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Familienpolitik auch Wachstumspolitik

 
     
 
Am Wochenende haben die Unionsparteien ihre politischen Alternativen vorgelegt. Anhand eines programmatischen Entwurfs sollen Reformvorstellungen und damit auch Regierungsfähigkeit demonstriert werden. Der Schwerpunkt liegt auf Wachstum. Dabei fällt auf, daß die CDU in einem programmatischen Papier über "Handlungsfelder im Jahr 2004", verabschiedet Mitte Januar in Hamburg, das Thema Familie überhaupt nicht erwähnt. Für die niedersächsische Sozial- und Familienministerin Ursula von der Leyen
handelt es sich nicht um "Familienvergessenheit". Das sei "ein erster Entwurf, und ich werde von meiner Seite aus auch dieses Thema ganz aktiv auf der politischen Ebene einbringen". Für die Ministerin ist "Familienpolitik sehr wohl auch Wachstumspolitik. Denn wenn die Familie nicht mehr funktioniert, wenn wir nicht mehr ernst nehmen, was Erziehungsleistung ist, dann hat eine Gesellschaft auch nicht mehr die Kraft, das Wachstum umzusetzen, was sie in Zukunft brauchen wird."

Die Ärztin und Mutter von sieben Kindern begründet das zum einen mit dem demographischen Defizit. Man solle sich "nichts vormachen. Das, was wirklich als großes Problem auf unser Land zukommt, ist die Vergreisung der Gesellschaft." Sie skizziert das an drei Zahlen: "Das Durchschnittsalter der Weltbevölkerung liegt bei 25 Jahren. Wissenschaftler haben inzwischen festgestellt, daß die größte Innovationskraft eines Menschen, das heißt das Alter, in dem er sagt, ich habe Mut, ich habe Ideen, die setze ich um, ich gründe ein Unternehmen, ich schaffe Arbeitsplätze, etwa bei Mitte 30 liegt. In Deutschland ist das Durchschnittsalter heute schon bei 41 Jahren." Wer die Familie vernachlässige, der vernachlässige das Wachstumspotential. Am Herzen liege ihr auch festzustellen, daß Deutschland zwar ein reiches Land sei, viele sich aber sehr daran gewöhnt hätten, daß der Staat für alles sorge in diesem Land, "und deshalb haben wir unter diesem Berg an staatlicher Fürsorge wahrscheinlich auch die Kraft begraben, die dieses Land mal hatte. Ich bin eigentlich sicher, daß in diesem Land so viel an Energie und Potential liegt, was wir nur verschüttet haben in der Bequemlichkeit der letzten Jahrzehnte, so daß wir dieses Potential wieder freilegen müssen."

Auch in Sachen Familie habe es sich "die Gesellschaft in Deutschland sehr bequem gemacht. Sie hat die Mütter eingeteilt. Entweder sind die Mütter zu Hause Heimchen am Herd, oder aber die Frauen, die außerhalb der Familie berufstätig sind, werden als Rabenmütter angesehen". Das aber sei ein "Riesenfehler, denn wir haben polarisiert, wir haben Familie in eine Schuldecke gestellt, anstatt genau umgekehrt zu denken und zu fordern, daß diese Gesellschaft erst einmal das Signal aussenden muß, Kinder sind hochwillkommen". Wenn sie das täte, "dann schafften wir den Rahmen um diese Kinder herum so, daß Familien sich auch aus eigener Kraft helfen können". Von der Leyen plädiert dafür, "eine Arbeitswelt zu schaffen, die im Mittelpunkt die Familienfreundlichkeit hat und auch Zeit und Muße zuläßt, Familie neben der Arbeit zu haben". An die Wirtschaft müsse "da ganz klar die Forderung gehen, eben nicht nur dieses Humanvermögen, das in der Familie gebildet wird, abzuschöpfen, sondern das Humanvermögen auch mitbilden zu helfen, indem man jungen Frauen das Signal gibt, es ist willkommen, daß ihr Kinder habt, und dennoch brauchen wir euch auf Dauer auch in der Arbeitswelt".

Von der Leyen will in diesem Bereich "keine Schuldzuweisung an eine einzelne Partei richten". Allerdings sei es ihre Partei, die CDU, "die immerhin den Finger in die Wunde legt und sagt, in den Sozialsystemen muß in Zukunft bei den Reformen Erziehungsleistung honoriert werden". Bei der Rente, bei der Pflege müßten Familien, die Kinder erziehen, einen Bonus bekommen, denn sie legten die Grundlage für die nächste Generation.

Grundlegend sei die Arbeit der Familie auch bei der Bildung. Deshalb müsse man die Familie auch auf diesem Gebiet stärken. Bei Kindergarten und Schule finde ein "Wechselspiel mit Familie" statt. Auch dieses Wechselspiel zwischen Elternhaus und Schule sei in den letzten 20 Jahren vernachlässigt worden. In Niedersachsen nehme man das inzwischen sehr ernst. "Wir haben hier die offene Ganztagsschule als Angebot". Dieses Modell sieht vor: Vormittags ist Blockunterricht, und zwar für alle. Nachmittags dann das Angebot an die Familien. Wer seine Kinder gerne mit nach Hause nehmen und den Nachmittag selber strukturieren wolle, könne das tun. Aber die Familien, "die aus welchen Gründen auch immer ein strukturiertes Angebot für die Kinder brauchen, nehmen das Angebot der offenen Ganztagsschule wahr mit warmem Mittagessen und anschließenden Angeboten in Kunst, Werken, Hausaufgabenbetreuung". Hier werde Familie "sehr ernstgenommen, denn man sagt einerseits, wir wissen, daß Ihr der wichtigste Motor in der Erziehung seid, aber andrerseits wissen wir auch, daß in der Realität manche Familien einfach am Nachmittag nicht vorhanden sind, denn sie müssen Geld verdienen oder aber die Familienstrukturen sind so, daß die Kinder nicht versorgt sind, und da muß der Staat dann auch mehr Ernsthaftigkeit zeigen".

Von der Leyen spricht sich auch für eine Verkürzung der Schulzeit auf acht Jahre aus. Hier schöpfe sie "aus der persönlichen Erfahrung. Ich bin in Brüssel geboren und dort in den ersten acht Schuljahren, also bis zum 13. Lebensjahr, in die europäische Schule gegangen. Das war eine Ganztagsschule, und die war von vornherein damals in den 70er Jahren angelegt auf zwölf Schuljahre. Wir haben damals sofort von der ersten Klasse an eine zweite Fremdsprache gelernt, und ich erinnere mich noch sehr genau, als ich mit meinen fünf Brüdern hier nach Deutschland kam, daß wir alle einfach so gut waren in der Schule, nicht weil wir klüger waren als der Rest der Welt, sondern weil man unseren frischen Kopf gut ausgenutzt hat am Anfang des Lebens, daß wir weitgehend eine Klasse überspringen konnten im deutschen Schulsystem." Das habe sie "wirklich nachdenklich gemacht, denn wir können diese klugen Köpfe, die kleine Kinder haben, besser ausnutzen am Anfang des Lebens". Zwölf Jahre Schule seien im internationalen Vergleich "völlig selbstverständlich, so daß wir da auch nachbessern können".

Die Ministerin, die in Hannover in einem schwarz-gelben Kabinett sitzt, glaubt nicht, daß Deutschland angesichts der großen Probleme vor allem in ihrem Bereich (Soziales, Gesundheit, Rente) eine große Koalition braucht, um unabhängig von den Wahlen reformieren zu können. Für große Koalitionen bedürfe es "absoluter Ausnahmesituationen". Das bedeute aber, "daß wir in den großen Sachfragen ein sehr vernünftiges Miteinander pflegen müssen". Sie schätze im Landtag in Hannover eine "sehr scharfe Opposition, dadurch werde ich besser, denn ich werde schärfer kontrolliert als Regierung". Aber sie wisse auch, daß man in den Sachfragen "ganz eng beieinander stehen" müsse, um die "massiven Probleme dieses Landes zu lösen, und da hat keine Partei den Stein der Weisen gefunden". Von der Leyen ist davon überzeugt, "daß wir in der nahen Zukunft viel stärker nach Lösungen gefragt werden". Statt reiner Blockadehaltung oder Schuldzuweisung von einer Partei zur anderen werde nach Konzepten gefragt werden. Da habe in Niedersachsen gerade die CDU aus der Opposition heraus Konzepte auf den Tisch gelegt, "die nicht jedermann passen - das ist mir völlig klar -, die aber immerhin zeigen, daß wir klare Vorstellungen über die Antworten für die Zukunft haben". Für solche Konzepte und Antworten brauche man Mut und Wissen. Das seien mit die wichtigsten Attribute für die Politik der Zukunft.

Ursula von der Leyen: Die niedersächsische Ministerin ist selber Mutter von sieben Kindern.
 
     
     
 
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