|  | Nach den kürzlich abgehaltenen Königsberger Gouverneurswahlen     vom 5. und 19. November 2000 hat sich die Frage über grundsätzliche Veränderungen der     Wege im nördlichen Ostdeutschland oder über ein Bewahren der alten, wenig effektiven     Ordnung entschieden. Dieser Wichtigkeit war man sich überall bewußt. Dies mag ein Grund     gewesen sein, weshalb vor den Wahlen vor allem in den Massenmedien ein solch erbitterter     Kampf um den Sessel des Gouverneurs stattfand. Riesiges Interesse an diesen Wahlen     bezeugten nicht nur die russischen Journalisten, sondern auch auswärtige Journalisten.
 Geographisch betrachtet befindet sich das Königsberger Gebiet mitten in Europa. Einige     Gelehrte wollen sogar herausgefunden haben, daß sich das Zentrum Europas mitten im     Königsberger Zoo befindet. Allerdings ist das Gebiet seit einigen Jahren eingezwängt auf     der einen Seite von Polen, auf der anderen Seite von Litauen, die sich beide schon an der     Schwelle zum Eintritt in die Europäische Union
   befinden. 
 Die so entstandene Exklave des Gebiets am Pregel könnte sich daher als ernste     Behinderung für die Entwicklungswege dieser beiden Länder entpuppen. Das gilt     insbesondere auch auf dem Gebiet der ökologischen Planung. Die Europäische Union, die     sich seit einigen Monaten verstärkt mit der Zukunft des Königsberger Gebiets     auseinandersetzt, bereitet zur Zeit ein spezielles Paket mit Hilfsmaßnahmen für das     Königsberger Gebiet vor. Auch der Meeresnachbar Schweden hat schon Sondermittel für     Königsberg bereitgestellt und eine Reihe von ökologischen Vereinbarungen geschlossen.
 
 Die Wirtschaft des Königsberger Gebietes mag früher oder später aufblühen, aber die     ökologische Situation im Königsberger Gebiet fordert bereits heute sofortiges Handeln.     Hilfe wird insbesondere von seiten der EU und Nicht-Regierungsorganisationen erwartet.     Notwendig sind vor allem Investitionen zur Unterstützung der Wasserreinhaltung der Ostsee     und der Anrainerstaaten, die Reinhaltung des Kurischen Haffs, des Memeldeltas und einer     ganzen Reihe anderer Flüsse und Kanäle, die sich schon seit vielen Jahren in einem     ökologisch bedenklichen Zustand befinden, weil die Kläranlagen praktisch nicht     funktionieren. In den heutigen ökologischen Plänen des Königsberger Gebietes wird     dieses Gebiet als "Schwarzes Loch" bezeichnet, als Verschmutzer der Ostsee.
 
 Nach der Umbruchzeit seit 1990 begann die traditionell in Königsberg ansässige     Papier- und Zellstoffindustrie sich nach einiger Zeit sinkender Produktion wieder zu     entwickeln und bedroht nun mit ihren Abwässern das ökologische Gleichgewicht der     Flüsse. All diese Fragen und Probleme sollen die EU und andere Organisationen durch     Übereinkunft mit der Moskauer Zentrale und in Übereinstimmung mit dem Gouverneur sowie     der örtlichen Duma entscheiden.
 
 Mit dem neuen Gouverneur Wladimir Jegorow  er ist Admiral, Doktor der     Militärwissenschaften, Kommandeur der Baltischen Flotte  vielseitig und gebildet      soll jetzt Bewegung in die festgefahrene Situation kommen. Jegorow hat große     Erfahrung auf dem Gebiet der Organisation und Leitung der Baltischen Russischen Flotte,     Erfahrung in der Politik und in der Diplomatie, er genießt Autorität nicht nur in     Rußland.
 
 Die einheimische Bevölkerung schätzt sein organisatorisches Talent, das Jegorow zu     vielen Anlässen bewies. So bei der komplizierten Aufgabe der Rückführung der Russischen     Streitkräfte aus der Bundesrepublik und aus den baltischen Ländern Litauen, Lettland und     Estland. Auf seine Initiative hin wurde der Generalstab der russischen Ostseeflotte in     Königsberg aufgebaut. Durch ihn wurde 1998 ein Denkmal für Zar Peter I. in Pillau     eingeweiht, ein Marine-Institut wurde eröffnet, eine Marine-Kadettenschule wurde     gegründet, eine Musikschule für Waisenkinder eröffnet sowie ein Museum der Weltozeane     in Königsberg und eine Stadtbibliothek in Pillau.
 
 Die Bevölkerung spürt, daß Jegorow, besonders nach seinen eingehenden Erkundigungen     während der Zeit seiner Wahlkampfreisen, mehr als andere den kümmerlichen Zustand des     Königsberger Gebiets klar sieht. Als Gouverneur, so heißt es, beabsichtige er, diesen     kümmerlichen Zustand zu ändern. Sein Programm enthält eine Reihe konkreter Maßnahmen.     Jegorow und seine Mannschaft wissen, daß die wirtschaftlichen und ökologischen Fragen     des Königsberger Gebietes und die Verschmutzung der Ostsee nicht aus eigener Kraft und     ohne auswärtige Hilfe zu lösen sind.
 
 Der Aufbau eines günstigen Investitionsklimas im Königsberger Gebiet ist ein     Grundsatzpunkt in seinem Programm. Bei vielen Menschen ist so die mehr oder minder     ausgesprochene Erwartung geweckt worden, daß Moskau einen möglichen Beitritt des     Königsberger Gebiets zum Schengener Abkommen und zur Europäischen Union unterstützen     würde. Angeblich stelle sich nur noch die Frage, mit welcher Geschwindigkeit diese     Prozesse letztendlich abliefen.
 
 Präsident Putin war der erste, der den Satz über die Erarbeitung eines Pilotprojektes     zum Eintritt des Königsberger Gebietes in die EU aussprach. Jetzt finden in verschiedenen     Komitees und Instituten Ausarbeitungen über mögliche Inhalte entsprechender     Modellprojekte statt. Örtliche Experten halten es  bei günstigem Zusammentreffen     der Umstände  für möglich, daß sich das nördliche Ostdeutschland im Laufe von drei     bis fünf Jahren dem Schengener Abkommen anschließt, wodurch einheitliche Bedingungen     für den freien Zugang im europäischen Raum auch für das Königsberger Gebiet gelten     würden. Außer dem Gesetz über die Sonderwirtschaftszone soll im Rahmen des     Modellprojektes ein ganzes Paket von Dokumenten ausgearbeitet werden, die den Status und     die besondere Lage des Königsberger Gebietes bekräftigen.
 
 Die innere Wirtschaftspolitik soll sich nach Meinung von Jegorow stärker auf den     wirtschaftlichen Aufbau stützen, der sich dank der Förderung privater Betriebe     entwickeln soll sowie auf die effektivere Nutzung der Rohstoffe. In diesem Falle, so     heißt es, könne die EU in stärkerem Maße bei der technischen Ausstattung und dem     Technologietransfer behilflich sein. Als positives Beispiel auf diesem Gebiet gilt im     Königsberger Gebiet die Firma BMW.
 
 Die Tatsache, daß es sich bei dem neuen Gouverneur um einen Militär handelt, mag dem     Uneingeweihten merkwürdig erscheinen. Auf die Frage, ob nun der gesamte Generalstab der     russischen Ostseeflotte in die Verwaltung überwechselte, entgegnete Jegorow allerdings     bestimmt: "Auf keinen Fall." Generalsepauletten müssen nicht notwendigerweise     hinderlich sein. Jegorow gibt sich nicht als eingefleischter Militär; er ist offen und     gilt als vielseitiger Gesprächspartner.
 
 Im Juli 2000 bewies das Erscheinen von Präsident Wladimir Putin in Pillau bei der     Parade der Baltischen Flotte am Tag der Baltischen Flotte  ohne überhaupt die Stadt     Königsberg besucht zu haben , daß Jegorow insgeheim vom Präsidenten der     Russischen Föderation unterstützt wird, was sich nicht in gleicher Weise von Leonid     Gorbenko sagen läßt. Dieser hatte es sogar fertiggebracht, im Laufe von vier Jahren nach     seinem Amtsantritt als Gouverneur des Königsberger Gebietes die Beziehungen zwischen ihm     und dem Bürgermeister der Stadt Königsberg sowie zwischen ihm und Moskau faktisch zu     zerstören.
 
 Eine sehr wichtige Rolle für das gesellschaftliche und wirtschaftliche Leben im     Königsberger Gebiet spielen die wechselseitigen Beziehungen zwischen gesetzgebender und     ausführender Gewalt, also zwischen Parlament und Verwaltung. Diese Beziehungen waren dank     Gorbenko sehr gespannt. Beide Seiten machten sich einander durch ununterbrochene     Beschuldigungen das Leben schwer. Bei den Wahlen vor vier Jahren hatte Leonid Gorbenko den     früheren Gouverneur, Professor Jurij Matotschkin, noch im Zweiten Wahlgang besiegt, dank     seiner Zusage, er werde die Kommunisten an der Verwaltung beteiligen. Nachdem Gorbenko     jedoch die Wahl mit sehr geringem Stimmenvorsprung gewonnen hatte, setzte er jedoch die     kommunistischen Vertreter nach kurzer Zeit auf die Straße.
 
 Unter den neuen Abgeordneten der Königsberger Gebietsduma gibt es seit den Wahlen vom     November 2000 eine bedeutende Anzahl gut gebildeter und tatkräftiger Leute aus der     jüngeren Generation mit fortschrittlichen Ansichten, unter denen sich auch beispielsweise     der stellvertretende Parlamentspräsident Walerij Frolow, Matotschkin, Ustjugow und der     Unternehmer Vitauskas Lopata und andere befinden. Walerij Frolow wurde bereits am 5.     November 2000 wieder in die Duma gewählt. Er vertritt dort die Landkreise Labiau und     Heinrichswalde. Wladimir Kasimirow wurde in den kommunalen Kreistag des Landkreises     Heinrichswalde gewählt.
 
 Es ist diese jüngere Generation mit fortschrittlichen Ansichten, die es eher versteht,     daß die ökologische Frage in Zukunft einen wesentlich höheren Stellenwert erhalten muß     als in der Vergangenheit. Ein wichtiger Umstand beim Wahlkampf und ein besonders wichtiges     Ergebnis dieser Wahl ist die Unterstützung Jegorows durch den Königsberger     Bürgermeister Juri Sawenko.
 
 Mit Wladimir Jegorow als Gouverneur des Königsberger Gebietes erwartet man allgemein     eher ein vernünftiges Verhältnis zwischen der Gebietsverwaltung, der Gebietsduma, dem     Bürgermeister der Stadt Königsberg und Moskau. Dieser Fall eröffnet die Möglichkeit     für eine schnellere Entwicklung des nördlichen Ostdeutschland in der Wirtschaft, in der     Ökologie und in der Politik im allgemeinen. In diesem Falle werden sich günstige     Bedingungen für Investitionen und die Existenzgrundlagen der Investoren mit umfassender     gesetzlicher Sicherheit herausbilden; und wenn dies so geschieht, dann folgt, da scheint     man sich am Pregel sicher zu sein, dann wird sich auch das auswärtige Interesse am     Königsberger Gebiet ganz von allein erhöhen, wie dies schon einmal im Jahre 1991 bei der     Eröffnung dieses Gebietes Rußlands der Fall war.
 
 
 |  |