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Gedankenaustausch

 
     
 
Zum fünften Mal fuhren Bewohner aus dem Patenkreis Rotenburg (Wümme) zusammen mit Angerburgern in deren Heimat rund um den Mauersee. Auf Wunsch von Landrat Wilhelm Brunkhorst, der mit seiner Frau, mehreren Kreistagsmitgliedern und anderen Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens an der Reise teilnahmen, hatte der langjährige Kreisvertreter der Angerburger Friedrich-Karl Milthaler diese Reise wieder hervorragend organisiert. Durch seine besondere Verbundenheit zur ostdeutschen Heimat und seine umfangreichen Kenntnisse konnte Milthaler den Reiseteilnehmern viele interessante Informationen über Ostdeutschland und vor allem über den Kreis Angerburg geben.

Es wurde eine Reise, die durch regen Gedankenaustausch mit den Repräsentanten der Stadt Angerburg und umliegender Gemeinden, durch Besichtigungen neu entstandener und neu restaurierte
r Gebäude und Betriebe unter fachlicher Führung und durch persönliche Beiträge derer, die ihre heimatlichen Wohnorte vorstellen konnten, geprägt war.

Hervorzuheben ist das Bemühen der Angerburger Verwaltung, ihren Gästen den Aufenthalt so angenehm wie möglich zu gestalten. Dazu gehörte die Unterbringung in den von der polnischen Stromversorgungsgesellschaft in Warschau im kanadischen Stil erbauten Holzhäuser "Baza Wodna Siekierski" auf der Anhöhe in Kehlen mit Blick auf den Schwenzaitsee, der bei Sonne und Wärme zum Baden oder Bootfahren einlud. Der stellvertretende Bürgermeister Ing. Jerzy Litwinienko kümmerte sich mehrmals täglich um das Wohlergehen der Reisegruppe.

Mit einem Empfang im Sitzungssaal im neu restaurierten Schloß wurden die Besucher offiziell vom Vorsitzenden des Rates der Stadt und Gemeinde Angerburg Senator Wieslaw Pietrzak und dem Bürgermeister Dr. Ing. Wladyslaw Anchim begrüßt und es entwickelte sich schnell eine freundschaftliche offene Atmosphäre, die den Umgang der alten Angerburger und der Rotenburger Patenschaftsträger mit den neuen Angerburgern auszeichnet. Diese Kontakte konnten beim gemeinsamen Aalessen in der neu durchgebauten "Alten Schmiede" in Schwenten (Ogonken), zu dem die alten Angerburger eingeladen hatten; und beim Sommerfest auf dem Grillplatz am Schwenzaitsee, das von der Deutschen Gesellschaft Mauersee unter Leitung der Vorsitzenden Herta Andrulonis bestens organisiert war, vertieft werden. Der Lötzener evangelische Pfarrer Jagucki und seine Frau trugen durch musikalische Beiträge sehr zum Gelingen dieses Festes bei und es zeigte sich wieder, wie sehr Singen miteinander verbindet.

100 Jahre Eisenbahn in Angerburg

Sehr beeindruckend war am ersten Aufenthaltstag die Ausstellung "100 Jahre Eisenbahn in Angerburg" im ehemaligen Angerburger Bahnhofsgebäude, das vom Volkskulturmuseum zu Ausstellungszwecken übernommen wurde. Die Ausstellung war von der Direktorin Barbara Chludzinska zeitlich so arrangiert worden, daß Landrat Brunkhorst und Kreisvertreter Milthaler sie eröffnen konnten. Unter den zahlreichen Ausstellungsstücken befanden sich auch Originalbilder aus der Zeit vor 1945, die bei manchem Betrachter Erinnerungen an seine Fahrten mit der Bahn zur Schule oder zum Einkaufen in die Kreisstadt wachriefen. Bemerkenswert war, daß viele Jugendliche an der Eröffnungsfeier teilnahmen.

Neue Betriebe in Angerburg

Die Besichtigung eines Holzverarbeitungs- und Holzhandelsbetriebes zeigte ein aufstrebendes Unternehmen. Eine neue Lagerhalle befindet sich im Bau. Es werden u. a. fertig zugeschnittene Balken und Bretter für Holzhäuser verkauft. Um die Rentabilität zu vergrößern, ist an den Betrieb ein Handel für landwirtschaftliche Verbrauchsgüter angeschlossen.

"Wir können Ihnen in Angerburg und Umgebung viel Neues zeigen", hatte Bürgermeister Dr. Anchim in seiner Begrüßungsansprache gesagt. Zu diesen Neubauten gehört die vor zwei Jahren fertiggestellte Kläranlage in Angerburg, die für 23 000 Einwohner ausgelegt ist und einen Preis der Europäischen Union erhalten hat, die den Bau der Anlage förderte. Die Anlage wird biochemisch betrieben, der Klärschlamm getrocknet und als Festkompost verwertet. Die Leitung dieses modernen Betriebes liegt in Händen einer Frau. Das ist, wie sie uns sagte, immer noch eine Ausnahme.

Nach rund 50jähriger Stillegung arbeitet auch die Fischbrutanstalt in Angerburg wieder. Überwiegend Hechte und Maränen befinden sich in der Brutanstalt und den dahinter liegenden Anzuchtteichen. Vor 1945 galt diese Fischbrutanstalt als die größte Europas.

Sehr interessant war auch die Besichtigung des Käsekellers der Molkerei Angerburg in einem ehemaligen Wehrmachtsbunker, in dem Salamikäse, Morzarella und Räucherkäse lagern. In der Molkerei werden jährlich rund 20 Millionen Liter Milch verarbeitet. Abgesetzt wird der Käse hauptsächlich im Inland, überwiegend in Breslau und Schlesien.

Vor dem Gelände im Mauerwald hat der 34jährige Druckereibesitzer Michal Janson aus Warschau 50 ha für 30 Jahre gepachtet, dazu 34 Bunker. Er war extra aus Warschau angereist, um den alten Angerburgern seine Pläne vorzustellen und die gute Zusammenarbeit mit der Bundesrepublik Deutschland zu fördern. Diesem Zweck soll u. a. auch das von ihm geplante Museum dienen. Ein Reiseteilnehmer aus Dresden beschäftigt sich als Historiker mit der Erforschung der Bunkeranlagen im Mauerwald und erläuterte die Entstehung und Nutzung durch das OKH von 1941–1944.

Förderung der Jugend nimmt hohen Stellenwert ein

Voller Stolz blicken die Angerburger auf den Neubau einer Grundschule, die uns die junge Direktorin zeigte. Zur Zeit wird die Grundschule von acht Schuljahrgängen genutzt. Später soll sie auch ein Gymnasium werden. Bei 800 Schülern geben 50 Lehrer mit 18 Wochenstunden Unterricht. In dem noch nicht fertig ausgebauten Dachboden sollen Lehrkräfte Dienstwohnungen erhalten. Ein bereits fertiggestellter Raum soll dankenswerterweise der Deutschen Gesellschaft Mauersee zur Verfügung gestellt werden. Die Kinder machten auf uns einen fröhlichen, unbekümmerten, aber disziplinierten Eindruck.

In der alten Volksschule in Angerburg, die jetzt als "Dom Kulturi" genutzt wird, konnten wir beim Tanztraining junger Schülerinnen zuschauen. Im neu gestalteten Bühnensaal erlebten wir zwei tänzerische Darbietungen. Die Choreographie, der künstlerische Ausdruck sowie die Professionalität der jugendlichen Akteure begeisterten.

Nach diesen Besuchen gewannen wir den Eindruck, daß die individuelle Beschäftigung mit jungen Menschen und die Förderung ihrer Talente einen hohen Stellenwert einnehmen.

Versöhnung über Gräbern

Ein besonderes Erlebnis ist der Besuch des Heldenfriedhofes Jägerhöhe am Schwenzaitsee, auf dem 234 russische und 344 deutsche gefallene Soldaten aus dem Ersten Weltkrieg ihre letzte Ruhestätte gefunden haben. Auf Initiative des Angerburger Gerhard Lemke, der in Ausübung seiner übernommenen Aufgabe bei einem Verkehrsunfall zwischen Rastenburg und Angerburg 1993 tödlich verunglückte, wurde dieser Soldatenfriedhof sowie sieben weitere in der Umgebung restauriert. Auf hohem Seeufer mit weitem Blick über die masurischen Seen ist diese Gedenkstätte ein Platz, an dem jeder seinen meist schmerzlichen persönlichen Erinnerungen an die Kriegszeiten nachgeht. Kreisvertreter Milthaler legte mit Worten des Gedenkens einen Kranz nieder. Auch der stellvertretende Angerburger Bürgermeister Litwi-

nienko legte einen Blumenstrauß an das hohe Kreuz, eine Geste, die von allen als ein Zeichen des Miteinander und der Versöhnung empfunden wurde.

Ähnliches erlebten die Reiseteilnehmer, als die polnische Bürgermeisterin von Possessern einem früheren Bewohner des Ortes versprach, dafür zu sorgen, daß die Gräber der Familie auf dem Friedhof erhalten bleiben, gepflegt werden, und daß am Totensonntag dort Lichter stehen werden.

Es gab mehrere bewegende Momente während dieser Fahrt. Nach der Andacht von Pfarrer Jagucki in der neu renovierten Kapelle auf dem Friedhof in Possessern begann ein deutsches Gemeindemitglied seinen Lebensweg zu schildern. Als die Frau sich auf einem ihr zugereichten rund 60 Jahre alten Konfirmationsbild als Kind im Matrosenkleid erkannte, war sie so überwältigt, daß sie nicht weiter sprechen konnte. Spontan half ihr ein Mitglied aus der Reisegruppe – und sie erzählte weiter. Dieses Gerührtsein und die selbstverständliche Hilfeleistung zeigen, wie wichtig es ist aufeinander zuzugehen und wie befreiend Darübersprechen sein kann.

Wo Menschen ihre Geborgenheit bei Gott glaubend erfahren, werden Grenzen gegenstandslos. Dies spürten alle Teilnehmer beim festlichen Konfirmationsgottesdienst in der voll besetzten Kreuzkirche, die früher den Bethesda-Anstalten für geistig und körperlich Behinderte diente. Sie ist vor einiger Zeit von der ukrainischen Gemeinde käuflich erworben worden. Pater Georg begrüßte die Gemeinde, Pastor i. R. Hans Willenbrook aus Rotenburg hielt in deutsch die Predigt, Kreisvertreter Milthaler konnte die Schriftlesung vornehmen, Pfarrer Jagucki segnete acht Konfirmanden ein. Alle drei Geistlichen schritten am Anfang des Gottesdienstes zusammen mit den Konfirmanden vom Haupteingang zum Altar – ein Beispiel selbstverständlicher Ökumene. Zur festlichen Stimmung trug das gemeinsame Singen mit dem Lötzener Kirchenchor in deutscher und polnischer Sprache bei.

Im Chor sang auch Ingeborg Wandhoff von der Johanniter-Unfall-Hilfe aus Kiel mit, die für die Einrichtung und Betreuung der Sozialstationen im südlichen Ostdeutschland zuständig und Ehrenbürgerin der Stadt Angerburg ist. Sie war von Kiel nach Angerburg gekommen, um den Besuchern nähere Informationen über die Sozialstation in Angerburg, die mit der Deutschen Gesellschaft Mauersee eng zusammenarbeitet – die Räume machten einen vorbildlichen Eindruck – und über das 1997 ebenfalls vorbildlich eingerichtete Ambulatorium in Buddern zu geben. Dieses Haus ist von der Gemeinde Buddern in kurzer Zeit völlig umgebaut worden, betonte Ingeborg Wandhoff, und mit drei Ärzten und drei Sprechstundenhilfen besetzt. Wöchentlich werden rund 500 Patienten betreut. Die Zusammenarbeit ist sehr erfreulich. "Wir bemühen uns", fuhr Ingeborg Wandhoff fort, eine flächendeckende ärztliche und pflegerische Versorgung zu erreichen.

Hoffnung auf Touristen

Nicht nur in Angerburg, auch in den umliegenden Ortschaften – wir erfuhren es bei unseren Besuchen in Großgarten (Possessern) und Buddern – wird in größerem Umfang um Touristen geworben. In aufwendigen, auf Hochglanzpapier, meistens in drei Sprachen (polnisch, deutsch, englisch) gedruckten Prospekten wird nicht nur auf die Schönheit und Vielfalt der masurischen Landschaft mit den vielen Seen und Wassersportmöglichkeiten hingewiesen, sondern auch auf Jagdmöglichkeiten, seltene Vogelarten, ökologisch reine Umwelt, intakte Natur und Stille. Dabei werden verschiedene Objekte zur Pacht oder zum Kauf angeboten.

Einen ehemaligen Gutshof in Gr. Budschen gekauft hatte eine junge polnische Familie, die auch auf Fremdenverkehr hofft. Sie zeigte uns das aufwendig geschmackvoll renovierte Wohnhaus und die modern neu eingerichteten Wirtschaftsgebäude, die der Schweinezucht und -mast von 350 Sauen und 3000 Schweinen dienen – eine imposante Leistung.

In polnischen Schriften wird auf ein historisches Kulturdenkmal hingewiesen, das wir uns nach der Weiterfahrt über Benkheim durch den Skalischer Forst in Richtung Grenze etwa einen Kilometer südlich des Gutshauses von Angerapp im Wald gelegen, ansahen. Es handelt sich um ein Mausoleum in Pyramidenform, 10 m hoch, nach ägyptischem Vorbild um 1800 von Johann Friedrich Fahrenheid erbaut, der 1793 Klein-Beynuhnen im Kreis Angerapp erwarb – er könnte aus der Familie Fahrenheit stammen, die durch die Temperaturskala nach Fahrenheit bekannt geworden ist. In dem Mausoleum standen vier Särge. Nach den beiden Weltkriegen geplündert, wurde das Mausoleum polnischerseits wiederhergestellt. Durch die vergitterten Fensteröffnungen kann man auf das Innere sehen, ein makabrer Anblick: abgehobene Sargdeckel, in den Särgen Knochengerippe. Den alten Angerburgern war dieses Mausoleum wenig bekannt.

Zu einer Reise nach Angerburg gehört eine Fahrt auf dem Mauersee, die den Teilnehmern bei strahlendem Sonnenschein nicht nur knapp 3 Stunden Erholung und Entspannung brachte, sondern auch ein Erleben der wunderschönen masurischen Landschaft mit ihren besonderen Naturschönheiten. Dabei wurden viele Gespräche mit den eingeladenen Mitgliedern der Deutschen Gesellschaft Mauersee geführt.

So schwer das Leben vor allem für Rentner, Kranke und Arbeitslose ist, bei vielen Begegnungen spürte man im Gegensatz zu früheren Jahren aufkommende Hoffnung, die sich u. a. in den Worten ausdrückte: "Wenn Sie nach einigen Jahren wiederkommen, wird hier vieles fast wie bei Ihnen aussehen."

Neue geschmackvoll gebaute Häuser, gepflegte Gärten mit zur Zeit üppig blühenden Bauernrosen, viele neue Gasthäuser und Hotels prägen schon jetzt in einigen Orten das Landschaftsbild. Auch die Felder sind zum Teil gut bestellt, doch auch erfreuen überwiegend auf brachliegenden Feldern Korn- und Mohnblumen die Reisenden. Und immer wieder viele Störche auf Häusern und Telefonmasten, von den Bewohnern als Glückbringer empfunden.

Eine jüngere Reiseteilnehmerin aus Hamburg, Nichtostpreußin, faßt ihre Eindrücke u. a. so zusammen: "Am Ende der Masurenfahrt stehen für mich die Erkenntnis der Bereitschaft aufeinander zuzugehen und die Gefühle einer möglichen Versöhnung zwischen Polen und Deutschen. Daraus könnte ein Miteinander, eine wirkliche Partnerschaft werden, die Neues wachsen läßt, ohne auf eigene Werte zu verzichten. Und um die Worte von Landrat Brunkhorst "Ich halte es für wichtig, daß wir miteinander und nicht übereinander reden" zu verwirklichen, soll es nicht nur ein Wiedersehen während der Angerburger Tage in Rotenburg (Wümme) geben, sondern auch im nächsten Sommer wieder in Angerburg.

 

 
     
     
 
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