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Die Warnsignale werden immer schriller

 
     
 
Die Krisensignale aus der Wirtschaft bestimmen in immer kürzeren Abständen die Medien der Welt. Jüngstes Beispiel war Brasilien, das bekanntlich wie die übrigen südamerikanischen Länder nicht als Hort politischer, wirtschaftlicher und finanzieller Stabilität galt. Finanzanlagen in dieser Region wurden als stark risikobehaftet eingestuft. Seit über einem Jahrzehnt vollzog sich in Südamerika ein beachtliches Wirtschafts
wachstum. Die Gründung von Handelsgemeinschaften wie "Mercosur" (Argentinien, Brasilien, Uruguay nebst assoziierten Ländern seit 1991) förderten den zwischenstaatlichen Handel. Ausländische Investitionen zeitigten bemerkenswerte Erfolge. Südamerika zählte nun zu den "emerging markets". In Brasilien brachte der Ende 1993 durch den "Plano Real" eingeleitete Kurswechsel nicht nur eine längst fällige Konsolidierung, sondern auch den für einen kraftvollen Aufschwung verstärkten Zufluß von Auslandskapital für Investitionen.

Nach einigen Jahren konjunktureller Aufwärtsentwicklung mußte die inzwischen bedeutend expandierte Autoindustrie im zweiten Halbjahr 1998 einen gravierenden Absatzrückgang hinnehmen und deshalb umfangreiche Entlassungen vornehmen. Auch andere Industriezweige sahen sich zur Reduzierung von Arbeitsplätzen und Investitionen veranlaßt. Anstehende Reformen in der Steuer- und Sozialpolitik sowie beabsichtigte Einsparmaßnahmen in der Verwaltung, speziell der überdimensionierten Altersversorgung, wurden vom Kongreß auf die lange Bank geschoben. Die öffentliche Verschuldung verdoppelte sich binnen zwei Jahren auf rund 250 Milliarden Dollar und beträgt damit 8 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (Maastricht-Kriterium 3 Prozent). Hinzu kommt eine gleich hohe Auslandsverschuldung. Eine von der Regierung zur Haushaltsentlastung durchgeführte Privatisierungsaktion von fast hundert Staatsunternehmen in einem Umfang von rund 85 Milliarden Dollar verpuffte weitgehend.

Der Entlastungseffekt wird von der brasilianischen Zentralbank auf rund 25 Milliarden Dollar geschätzt, der große Rest "versickerte", man fragt sich, in welche Kanäle. Nicht verwunderlich, daß bei Bekanntwerden solcher Fakten eine Fluchtbewegung internationaler Geld- und Kapitalanleger einsetzte. Innerhalb von sechs Monaten schmolzen die Devisenreserven Brasiliens von 75 auf 35 Milliarden Dollar zusammen. Das Desaster Mexiko 1994/95 vor Augen, gewährte der Internationale Währungsfonds Ende 1998 Brasilien einen Stützungskredit in Höhe von 41,5 Milliarden Dollar. (Zum Vergleich: Rußland erhielt im Juli 1998 22,6 Milliarden Dollar.) Doch auch diese "Stütze" hielt Spekulanten nicht vor weiteren Kapitalabzügen ab. Brasiliens Notenbank sah sich gezwungen, den Diskontsatz bis auf 50 Prozent anzuheben – erfolglos.

Zu einer Schockwirkung führte dann die Ankündigung eines Moratoriums des bedeutenden Bundesstaates Minas Gerais. Dieses Menetekel und die Furcht, andere Bundesstaaten könnten diesem Beispiel folgen, löste eine neue Kapitalfluchtwelle aus. Mitte Januar 1999 mußte der Real faktisch um 8 Prozent abgewertet werden. Der Notenbankpräsident trat zurück. Es kam zu schweren Kurseinbrüchen an den brasilianischen Börsen mit entsprechenden Rückwirkungen. Letztlich wird damit nicht nur die brasilianische Wirtschaft betroffen, sondern auch der deutsch-brasilianische Handelsaustausch. In der deutschen Exportstatistik rangiert Brasilien mit einem Volumen von rund 9 Milliarden DM im Jahr 1997 auf Platz 21. Zwar zählt Brasilien damit nicht zu unseren Hauptkunden, doch akkumulieren sich die Einbußen aus den anderen von der Krise betroffenen südamerikanischen Länder. Und immerhin ist Brasilien das bevölkerungsreichste und wirschaftsstärkste Land Lateinamerikas, die achtgrößte Volkswirtschaft der Welt und stellt damit auch zukünftig einen nicht zu vernachlässigendes Marktpotential für deutsche Unternehmen dar. Es läßt sich feststellen, daß die "Krise" in Brasilien aus einer negativen konjunkturellen und fiskalischen Entwicklung entstand, jedoch durch die Transaktionen der internationalen Finanzspekulation verstärkt und damit zu einer "Finanzkrise" gemacht wurde.

Es wird daraus ersichtlich, in welchem Maß die nur profitorientierten und hochspekulativ, global agierenden, skrupellosen Finanztransakteure – losgelöst vom multilateralen Handelsaustausch und ungeachtet nationaler und supranationaler Stützungs- und Abwehrmaßnahmen – schwerwiegende Störungen in labilen, von Auslandskapital stark abhängigen Volkswirtschaften verursachen können. Wer wird das nächste Opfer sein? Und welche weltweiten Folgen sind zu erwarten, wenn es zu einem globalen Dominoeffekt kommen wird: einer Weltwirtschaftskrise?

 
     
     
 
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