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Die Sensationslust der Masse befriedigt

 
     
 
Keiner verstand es so gut wie er, sich zum bekanntesten Künstler des 20. Jahrhunderts zu machen, und keiner wußte so gut wie er, wie man die Sensationslust einer gelangweilten Masse befriedigen konnte. Einen "Cagliostro der Malerei" nannte ihn der auch nicht unbekannte Oskar Kokoschka, in Anspielung auf den italienischen Abenteurer, dem es durch Spiritismus und Quacksalberei gelang, großen Einfluß zu gewinnen.

Pablo Picasso (1881-1973) ist wohl der am häufigsten ausgestellte Künstler der Moderne, aber auch über keinen anderen gehen die Meinungen so weit auseinander wie über den begabten Pinselschwinger von der iberischen Halbinsel. In seinen 91 Lebensjahren schuf der spanische Künstler über 30.000 Gemälde, Zeichnungen, Graphik
en, Skulpturen und Keramiken, unter denen sich nicht wenige Fälschungen befinden mögen. Virtuos des Meisters Gabe, sich aller Stile und Strömungen der modernen Malerei zu bemächtigen, ihnen mit artistischer Eleganz eine ganz persönliche Note zu verleihen.

Wie immer steigen die Besucherzahlen in die Höhe, wenn Kunstmuseen Arbeiten von Picasso präsentieren. So auch in Stuttgart, wo man zur Sommerzeit "Die Lust am Strand" in der Staatsgalerie sozusagen miterleben kann (bis 16. Oktober). Das Meer war für Picasso ein Ort der Freiheit, es entstanden arkadische Frauen- und Familienbilder, deren surrealistische, deformierende Strukturen manchmal Schrecken einjagen können. 15 der insgesamt 150 ausgestellten Werke gehören zum Stuttgarter Bestand, etwa 40 Bilder sind Leihgaben aus dem Pariser Musée Picasso. Stolz ist die Staatsgalerie auf das 1981 für zehn Millionen Deutsche Mark eingekaufte Strukturensemble "Die Badenden" von 1956. Zu dieser bis dahin umfangreichsten skulpturalen Arbeit des Künstlers schrieb Galeriedirektor Christian von Holst in seinem Katalogvorwort: "Gleichwohl löste das primitivistische Erscheinungsbild der Figurengruppe Kontroversen von ungewöhnlicher Schärfe aus, die heute kaum mehr nachvollziehbar sind!" Nachvollziehbar ist auch gegenwärtig die Kritik an dem

in seiner geistlosen Primitivität nicht mehr zu überbietenden Ensemble: Die aus Kistenbrettern, Stöcken, Möbelteilen zusammengesetzten sechs Figuren, die in einem Kiesbett stehen, soll Picasso aus an den Strand gespülten Trümmern untergegangener Schiffe erstellt haben.

Wenden wir uns also den erfreulicheren Exponaten zu. Da sind einmal die mit leichter Hand in wenigen Strichen wiedergegebenen Bleistiftzeichnungen: "Das Türkische Bad" mit vier Frauen in leicht lasziver Haltung oder der "Akt am Strand", eine luftige, aquarellierte Federzeichnung, 1933 in Cannes entstanden.

Im Spätsommer 1918 reiste Picasso erstmals seit Kriegsausbruch wieder ans Meer nach Südwestfrankreich. Das mondäne Strandleben von Biarritz bot ihm nicht nur Erholung, sondern auch künstlerische Anregungen. Es entstand eines der hübschesten Bilder der Ausstellung: Ein buntfarbiges kleines Ölgemälde zeigt vor dem Hintergrund des Leuchtturms von Biarritz drei Damen in tänzerischer Haltung, bekleidet mit züchtigen Badeanzügen. Eine andere Leihgabe aus Paris, die berühmte auf Sperrholz gemalte Gouache "Deux femmes courant sur la plage" (laufende Frauen am Strand), diente mehrfach vergrößert als Vorhangmotiv für das Ballett Le Train Bleu. Dieses Ballett wurde 1924 erstmals von Diaghilews Truppe im Theater des Champs-Elysées aufgeführt.

Wie ein roter Faden ziehen sich die Badeszenen durch Picassos gesamtes Werk. Am Ende steht die Auseinandersetzung mit den bewunderten Meistern der Vergangenheit, darunter mit Edouard Manets bekanntestem Figurenbild "Das Frühstück im Freien" (1863). In 27 Gemälden und mehr als 150 Zeichnungen, Linolschnitten und Klapp-skulpturen hat Picasso versucht, seinen berühmten Vorgänger zu variieren, in die zeitgenössische Kunstsprache zu übersetzen. Er war darauf versessen, das Publikum zu überraschen, Anstoß zu erregen. Nur die absolute Freiheit seiner Phantasie ließ er gelten, egal wie andere darüber urteilten. In seinem Werk wie in seinem Leben gab es keine Stetigkeit. Picasso bestand darauf, die Welt nach seinem Geschmack neu zu schaffen. Sich damit auseinanderzusetzen, ist einen Besuch der Ausstellung wert, wenn auch nach Meinung des Rezensenten nur ein Teil der ausgestellten Exponate dem allgemeinen Kunstverständnis entspricht. Nach Goethe ist "der Mensch der höchste, ja der eigentliche Gegenstand der Kunst" und "die Würde des Menschen soll innerhalb der menschlichen Gestalt dargestellt werden".

Es besteht in Deutschland die Tendenz, zuviel Gegenwartskunst zu präsentieren. Museumsleiter werden von Sammlern moderner Kunst gedrängt, die privaten Liebhabersammlungen als Stiftungen zu übernehmen und möglichst auch neue Ausstellungsplätze zu schaffen. 1994 konnte der Verfasser im berichten, daß der neue Chef der Stuttgarter Staatsgalerie, Christian von Holst, aus Danzig stammt. Herr v. Holst, Spezialist für Malerei und Skulptur des 19. Jahrhunderts, verabschiedet sich nun leider in den Ruhestand. Rüdiger Ruhnau

 Pablo Picasso: Drei Frauen in Biarritz
 
     
     
 
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