler in der Ideologie zwar aber nimmt ihn hin, und all die Orden (die er stolz aufzählt im Buch), die pecuniäre Vorteile sowie gerade auch das Honecker-Geschenk in Form eines Wochenendhauses sehr gern und ohne irgendwelche Bedenken an.

Schön klingen die Ausführungen über seine Promotion: Es ist menschlic verständlich, wenn er auf dem Parkett des internationalen Handels mit Persönlichkeite zusammentraf, die einen Doktortitel hatten, und dann für sich meint, "Ich wollt ihnen nicht nachstehen". Für "Linientreue" in der DDR gab es damals die sogenannte Doppel-Dissertation, bei der zwei Doktoranden gemeinsam eine Arbei verfaßten Viel Zeit hatte Schalck dafür nicht, obwohl das Thema "Zur Vermeidung ökonomische Verluste und zur Erwirtschaftung zusätzlicher Devisen im Bereich ,Kommerzielle Koordinierung’ des Ministeriums für Außenwirtschaft der DDR" seine täglich Arbeit darstellte. Nach seinen Worten mußte die Dissertation natürlich "in de Kampf der Weltanschauungen eingebettet" sein – nach Ansicht bundesdeutsche Publizisten ist sie allerdings "in einem so schauderhaften Funktionärsdeutsc abgefaßt, mit so vielen sattsam bekannten Stereotypen kommunistischer Ideologi durchsetzt." Sieht die Doktorarbeit doch etwa auf Seite 41 das Ziel: "Dem Fein mit allen nur zur Verfügung stehenden Mitteln und Möglichkeiten, durch Anwendung seine eigenen Methoden und Moralbegriffe, Schaden zuzufügen sowie die sich bietende Möglichkeiten des feindlichen Wirtschaftspotentials zur allseitigen Stärkung der DD voll zu nutzen." Der "Feind" war "natürlich" der freie Tei Deutschlands!

Und wenn man dem Buch die harmlos erscheinenden Worte entnehmen darf, Stasi-Ministe Erich Mielke sei "unser offizieller Betreuer" gewesen, so hat er in Wahrheit die Dissertation offiziell abgenommen. Er, der weder einen Doktor- noch gar eine Professorentitel aufweisen kann! Daß gewiß aus diesem Grunde kein Exemplar de Dissertation archiviert wurde in der DDR, sondern zur "Geheimen Verschlußsache Mf 210-354/70" avancierte, hat der Autor wohl vergessen?

Seine Arbeit hieß "Koko" – "Kommerzielle Koordinierung" welche Devisen für Ost-Berlin zu erwirtschaften hatte und das mit sämtlichen nu möglichen Mitteln. Etwa mit Waffen und zwar – wie beim Beispiel Irak und Iran – bei beiden Seiten kriegsführender Länder. Dezember 1989 lagerten bei de "Koko"-Stelle IMES noch Waffen im Werte von über zwölf Millionen Mark, un noch Ende November (drei Tage vor seiner Flucht nach West-Berlin!) schrieb Schalck stol an den DDR-Ministerratsvorsitzenden Modrow, für weitere 150 Millionen seien Geschäft angebahnt! Seine Firma "Kunst und Antiquitäten" verkaufte derartiges "au staatlichem Besitz" ins Ausland; oft, so räumt er ein, seien sie von DDR-Bürger gekommen, die "Steuerhinterziehung" begangen hätten. Tatsache ist, daß viel Bewohner Mitteldeutschlands direkt zum Verkauf zu Billigpreisen gezwungen oder einfac enteignet wurden. Eine Antwort auf die Frage, wieso in Schalcks Berliner Haus (mit siebe Zimmern) sich Meißner Porzellan für 800 000 Mark, weit über 200 Gemälde und ein unbezahlbare russische Ikone befanden, erfährt der Leser in dem Buch leider, leider nich ...

In einer ARD-Sendung vom 2. Januar 1991 hatte Schalck-Golodkowski sich über Strau noch recht abfällig geäußert, er sah als dessen Motiv, jenen Milliarden-Kredit zu bewilligen, "persönliche Geltungssucht". Hat er in der Zwischenzeit sein Meinung so geändert? In seinem jetzigen Buch nämlich beschreibt er ihn recht positiv dessen Ziel es war, politische Häftlinge in der DDR freizubekommen und die Grenze zu "alten" Bundesrepublik mit ihren Todesautomaten nicht ganz so grausam erscheine zu lassen. Über das Motiv, auf diese Weise die DDR letztlich zu unterstützen und – kurzfristig – zu festigen, gibt es noch heute auch innerhalb der CSU rech unterschiedliche Ansichten: Manche glauben, er wollte nicht länger als "Kalte Krieger" diffamiert werden und der SPD/F.D.P.-Regierung mit ihren damaligen Kredite an Polen und Jugoslawien nacheifern.

Doch wer Strauß näher kannte, möchte zumindest eine andere Version nich ausschließen: Ohne den Kredit wäre das Leben in Mitteldeutschland sehr schnell noc trister geworden und wären die Menschen wahrscheinlich auf die Straße gegangen (wie dan später 1989) – um wie am 17.6.1953 von Sowjetpanzern erneut erdrückt zu werden. D der Westen nicht eingegriffen hätte, würde die DDR-Bevölkerung den Glauben an die Wiedervereinigung endgültig verlieren. Der Kredit sollte danach nur verzögern, letztlic Zeit gewinnen: Wahrscheinlich ahnte der "Löwe von Bayern" oder hoffte doch seh stark, daß die Sowjetunion immer schwächer werden würde und eines Tages ihre Panze dann nicht mehr gegen freiheitsliebende Deutsche rollen würden und ohne den sowjetische Schutz die Einheit Deutschlands möglich sei. Einige Zeit-Kritiker meinen, Strauß hätt so weit nie gedacht. Wer will das wissen? Er hatte Visionen, und daß er das Ende de SED-Diktatur voraussah, betonte er bereits 1983 in aller Öffentlichkeit Bedauerlicherweise geht der Autor darauf überhaupt nicht ein, allerdings wird Strauß be all seiner Freundlichkeit Schalck als Abgesandten der DDR auch kaum seine Vorstellunge mitgeteilt haben!

Bis zuletzt hoffte jener, die DDR könne ihre Probleme lösen. August 1989 erklärt er: "Uns liefen die jungen Leute, uns lief die Zukunft davon … Die DDR wa wie ein Dampfkessel vor der Explosion." Seine Schilderungen sind insofer interessant, als er eingestehen muß, "Wir waren weder über die Geschehniss draußen wirklich orientiert noch in der Lage, sie realistisch einzuschätzen." Trot seiner breiten Darlegung bleibt immer noch rätselhaft, warum er, – der doch bis zu bitteren Ende der DDR gläubig war und gewiß mehr als seine Pflicht tat – von de eigenen Genossen verhaftet werden sollte und – wie er schreibt – direkte Angs um sein Leben hatte.

An seinem letzten Tage in Ost-Berlin diktierte er noch einen Brief an das Mitglied de SED-Politbüro, Werner Eberlein – den Inhalt verschweigt er indes: Er offenbart darin die "teilweise im Ausland angelegten Guthaben als letzte Einsatzreserve" 8,7 Milliarden Mark und 21 Tonnen Goldreserven. Sein letzter Dienst, so vermerkte ein Zeitung, ermöglichte der DDR die Zahlungsfähigkeit über die Währungsunion hinaus un den geordneten Einstieg der SED-Eliten ins neue Deutschland …

Kein einziges Wort findet sich im Buch über seinen Brief vom 2. Dezember 1989 a Modrow, "daß ich kurzfristig meinen Urlaub antreten möchte". Er beteuer darin, "Ich fahre nicht in die BRD, nach Westberlin oder NATO-Staaten. Ich bin un möchte Bürger unseres Staates sein und bleiben … Ich verspreche Dir und meine Staat, daß ich gegenüber niemandem über meine Kenntnisse spreche werde …" Nur wenige Stunden später waren er und seine Frau bereits nac West-Berlin geflüchtet!

Konnte man damals westdeutschen Zeitungen entnehmen, der Bundesnachrichtendienst hätt ihn aus der dortigen Untersuchungshaft herausgeholt, weil er selber am 20. Januar 199 "zum ersten Mal mit zwei Beamten des BND" zusammengetroffen sein soll. Da klingt allerdings ziemlich unwahrscheinlich. Gut informierte Kreise munkeln sogar, Schalc sei bereits 1988 in der "alten" Bundesrepublik von Pullach angeworben worden un habe seitdem für den westdeutschen Geheimdienst gearbeitet – was diese selbstverständlich energisch zu dementieren weiß.

Damals, direkt nach dem Ende der DDR, meinte Generalstaatsanwalt Prechtel nach Kenntni der Akten noch, "Es wäre unerträglich, wenn er von der deutschen Justiz nich belangt werden könnte". Tatsächlich aber bleiben nur zwei Verurteilungen wege Verletzung der Bundesdeutschen Embargobestimmungen, und ungebeugt vermerkt der Autor "Damit kann ich leben." Die Gründe – wie allerdings so manches unsere Justiz nach 1989/90 – sind unbekannt. Sorgenvoll – vielleicht übertrieben – erhob ein Buch von den Autoren Wolfgang Seiffert und Norbert Treutwein die Frage "Gibt es für jemanden im Westen Deutschlands Grund, Schalck zu schützen? Hat in Bonn vielleicht jemand ein Interesse daran, Schalck vor einem Prozeß zu bewahren? Wei Schalck zuviel? Weiß er vor allem über amtierende Politiker Kompromittierendes, da nicht ans Licht soll?" Doch: Werden wir es je erfahren?

Seine eigene Rolle in der DDR wertet der Autor als "alles andere als rühmlich", doch ist von Reue nichts zu spüren. Sieht er sich doch – zumindes heute – in der Rolle eines bloßen Befehlsempfängers, des beinahe-entscheidungslose Mitarbeiters, der stets nur seine Pflicht tat und immer anständig blieb – wie j alle SED-Bonzen …


 
     
     
 
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