|  | Wie weit ist unsere Demokratie     eigentlich schon heruntergekommen, daß bei der Diskussion, wer am 27. September zu     wählen sei, nicht mehr von richtiger oder falscher Politik und ihren jeweiligen     Vertretern, sondern nur noch vom "größeren" oder "kleinerem Übel"     gesprochen wird. Also "übel" scheinen sie allemal zu sein, ob rot oder schwarz,     gelb oder grün und in welcher gemeinsamen Konstellation auch immer.
 Wenn man sich in Erinnerung ruft, wie ernst sie alle die Demokratie und damit des     "Volkes Willen" bei der Entscheidung pro Euro und contra D-Mark
   genommen haben,     fällt in der Tat jeder Widerspruch zu dieser Wertung schwer. Sie alle haben das     Grundgesetz und seine Formulierung "alle Staatsgewalt geht vom Volke aus" grob     mißachtet, denn zumindest bei dieser für unser Volk so existentiell wichtigen     Entscheidung waren die meisten Volksvertreter gar keine Volksvertreter, haben sie doch das     Volk und seinen mehrheitlichen Willen nicht im geringsten vertreten. 
 Gerade in der Euro/D-Mark Frage zwischen größerem und kleinerem Übel zu     unterscheiden ist ohnehin sinnlos. Sie haben alle einhellig unsere harte Währung wohlfeil     für eine Retortenwährung preisgegeben - obwohl Theo Waigel gerade im Jubiläumsjahr das     hohe Lied auf die D-Mark gesungen hat. Und Edmund Stoiber, der monatelang mannhaft für     die D-Mark und gegen den Euro stritt, hat im Bundesrat im entscheidenden Augenblick brav     die bayerische Hand zustimmend gehoben, wie er übrigens auch nach ebenso mannhaftem     Wettern gegen den deutsch-tschechischen Vertrag rechtzeitig einknickte. Wo ist also     wirklich das größere vom kleineren Übel zu unterscheiden?
 
 Etwa in der Zuwanderungsfrage? Oder bei der unseligen Wehrmachtsausstellung? Oder bei     den irrsinnigen deutschen Zahlungen an die EU? Wo standen sie auf und sagten: Bis hierher     und nicht weiter? Wo war die Bundestagsfraktion, die bei der Anerkennung der Ostgrenze     nicht willfährig aufstand und klatschte, statt still einer schlimmen und vielleicht     unumgänglichen Entwicklung zu gedenken?
 
 Und wenn die Christdemokraten auch manches anders wollten, ihre liberalen Partner haben     ihnen schon die Flötentöne beigebracht. Doppelte Staatsbürgerschaft - spätestens in     der nächsten Legislaturperiode! Unzählig erschlichene und doch geduldete doppelte     Staatsbürgerschaften schon heute! Multikulti - nicht nur bei den Grünen - auch die     Liberalen lassen grüßen!
 
 Kraftvoll hat der Bundeskanzler die Entscheidung über das Holocaust-Denkmal bis nach     der Wahl verschoben und der FDP-Vorsitzende möchte in "Würde und Ruhe"     entscheiden. Wie diese Entscheidung ausfallen wird, kann man sich schon vor der Wahl     denken, ohne Prophet sein zu müssen.
 
 Die Suche nach dem kleineren Übel fällt schwer! Zu schnell und zu leicht verfällt     der Gutgläubige gegenwärtig einer geschickt inszenierten Täuschung. Rechtzeitig vor der     Wahl sind wieder die politischen Repräsentanten zum Trommeln losgelassen worden, denen     man vorher über weite Zeitstrecken Zurückhaltung auferlegt hatte. Man weiß eben, was     und wen das Volk sehen und hören möchte und vor der Wahl sind die, welche die ganze     Legislaturperiode nichts zu melden hatten plötzlich wieder "in".
 
 Alle wollen sie jetzt die Kriminellen dingfest machen, den Zuzug von Ausländern     bremsen, das Asylrecht korrigieren, die Schulen verbessern, die Steuern senken und die     Leistungen ans Ausland drosseln. Alle fordern jetzt Gerechtigkeit, wo und wie auch immer.     Eigentlich müßte sich deshalb die Diskussion um die Wahl zwischen den kleineren und     größeren Volks- und Vaterlandsrettern oder -Erlösern drehen. Wenns nicht so ist,     haben wohl die Bürger längst zwischen den Sprüchen vor und dem Handeln nach den Wahlen     unterscheiden gelernt. Und meinen mit dem "kleineren" und "größerem"     Übel am Ende gar nicht mehr die Leistungsfähigkeit der Parteien, sondern sprechen nur     den Unterschied in der Dreistigkeit an, das Volk verdummen zu wollen, das man eigentlich     redlich vertreten sollte.
 
 (Vor der Bundestagswahl räumt die Redaktion Mitgliedern von Parteien die Möglichkeit     zu politischen Stellungnahmen ein. Der Autor, Dr. Heiner Kappel, ist Generalsekretär vom     Bund Freier Bürger - Offensive für Deutschland.)
 
 
 
 
 
 
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