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Eine Schlacht wird zum Sinnbild totaler Einsatzbereitschaft

 
     
 
General Erich v. Falkenhayn, Nachfolger des nach dem "Wunder an der Marne" abgelösten Generalstabschefs Helmuth v. Moltke, versuchte, nach der von seinem Vorgänger abgebrochenen Schlacht an der Marne und vor Paris wieder die Offensive zu ergreifen. Nur im Bewegungskrieg, so lautete die Devise, läge noch Aussicht auf Erfolg im selben Herbst. Der Plan der Obersten Heeresleitung (OHL) lautete, den rechten Flügel der Front zurückzuziehen und so weit zu verlängern, bis man den Gegner in der Flanke packen konnte. Der noch von Moltke befohlene Rückzug in die Linie Compiègne - Reims - nördlich Verdun hatte Kräfte freigemacht, die in die Lücke zwischen der 1. und 2. Armee eingeschoben wurden. Dann wurde die gesamte bayrische 6. Armee in Lothringen aus ihrer Front gelöst und in Richtung Artois verlegt. Sie gewann zwar den Raum Lille, schaffte aber nicht die Umfassung der Franzosen. Auch die Franzosen unter General Joffre wollten den Gegner vom Westen her umfassen. Hierzu löste der französische General Kräfte, darunter die 9. Armee von General Foch, aus der Front und verschob sie nach Norden. Außerdem wurde die britische Expeditionsarmee unter General John French, die an der Marne eine bescheidene Rolle gespielt hatte, an die belgische Kanalküste verlegt. Beide Gegner versuchten, sich gegenseitig in die Flanke zu fallen, um nicht selbst umfaßt zu werden, und schließlich verlagerten sich die Kämpfe nach Flandern. Hier also, auf den Weiden
und Feldern Flanderns, durchzogen von Bächen und Kanälen, sollte die Entscheidung des Feldzuges 1914 fallen. In dieser Situation spielte die Heeresleitung noch einen Trumpf aus, nämlich sechs Reservekorps, die ab Mitte August aufgestellt wurden, von denen vier für Flandern vorgesehen waren, um die 60 Kilometer breite Lücke zwischen Lille und der Küste zu schließen. Diese Reservekorps bestanden zumeist aus Freiwilligen aller Altersstufen, darunter vielen Studenten, die durch ältere Reservisten ergänzt wurden. Hier begann bereits das Dilemma: Die Neulinge konnten kaum ausgebildet werden, da Unterführer, Waffen und Munition fehlten; sie übten weder im Verband noch im Zusammenwirken mit der Artillerie; sie erfuhren nichts von der Infanterietaktik und vom Pionierdienst, wußten nicht, wie man sich durch Hindernisse vorarbeitet und Gräben aushebt. Die Artillerie hatte kaum im scharfen Schuß üben können, es fehlte an Kenntnissen im indirekten Schießverfahren. Dafür herrschte durchwegs eine patriotische Begeisterung. Als das XXII., XXIII., XXVI. und XXVII. Reservekorps samt der 6. bayrischen Division ab dem 10. Oktober nach Flandern transportiert wurden, waren zwar die meisten Soldaten kampfesmutig und hochgestimmt, doch sie hatten nicht die geringste Ahnung, was ihnen bevorstand. Der Befehlshaber der neugebildeten 4. Armee, Großherzog Albrecht v. Württemberg, hatte zwar vorgeschlagen, zwei der neuen Korps durch zwei kriegserfahrene Korps zu ersetzen, doch v. Falkenhayn meinte, angesichts der vermeintlichen Schwäche des Gegners darauf verzichten zu können. Sträflicherweise hatte man die Aufklärung unterlassen und wußte nicht, daß die britische Armee, die aus Berufssoldaten bestand, mit der französischen 9. Armee bereits Stellung bezogen hatte. Dazu kamen noch die Belgier im Nordteil, denen der Ausbruch aus der Festung Antwerpen geglückt war. Die Alliierten bildeten eine Front, die von Nieuport über Dixmuiden, Langemarck, Beselaere bis nach Wytschaete verlief. Es sollte der Durchbruch der Deutschen auf die Häfen Dünkirchen und Calais verhindert werden. Sonst wären diese in der Lage gewesen, die Alliierten von Norden her aufzurollen. Ab dem 18. Oktober wurden die vier Korps entlang der Strecke Brüssel - Brügge ausgeladen und marschierten in ihre Einsatzräume, als ginge es ins Manöver. Am äußersten rechten Flügel sollte das III. Reservekorps Nieuport erobern. Man meinte, das, was der Truppe an Ausbildung und Kampferfahrung fehlte, durch Angriffsgeist zu ersetzen. Briten, Franzosen und Belgier lagen in gut ausgebauten, mit Stacheldraht gesicherten Stellungen, mit einer starken Artillerie als Rückgrat. Als sich die beiden mittleren Korps am 21. Oktober in Richtung Bixschoote-Langemarck in vier Angriffskolonnen entwickelten, schlug ihnen schon auf große Entfernung Artilleriefeuer entgegen. Da die eigene Artillerie zurückhing, mußte die Infanterie allein angreifen. Die Sturmreihen formierten sich wie auf dem Übungsplatz und gingen mit "Hurra" schwungvoll vor. Doch ihnen schlug auf der Ebene vor und südlich von Langemarck heftiges Maschinengewehr- und Schützenfeuer entgegen; die Reihen lichteten sich, sie gewannen den Ortsrand von Langemarck, blieben liegen, konnten die Drahtverhaue nicht überwinden und erlitten furchtbare Verluste. So verlor allein das Reserve-Infanterieregiment 235 vor Langemarck an die 2.000 Mann, das heißt drei Viertel seines Bestandes; den übrigen Regimentern des XXVI. Korps erging es nicht viel besser. Auch die beiden Divisionen des XXIII. Reservekorps, die den Ort Bixschoote einnehmen sollten, wurden mehrmals unter schweren Verlusten zurückgeschlagen. Auf dem rechten Flügel griff das XXII. Reservekorps die Stadt Dixmuiden an. Nachdem der erste Sturmlauf am 21. Oktober abgewiesen worden war, befahl das Armeekommando weitere Angriffe, da es den Gegner noch immer unterschätzte. Die Angriffe arteten in blutige Gemetzel aus. Manche Regimenter gingen tapfer mehrmals vor, wurden aber derart aufgerieben, daß ihnen nur mehr ein Drittel ihres Solls blieb. Die letzte Reserve, ein Bataillon, drang in Dixmude ein, aber kein einziger Soldat kehrte zurück. An manchen Stellen brach Panik aus; im Hinterland trieben Freischärler ihr Unwesen. Erst am 26. Oktober erkannte die Armeespitze, daß sie Fehler begangen hatte, daß die Truppe von unfähigen Offizieren geführt wurde, daß die Artillerie zum Großteil versagt hatte. Die höheren Stäbe schickten Offiziere an die Front, um sich ein ungeschminktes Bild zu machen, und sie erfuhren Grausiges: Die Truppe hatte zwar durchwegs opfervoll gekämpft, aber es herrschten schwere Mängel: keine kriegserfahrene Kader, keine Orientierung im Gelände, keine Aufklärung, klägliche Artillerieunterstützung, Verwirrung und tagelang keine Verpflegung! Die Artillerie entschuldigte sich damit, daß sie fast keine Schießunterlagen und wenig Munition besaß; sie mußte daher höchst riskant im direkten Schuß feuern. Die Soldaten konnten den Stacheldraht des Gegners nicht überwinden, da sie keine Drahtscheren hatten; Pioniere, die ihnen Sturmgassen hätten öffnen sollen, fehlten. Sie wollten sich eingraben, besaßen aber weder Spaten noch schweres Schanzzeug. Die Verwundeten lagen hilflos vor der Stellung und konnten nicht geborgen werden, da der Sanitätsdienst nicht funktionierte. Gleichlautende Meldungen trafen im Kommando des südlich von Langemarck angreifenden XXVII. Reservekorps ein, das am 20. Oktober bei Beselaere eine furchtbare Feuertaufe erhielt. Bereits die Ausgangsstellungen wurden von der britischen Artillerie mit einem Feuerhagel überschüttet. Als die Truppe endlich Beselaere nahm, geriet sie in einen Feuerüberfall von der britischen Hauptstellung aus. Ein Nachbarregiment, das zur Hilfe eilte, wurde in der Verwirrung von den eigenen Kameraden beschossen. Als man nach einigen Tagen den Angriff schließlich einstellte, hatte allein die 53. Reservedivision 8.700 Mann verloren; wenn auch die Hälfte davon auf Verwundete entfiel, so hatte die Division doch 58 Prozent ihrer Iststärke eingebüßt. Armeespitze und Korpskommanden reagierten endlich. Der Truppe wurden erfahrene Offiziere zugewiesen, sie erhielt regelmäßig Verpflegung; die Soldaten lernten, Gräben und Unterstände anzulegen und mit der Drahtschere umzugehen; sie wurden im Vorposten- und Aufklärungsdienst unterwiesen, während sich die Artillerie um Feuerunterstützung bemühte. Aber auch der Gegner erkannte, daß die Deutschen noch einen Großangriff vorbereiteten. Nach harten Verhandlungen ließen die Belgier zu, daß die Meeresschleusen bei Nieuport geöffnet und somit die Niederungen der Yser unter Wasser gesetzt wurden. Die Schleusen blieben geschlossen, um ein Rückfluten bei Ebbe zu verhindern; somit gewannen die Verteidiger im Nordteil der Front ein mächtiges Vorfeld. Die Deutschen bemerkten die Flutung am 1. November und konzentrierten hierauf ihre Kräfte in der Frontmitte. Als nun die 4. Armee am 10. November diesmal gut vorbereitet angriff, konnte man zwar Dixmuide und Bixschoote unter schweren Verlusten erobern; doch die Angriffe der 6. Armee von Süden her in Richtung Ypern mit dem Ziel, den halbkreisförmigen Frontbogen der Briten zu umfassen, brachen zusammen. Die meisten Verluste hatte die 6. bayrische Division zu tragen, die am nächsten an Ypern herankam. Damit war der Versuch, die Engländer abzuschneiden und dann bis zur Küste vorzustoßen, gescheitert. Als die Angriffe eingestellt wurden, zählte die 4. Armee seit Beginn der Schlacht am 21. Oktober 40.000 Mann an Gesamtverlusten. Ähnlich erschreckend sah es bei der 6. Armee aus. Erst am 22. April 1915 wurde Langemarck im Rahmen eines Großangriffs gegen den Ypern-Bogen durch die 51. Reservedivision unter Einsatz von Giftgas genommen, doch Ypern blieb in britischer Hand. Der Mythos Langemarck Im nachhinein entstand aus der Schlacht um Langemarck und Dixmuide ein großartiges Heldenlied vom Mut und Opfergang der deutschen Jugend. Die sogenannten "jungen Regimenter" sollen mit dem Deutschlandlied auf den Lippen in den Tod gestürmt sein. Großen Anteil hieran hatte der Heeresbericht vom 11. November 1914, in dem es hieß, daß westlich Langemarck junge Regimenter unter dem Gesang "Deutschland, Deutschland über alles ..." die erste Feindstellung überrannt hätten. Vieles spricht dafür, daß das Deutschlandlied erstmals in der Nacht zum 23. Oktober vor Bixschoote von Versprengten angestimmt wurde, um sich Mut zu machen sowie Feind und Freund zu unterscheiden. Auch an anderen Stellen erklang später dieses Lied gemeinsam mit der populären "Wacht am Rhein", was von vielen Berichten bestätigt wurde. Die jungen Freiwilligen hatten schwere Opfer gebracht - der jüngste Gefallene war ein 15jähriger; aber der Anteil der Jugendlichen lag meist unter einem Viertel des Iststandes der Truppe. Jedenfalls hatten auch viele gediente Landwehrsoldaten tapfer ihr Leben hingegeben. Man kann aber mit Recht fragen, ob nicht der Mut und die Opferbereitschaft der Soldaten einen behutsameren Einsatz durch eine bessere, tüchtigere Führung verdient gehabt hätten. H. M.

 
     
     
 
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