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Gedanken für Intellektuelle

 
     
 
Nach soviel Ruhm mußte nun ein wenig Glanz her, besann sich Außenminister Joschka Fischer und kaufte sich nun ein Familienwappen. Ja! Kaufte! Früher kriegte man das Prachtstück noch vom gekrönten Landesherrn für seine Leistungen verliehen, einfach so. Jetzt müssen wir auch dafür schon zahlen. Die Schönfärber nennen das frech "Reform" oder gar "Fortschritt". Realisten nennen die Sache kalt und verächtlich beim Namen: Republik.

Den Reiz der bunten Schildchen hat die neue Gebühr nicht schmälern können. Sie beflügeln die Phantasie, was bereits mit der Gestaltung beginnt. Joschka hat sich einen Fisch unter zwei Schlachtermesser auf seine Wehr malen lassen. Das Schuppentier paßt zum Namen und irgendwie auch zum Wappenstifter, denn leicht zu packen war der nie. Die Messer stehen für die Familientradition der Fischers, die über fünf Generationen Schlachter waren. An der Helmzier wehen zwei Adlerschwingen, man ist schließlich der Herr Außenminister.

Fischers Weg vom kleinen Revoluzzer zum Wappentier mit Ministerposten war ein langer und beschwerlicher. Jahrzehntelang mußte er gegen reaktionär
e Machthaber zu Felde ziehen, malte sich furchteinflößende Bilder von ihnen als "Herrenreiter" (mit und ohne Wappen) und träumte davon, eines Tages selber in ihrem Sattel Platz zu nehmen.

Als Revoluzzer hatte Fischer gelernt, daß reaktionäre Herrenreiter oft Adlige sind, die ihre Hauptaufgabe darin sehen, das Volk in Schach zu halten. Gerade erst warmgeritten sieht sich Ritter Joschka nun selbst einer handfesten Revolte gegenüber: "Volksabstimmung" gällt es durch die Gassen. Der Pöbel will seine Meinung äußern zur EU-Verfassung, als ob er das Recht hätte, eine zu haben. Joschka weiß augenblicklich, was zu tun ist: "Wir sollten die Verfassung ziemlich schnell ratifizieren und möglichst vorneweg gehen", beschied er die Deutschen im ZDF-Sommerinterview. In die Sprache von Joschkas Vorbildern aus vergangenen Epochen übersetzt lautet der Satz in etwa: "Anlegen und Feuer, bevor das Pack seine Chance wittert und sich zusammenrottet!"

Das Pack hat sich nicht verändert, seit Jahrhunderten nicht. Früher unterschied man zwischen "braven" und "aufmüpfigen" Völkern. "Brav" klingt uns heute zu sehr nach Pferdestreicheln, weshalb wir lieber von "demokratisch reif" sprechen. Demokratisch reif ist das deutsche Volk solange wie es einsieht, daß die "Lehren aus unserer Geschichte" alle Fragen schon beantwortet haben, weshalb Volksbefragungen nur Unsinn hervorbringen können ("Zu Europa gibt es keine Alternative, das lehrt uns unsere Geschichte", H. Kohl). Das Gesindel will das für Richtig erkannte nicht immer einsehen und zickt bisweilen - wie früher die Demagogen, die das Gottesgnadentum in Mißkredit brachten. Dabei sind die "Lehren aus unserer Geschichte" kaum weniger gewichtig und endgültig als Gott und seine Gnaden. Wo wir einst sicher sein konnten, daß Gott uns diesen König oder jeden Herzog direkt vom Himmel geschickt hat, so wissen wir heute, daß die "Lehren" uns einen festen Parteienkanon mit unwiderruflichen Rechten sandte, der uns den Weg zur Tugend weist und darin nicht zu stören ist.

Jahrzehntelang blieb diese Ordnung ohne Widerspruch intakt, bis nun auf einmal die düstere Horde des "Volkes" das Maul aufmacht und mitreden will. Wie schon einmal in vergangenen Jahrhunderten kommt der giftige Virus der Rebellion aus dem Westen. Wie schon einmal erwies sich ein Jammerlappen von Souverän auf dem französischen Thron als zu lasch. Nachdem ihm seine Franzosen monatelang nachstellten, sackte Jacques Chirac in sich zusammen und läßt nun die "Nation" über die EU-Verfassung entscheiden. Und wie so oft verfallen die deutschen Herrscher in hilfloses Gezänk, statt der Herausforderung von unten gemeinsam mit Härte und Festigkeit zu begegnen.

Fischer steht, ja, und Schröder und Merkel auch. Schon in der zweiten Reihe jedoch löst sich alles in Chaos auf. Furcht, Ratlosigkeit und sogar offener Verrat an der Unfehlbarkeit der "Lehren aus unserer Geschichte" greifen um sich. Selbst der ehemalige Bundespräsident Herzog stellt sich frech auf die Seite des murrenden Volkes. Beinahe noch abstoßender treten einige verantwortungslose Taktierer auf: Bayerns Stoiber hat vorgeschlagen, das Volk doch nur einmal, zur EU-Verfassung nämlich, abstimmen zu lassen und dann nie wieder. Ist der noch zu retten? Was, wenn die Deutschen "Nein" ankreuzen, statt den Rest der ihnen zugebilligten Rechte an die weisen Mütter und Väter in Brüssel abzugeben? (Man hatte ihnen diese Rechte schließlich nur verpachtet, um den Kommunisten eins auszuwischen. Jetzt haben sie sie gefälligst wieder rauszurücken.) Was, wenn sie Geschmack an der Selbstbestimmung bekommen und das Recht zur Abstimmung für immer haben wollen? Die Geschichte lehrt schließlich: Gibt dem Volk eine kleine Abstimmung und es fordert am Ende die Volksherrschaft.

In der dritten, vierten und fünften Garnitur des Herrschaftsapparats dominiert erstauntes Schweigen. Nur wenige wagen sich vor, um der alten Ordnung zu Hilfe zu kommen - wie Ludwig Stiegler, Chef der bayerischen SPD-Landesgruppe im Reichstag. Der ist zwar ein wenig blöd, weshalb er sich beim Draufschlagen auf den Feind meistens selber schlimme Verwundungen zufügt. Doch diesmal hatte er eine geniale Idee, wie dem Aufstand beizukommen wäre: Um allen 60 Millionen abstimmungsberechtigten Deutschen eine komplette Ausgabe der EU-Verfassung zukommen zu lassen, hätte es gar nicht genügend Papier im Land, so Stiegler. Deshalb ginge das mit der Abstimmung rein technisch nicht, wollten wir nicht alle unsere Wälder abholzen. Schlau, nicht wahr?

Stiegler weist (freilich wie bei ihm üblich, ohne es zu ahnen) einen hervorragenden Ausweg, wie auch weiteren Revolten gegen die bewährte Machtverteilung zu begegnen wäre. In gut sieben Wochen sind beispielsweise Landtagswahlen in Sachsen, wo die SPD unter zehn Prozent rutschen könnte. Unser System fußt auf zwei großen Volksparteien. Wenn da eine Säule dauerhaft wegbricht, könnte das Ganze ins Rutschen kommen, warnen Politologen, weshalb der Sachsen-SPD geholfen werden muß. Warum stellen wir nicht fest, daß die Wahlhelfer-Entschädigungen in diesem Jahr einfach nicht zu finanzieren sind, wenn wir dafür nicht die Rentenkasse plündern wollen - und blasen die Wahl ab? Wahlrecht oder Konto - vor diese Alternative gestellt ist noch jedes Volk zur Vernunft gekommen.

Angelas Weltsch-Merz

 
     
     
 
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