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Gedanken zur Zeit

 
     
 
Die politische überaus korrekte Tageszeitung "Die Welt" meldete auf ihre ersten Seite an, daß "der Siegeszug der deutschen Sprache nicht mehr aufzuhalte ist". Diese Sensation verkündete sie gleich zweimal, am Anfang und am Ende ihre 60-Zeilen-Meldung, und das mit ironischem Unterton und einer Mischung aus Fassungs- un Sprachlosigkeit. Das Blatt, das bekanntermaßen mit jeder Menge Anglizismen um sich wirft berichtete: "... mitten im fernen Peking brechen sich deutsche Urlaute immer öfte die Bahn."

Was war geschehen? Chinas Staatspräsident Jiang Zemin und Rußlands Staatsche Wladimir Putin hatten bei ihrer ersten Unterredung in der Pekinger Großen Halle de Volkes in deutscher Sprache miteinander geplaudert. Um deutsche Poesie lesen zu können hatte der Chinese in seiner Jugend Deutsch gelernt, und hin und wieder rezitiert er noc heute Goethes "Erlkönig". Er wisse, so Jiang Zemin, wie gut Putin Deutsc spreche, der jedoch bescheiden antwortete: "Ich spreche aber nur ein bisserl."

Richtig stellte "Die Welt" fest: "Zwei der mächtigsten Männer der Erd verständigen sich auf Deutsch." In der Tat: die beiden Staatsmänner taten etwa sehr Vernünftiges: Da keiner von beiden die Sprache des anderen beherrscht, benutzten si zur Verständigung eine Fremdsprache.

Anders jedoch "Die Welt". Sie setzte in derselben Ausgabe, in der sie von de Plauderei in Peking berichtete, ihren Lesern folgende drei Überschriften vor: de Zweispalter "Her Majesty was amused" und die beiden Vierspalter "The Grea Game" sowie "Step up and do it!" Da den Redakteuren bekannt sein dürfte daß ihr Blatt eine deutsche Zeitung für deutsche Leser sein soll (selbst die Lizenzgebe gingen einst davon aus), stellen sie sich damit in die Reihe derer, für die sprachlich Unterwürfigkeit unter das Englische nicht nur eine alberne Modeerscheinung, sonder bewußte Politik ist. Eindrucksvoll hat der Münchner Professor Franz W. Seidler unlängs darauf hingewiesen, daß angloamerikanische Marktstrategen die Bedeutung der Sprache fü wirtschaftliche und politische Zwecke genau kennen und dem Leitsatz huldigen: "Zwing den Partner, deine Sprache zu lernen, das kostet ihn Zeit und Energie und Du wirst ih überlegen sein, weil Du Deine Sprache immer besser sprechen wirst als er."

Mehr und mehr werden in Deutschland Waren und Dienstleistungen nicht nur vo ausländischen Unternehmen, sondern auch von deutschen in englischer Sprache oder in eine Art Pidgindeutsch angeboten, das einer Kolonialsprache entspricht. So werden die Kunde gezwungen, die fremdsprachlichen Ausdrücke zu übernehmen und sich von ihre Muttersprache zu entfremden. Wenn zudem Gebrauchsanweisungen und Beipackzettel in Englisc gehalten sind, hat dieser Umstand über die kulturelle Unterwürfigkeit hinau wirtschaftliche und soziale Folgen, die in der Benachteiligung derjenigen liegen, die keine oder nur sehr geringe Englischkenntnisse haben, insbesondere in der ehemaligen DDR
Es entsteht eine unsoziale Wissenskluft, die mit immer früherem Englischunterricht bi hin zum Kindergarten geschlossen werden soll. Das wiederum führt dazu, da Volksschulkinder und Grundschüler eine fremde Sprache lernen sollen, noch bevor sie ihr deutsche Muttersprache schreiben und lesen können.

Im Gegensatz zu diesen hektischen Bemühungen zur sprachlichen Anglisierung gibt e heutzutage Abiturienten, die in ihrer Schulzeit anders als der chinesisch Staatspräsident in seiner Jugend nie ein Werk von Goethe oder Schiller gelesen haben Statt klassischer Literatur wird ein Roman mit dem Titel "Der Nazi und de Frisör" als Hauptlektüre der Kollegstufe eines Gymnasiums behandelt.

Deutsch ist das Kommunikationsmittel der größten Sprachgemeinschaft mit 90 Millione Menschen in Europa. Im Zentrum Europas hat es die größte Verbreitung und grenzt an 1 andere Sprachgebiete, was Sprachkontakte menschlicher, wirtschaftlicher un gesellschaftlicher Art mit sich bringt. Deutsch hat somit eine große europäische Aufgab wahrzunehmen. In vielen Staaten des östlichen Europas ist Deutsch die "Sprache de Freiheit", auch wenn das viele Deutsche nicht wahrhaben wollen.

Die Verantwortlichen in Staat, Politik, Wirtschaft und Medien Deutschlands haben eine riesengroßen Nachholbedarf, wenn sie die deutsche Sprache so entschlossen verteidige wollen wie es Franzosen, Polen und Russen mit ihren Sprachen tun. Europas Stärke is seine kulturelle Vielfalt. Diese wird gefährdet, wenn Deutsch zu einer Ar "Trümmersprache" verkommt. Bisher sieht es nicht danach aus, daß die Verantwortlichen in unserem Land diese Aufgabe wahrnehmen.

 
     
     
 
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