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Ein leiser Abschied

 
     
 
Immer wieder sonntags", trällern Cindy und Bert fröhlich, "An einem Sonntag in Avignon", jubelt Mireille Mathieu, und Wencke Myhre schwärmt von einem "Sonntag im Bett". Die Reihe der Schlager und Lieder, die sich mit dem Sonntag beschäftigen, ließe sich ohne weiteres fortsetzen, und auch die ernsthaften Dichter haben sich mit dem, aus christlicher Sicht, ersten Tag der Woche auseinandergesetzt. Erich Kästner etwa. Er beschrieb auf seine ganz eigene Art eine "Kleine Stadt am Sonntagmorgen": "Das Wetter ist ganz gut geraten./ Der Kirchturm träumt vom lieben Gott./ Die Stadt riecht ganz und gar nach Braten/ und auch ein bißchen nach Kompott./... Die Stunden machen Kinderschritte./ Die Zeit hat Zeit. Und ruht sich aus./ Die Langeweile macht Visite/ und tut, als sei sie hier zu Haus ..." Goethe mahnte 1813 in seinem Gedicht "Die wandelnde Glocke
" die Kinder gar davor, was es bedeutet, den sonntäglichen Kirchgang zu versäumen: "Es war ein Kind, das wollte nie,/ Zur Kirche sich bequemen/ Und sonntags fand es stets ein Wie,/ den Weg ins Feld zu nehmen./ Die Mutter sprach: Die Glocke tönt/ Und so ist dir‘s befohlen,/Und hast du dich nicht hingewöhnt,/ Sie kommt und wird dich holen ..."

Der Sonntag zwischen Kirchgang und Langeweile. Kaum ein Tag ist so sehr von Erwartungen geprägt wie der Sonntag. Endlich ausschlafen, das tun, was man möchte, ohne Termine, ohne Zwang. Schon am Freitagmittag wünscht man sich ein "schönes Wochenende". Und viele Menschen können sich dann auch bereits darauf einrichten, denn der Sonnabend, der noch bis in die siebziger Jahre des 20. Jahrhunderts ein ganz normaler Werktag für viele Branchen der Arbeitswelt und ein ganz normaler Schultag für die Kinder war, ist längst für einen Großteil der Bevölkerung ein freier Tag, nicht mehr wegzudenken aus der Freizeitplanung. Der Sonntag wurde übrigens erst 1919 in der Verfassung als Tag der Arbeitsruhe festgelegt.

In jüngster Zeit jedoch mehren sich die Anzeichen, daß umgedacht werden muß. Ein freies Wochenende ist für immer mehr Menschen nicht mehr selbstverständlich. Einerseits verlangt die Industrie, daß die Maschinen – und damit auch die Menschen – am Sonnabend/Sonntag arbeiten; andererseits fordert das geänderte Freizeitverhalten seinen Tribut. Immer mehr Einrichtungen des öffentlichen Lebens sollen länger geöffnet sein, ja selbst die Geschäfte sollen diesem Freizeitverhalten enstprechen und am Sonntag für die Kunden ihr reichhaltiges Warenangebot präsentieren. Aus dem "Tag des Herrn" soll der "Tag für Hertie" werden.

Das hat die Gewerkschaften und die Kirchen gleichermaßen auf den Plan gerufen und zu Protesten geführt: "Wenn der Sonntag zum Alltag wird, wird das Leben zum Einerlei", so das Argument. Fällt diese Bastion nun auch noch? Hat der gute, alte Sonntag ausgedient? Hat er sich nicht überhaupt schon geändert im Lauf der Jahrzehnte? Dieser Frage kann man derzeit in Hamburg nachgehen. Dort, im Museum der Arbeit, einem alten Fabrikgebäude am Wiesendamm im Stadtteil Barmbek, ist noch bis zum 26. August eine Ausstellung unter dem Titel "Sonntag! Kulturgeschichte eines besonderen Tages" zu sehen (montags 13 bis 21 Uhr, dienstags bis sonnabends 10 bis 17 Uhr, sonntags 10 bis 18 Uhr; Katalog mit vielen Abbildungen und informativen und unterhaltenden Texten zum Thema Sonntag, 180 Seiten, brosch., 39,80 DM). Gezeigt werden am Beispiel der Sonntagsgewohnheiten aus den fünfziger Jahren des 20. Jahrhunderts Gebrauchsgegenstände, die deutlich machen, warum der Sonntag ein ganz besonderer Tag ist.

Sonntag, das bedeutete bis vor kurzem noch: Kirchgang, Sonntagskleidung, Sonntagsbraten, Sonntagsspaziergang. Die Vorbereitungen begannen meist schon am Sonnabend: Putzen, letzte Einkäufe und auch das Bad am Abend, dann konnte der Sonntag kommen. Nach dem Kirchgang gab’s dann bald an festlich gedeckter Tafel ("Nimm das gute Geschirr mit dem Goldrand!") den Sonntagsbraten. Auch der Nachmittagskaffee wurde geradezu zelebriert. Vielleicht ging‘s vorher noch ins Grüne; wer sich‘s leisten konnte, strebte mit der Familie in den Zoo, andere strömten ins Kino oder auf den Fußballplatz. Auf jeden Fall aber nahm man sich Zeit für die Kinder; man spielte gemeinsam, las den Kleinen etwas vor. Persönliche Erinnerungsstücke und Fotografien erinnern in der Hamburger Ausstellung an den Sonntag von damals, an Lust, aber auch an Frust, denn nicht alle waren begeisterte Anhänger dieser "Sonntagsrituale". Zeitgenössische Fotografien zeigen schließlich den Sonntag in Auflösung. Wie sieht er heute aus, der erste Tag der Woche? Welchen Stellenwert er heute für jeden einzelnen hat, das mag nicht zuletzt auch der Besucher dieser Ausstellung für sich entscheiden.

 
     
     
 
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