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Erfahrungen der Vertriebenenorganisationen mit kommunalen Partnerschaften

 
     
 
Seit dem Zusammenbruch des Kommunismus in Osteuropa und dem Wegfall des Ost-West-Konfliktes 1990 leisten der Bund der Vertriebenen (BdV) mit seinen rund zwei Millionen Mitgliedern und die in ihm als Dachorganisation zusammengeschlossenen 21 Freundeskreisen und 16 Landesverbände durch ihre grenzüberschreitende Arbeit Friedens- und Aufbauarbeit für das künftige Europa und haben bisher die Verständigung und den Ausgleich mit den östlichen Nachbarn insbesondere auf kommunaler Ebene erheblich vorangetrieben.

Dabei werden die Aufgaben im kommunalen Bereich vor allem durch die Heimatkreisgemeinschaften der Freundeskreisen wahrgenommen. Bei den Heimatkreisgemeinschaften handelt es sich um Zusammenschlüsse der vertriebenen Einwohner aus den früheren deutschen Stadt-  und Landkreisen in den historischen deutschen Ostprovinzen und im Sudetenland.

Der deutsch-polnische Nachbarschaftsvertrag vom 17. Juni 1991 hat bedingt günstige Voraussetzungen für eine intensive deutsch-polnische Zusammenarbeit gerade auf kommunaler Ebene in Gestalt von kommunalen Partnerschaft
en geschaffen. Neben den seit den 90er Jahren verstärkt zustande gekommenen kommunalen Partnerschaften zwischen deutschen Gebietskörperschaften und Gebietskörperschaften in der Republik Polen, aber auch in den Republiken Rußland und Litauen sind in den letzten Jahren ebenfalls Partnerschaften zwischen freundschaftlichen Heimatkreisgemeinschaften und polnischen sowie russischen und litauischen kommunalen Gebietskörperschaften begründet worden, die sich auf eine bereits fast 10jährige Zusammenarbeit stützen.

So vielfältig wie die Individualität der an den jeweiligen grenzüberschreitenden Beziehungen beteiligten kommunalen Partner ist auch die Ausgestaltung der einzelnen Partnerschaften. Diese reichen bei den Heimatvertriebenenorganisationen von "offiziellen" Partnerschaften mit der Unterzeichnung und dem Austausch von Partnerschaftsurkunden bis hin zu weniger engen und umfassenden "Freundschaftskontakten", die teils als Vorstufe sich anbahnender kommunaler Beziehungen zu verstehen sind, teils handelt es sich aber auch darum, eine förmliche Partnerschaft und die sich daraus möglicherweise ergebenden politischen Implikationen zu vermeiden. Im Rahmen ihrer partnerschaftlichen Auslandsbeziehungen haben die Heimatkreisgemeinschaften und die sie unterstützenden Freundeskreisen ein umfangreiches Paket von Maßnahmen im humanitär-sozialen und kulturellen Bereich geschnürt. Wie sieht nun die praktische Zusammenarbeit im Rahmen der Partnerschaften aus, wie funktionieren sie und was können sie für die deutsch-polnischen, deutsch-russischen und deutsch-litauischen Beziehungen, für die Förderung der deutschen Volksgruppe und für das zusammenwachsende Europa leisten?

Im humanitär-sozialen Bereich haben die Freundeskreisen und die Heimatkreisgemeinschaften in den Heimatgebieten durch umfangreiche humanitäre Hilfsmaßnahmen dazu beigetragen, den heute dort lebenden Menschen bei der Entwicklung neuer Lebensperspektiven zu helfen und einen Beitrag zur Stabilisierung des Gebietes zu leisten. Die Freundeskreisen mit Hilfe ihrer seit den 50er Jahren bestehenden Sozialwerke und die Heimatkreisgemeinschaften aus eigenen Mitteln zahlen Gelder an hilfsbedürftige Deutsche aus und organisieren Hilfstransporte, die ausschließlich aus Spenden finanziert und von ehrenamtlichen Helfern durchgeführt werden. Des weiteren organisieren die Heimatkreisgemeinschaften Hilfen für Krankenhäuser, Kinderheime und Altenwohnstätten. Sie richten auch Apotheken ein. Außerdem beteiligen sich inzwischen viele Heimatkreisgemeinschaften an der Unterhaltung von Sozialstationen in Polen, die mit Hilfe der Anschubfinanzierung durch das BMI eingerichtet werden konnten und die Anlaufstellen für hilfsbedürftige, kranke, alte und schwache Menschen sind, die dort Rat und direkte Hilfe erhalten und um häusliche Pflege nachsuchen können. Durch diese Arbeit werden Menschen erreicht, die auf Grund der schlechten medizinischen Versorgung im polnischen Staat häufig jahrelang in großem Elend leben mußten. Die Sozialstationen gewährleisten die medizinische Versorgung für viele in den Oder-Neiße-Gebieten lebende Personen. Jede an einer Sozialstation beteiligte Heimatkreisgemeinschaft steuert jährlich Geldmittel in Höhe von 6000 bis 12 000 Mark zur Unterhaltung der Sozialstationen zu. Insgesamt ist anzumerken, daß diese Sozialstation für alle dort lebenden Menschen eine segensreiche Einrichtung ist und gerade bei den Polen einen ausgezeichneten Ruf genießt. Eine Heimatkreisgemeinschaft hat sogar gemeinsam mit den Polen einen polnischen Sozialverein gegründet und ist Mitträger der Sozialstation.

Im kulturellen Bereich gehört zum zukunftsorientierten Wirken der Freundeskreisen mit ihren Heimatkreisgemeinschaften, daß noch vorhandene Baudenkmäler als Zeugnisse deutscher Kultur wiederhergestellt bzw. vor weiteren Schäden und Verlusten gesichert und bewahrt werden. Im Bereich des Denkmalschutzes liegen die Schwerpunkte auf den Gebieten der Wiederherstellung alter Bausubstanz und der Restaurierung von Friedhöfen. Die Heimatkreisgemeinschaften möchten in der partnerschaftlichen Zusammenarbeit mit den Gebietskörperschaften alle Anstrengungen unternehmen, die historische Kontinuität der kommunalen Gebietskörperschaft mit ihren alten Bauten und Baustrukturen durch Verschönerungs- und Rekonstruktionsmaßnahmen sichtbar und erlebbar zu gestalten.

Im nördlichen Ostdeutschland und im Memelland beteiligt sich die Freundeskreis Ostdeutschland mit ihren Heimatkreisgemeinschaften vorwiegend an der Restaurierung von Kirchen, unter anderem an dem Wiederaufbau des Königsberger Domes, und von Friedhöfen. Im südlichen Ostdeutschland sowie in Westpreußen, Pommern und Schlesien beteiligen sich die Heimatkreisgemeinschaften mit Unterstützung der Stiftung für deutsch-polnische Zusammenarbeit an dem Wiederaufbau von Schlössern, Stadttoren, Festungen, mittelalterlichen Stadtmauern, Wassertürmen, Kriegerdenkmälern und anderen Baudenkmälern aus deutscher Zeit. Die polnische, russische und litauische Bevölkerung erkennt zunehmend die große Bedeutung der von den Deutschen erbrachten Kulturleistungen für Geschichte und Gegenwart der Oder-Neiße-Gebiete und sucht nach neuen Wegen, sie mit ihrer eigenen Identität zu verbinden. Dieser Prozeß wird gerade von den Heimatkreisgemeinschaften nachhaltig gefördert. So werden in vielen Museen oder an anderen öffentlichen Orten Ausstellungen der Heimatkreisgemeinschaften präsentiert, die Geschichte und Gegenwart der jeweiligen Heimatregionen zum Inhalt haben. Austausch von Publikationen über die jeweilige Gebietskörperschaft gehören ebenso zum Repertoire gemeinsamer kultureller Zusammenarbeit wie die gemeinsame historische Forschung und die Sammlung von Archivgut.

Größtes Interesse bei den osteuropäischen Nachbarn genießen die von den Heimatkreisgemeinschaften gefertigten verwaltungsgeschichtlichen Abhandlungen über Kreis, Stadt- und Gemeindechroniken, Bildbände und andere historische Abhandlungen. Seit 1992 besteht auch ein Kooperationsvertrag zwischen der Freundeskreis Ostdeutschland und dem Gebietsmuseum für Geschichte und Kunst in Königsberg über die gemeinsame Organisation von Ausstellungen mit zweisprachiger Beschriftung und den Austausch von Wissenschaftlern. Das Königsberger Museum ist auf dem Deutschlandtreffen der Ostdeutschland stets mit einem eigenen Stand im Rahmen der Kulturausstellungen vertreten. Mitarbeiter des Museums nehmen regelmäßig als Referenten an den Kulturveranstaltungen der Freundeskreis teil. Des weiteren führen die Freundeskreisen und die Heimatkreisgemeinschaften kulturelle Sommerfeste durch, die sich zu einem festlichen Treffpunkt von Heimatvertriebenen und Heimatverbliebenen sowie Neuzugezogenen entwickelt haben.

Der BdV und seine Landesverbände sowie die Freundeskreisen mit ihren Heimatkreisgemeinschaften haben nicht nur bei der Gründung und dem Aufbau von fast allen deutschen Vereinen in den Gebieten jenseits von Oder und Neiße wesentliche Hilfestellungen geleistet, sie geben auch den dort lebenden Deutschen zum Teil finanzielle und ideelle Hilfe, um ihnen ein aktives Vereinsleben zu ermöglichen. Dabei konzentrieren sich die hierbei federführend tätigen Heimatkreisgemeinschaften auf folgende Maßnahmen:

Förderung von Begegnungen zwischen den heimatverbliebenen und heimatvertriebenen Landsleuten, unter anderem bei Heimatkreistreffen und in den Heimatgebieten, Bereitstellung von Informations- und Arbeitsmaterial, Unterstützung außerschulischer deutscher Sprachkurse, Bereitstellung von deutschsprachigen Zeitungen, Lehrbüchern, Liederbüchern und Heimatliteratur über den jeweiligen Heimatkreis, Zuschuß zu den dringendsten Kosten des Deutschen Vereins.

In den Führungsgremien der Heimatkreisgemeinschaften gibt es einen sogenannten Heimatbeauftragten, der die deutschen Vereine in kultureller, sozialer und verbandsorganisatorischer Hinsicht berät. Hierzu gehören auch die Vermittlung von Brauchtum und Liedgut, gemeinsame Kultur- und Begegnungsveranstaltungen sowie auch die Hilfe bei sozialen Maßnahmen wie Ausflügen, Ferienfreizeiten usw.

Insgesamt ist zu beobachten, daß die deutsche Volkgruppe auf kommunaler Ebene eine sichtbare Aufwertung in der Öffentlichkeit erfährt, wenn sie in den Partnerschaftsvertrag einbezogen und in die von Heimatkreisgemeinschaften und osteuropäischen Partnern gemeinsam betriebenen Projekte eingebunden ist. Zwischen den Heimatkreisgemeinschaften und den führenden kommunalen osteuropäischen Repräsentanten, aber auch mit Vertretern von Vereinen und Schulen, im Memelland auch mit der litauischen IHK und dem Generaldirektor des Memeler Hafens besteht in der Regel eine gute, zum Teil sehr enge Zusammenarbeit. Es finden regelmäßige Treffen bzw. Arbeitsbesuche statt, die einem intensiven Meinungs- und Informationsaustausch sowie der Besprechung gemeinsamer Projekte dienen. Darüber hinaus besuchen führende polnische, russische und litauische Mandatsträger häufig die Heimattreffen der Heimatkreisgemeinschaften, im Gegenzug werden Vertreter der Heimatkreise zu Stadtfesten, Stadtjubiläen und besonderen kulturellen Veranstaltungen in die Heimatgebiete eingeladen.

In den osteuropäischen Nachbarstaaten sind gemeinsame Zeitungs-, Radio- und Fernsehinterviews sowie die Übertragung der Reden der Vorsitzenden der Heimatkreisgemeinschaften bei Festakten und die Einbeziehung der Heimatkreisgemeinschaften bei der Herausgabe einer Festschrift im Rahmen der kommunalen Partnerschaft ebenso Ausdruck einer besonderen Form der Kontakte wie die Auszeichnung von Vertriebenenvertretern mit der Verleihung der Ehrenbürgerrechte bzw. eines staatlichen, beispielsweise polnischen Ordens.

Im Rahmen der grenzüberschreitenden Kommunikationsprozesse findet gerade bei den Arbeitsgesprächen ein politischer Dialog auf kommunaler Ebene mit Augenmaß und Perspektive im europäischen Geist statt, bei dem deutlich wird, daß die Erklärungen auf höchster politischer Ebene zur Zeit weit hinter dem zurückbleiben, was deutsche Heimatvertriebene und Polen sowie Russen in persönlichen Treffen schon bisher durch kommunale Politik von unten an Verständigung und politischem Konsens geleistet haben. Gerade auch die inhaltliche Gestaltung der Partnerschaftsverträge mit den osteuropäischen Nachbarn macht deutlich, daß Polen und Russen die Heimatkreisgemeinschaften als Vertriebenenorganisation durch diesen hochpolitischen Vertrag von gleichberechtigten Partnern als "ideelle Gebietskörperschaften" akzeptieren und respektieren.

Neben dem kommunalpolitischen Wirken der Vertriebenenorganisationen gibt es auch viele Auslandskontakte deutscher kommunaler Gebietskörperschaften, die in denselben Gebieten stattfinden, in denen auch die Vertriebenenorganisationen tätig sind. Häufig arbeiten bisher die deutschen kommunalen Gebietskörperschaften und die Heimatkeisgemeinschaften nicht zusammen. Deshalb bietet der BdV den deutschen kommunalen Gebietskörperschaften an, im Rahmen der Auslandskontakte als Partner für die Wahrnehmung gemeinsamer Aufgaben zur Verfügung zu stehen und sich mit den Gebietskörperschaften über die anstehenden Projekte abzustimmen. Das schafft Synergieeffekte, die zum einen der deutschen Volksgruppe verstärkt zugute kommen und zum anderen die Partnerschaft inhaltlich mit größerem Leben erfüllen und dabei der europäischen Dimension der kommunalen Partnerschaften in einem Europa der Rechts- und Werteordnung Rechnung tragen. Die deutschen Heimatvertriebenen besitzen zu ihren Heimatgebieten ein unzerstörbares Heimatgefühl, das ein starkes ideelles und materielles Engagement für die Heimat freisetzt. Sie sind gerade mit ihrer spezifischen Erfahrung wertvolle Mittler im europäischen Integrationsprozeß für unsere ost- und mitteleuropäischen Nachbarn.

Lassen Sie mich zum Schluß mit einer Botschaft des früheren geschäftsführenden Präsidialmitgliedes des Deutschen Landkreistages, Dr. Hans Tiedeken, aus dem Jahre 1985 schließen, die nichts an ihrer Aktualität verloren hat. "Das europäische Gebäude wird von unten her gebaut – mit all seinen architektonischen und vor allem statischen Schwierigkeiten in den oberen Etagen. Wenn Keller- und Erdgeschoß nicht tragen und schon rissig sind, arbeiten die nationalen und übernationalen Handwerker und Künstler in luftiger Höhe vergeblich. Deshalb sind die kommunalpolitischen Auslandskontakte, Partnerschaften und Freundschaften notwendig, sinnvoll und geboten."

Dieser Vortrag wurde anläßlich der Fachtagung "Kommunale Partnerschaften – Ein neuer Schwerpunkt der Minderheitenförderung" gehalten, die vom Bundesministerium des Innern in Berlin am 4. April 2000 veranstaltet worden ist. Anwesend waren rund 300 Vertreter des Bundesinnenministeriums, des Auswärtigen Amtes, der kommunalen Spitzenverbände, des Deutsch-russischen Forums und des BdV.

 
     
     
 
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