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Gefälschte Interviews: Journalisten-Skandal bei der Süddeutschen Zeitung

 
     
 
Eingeweihte trauten ihren Augen kaum: Schauspieler wie Brad Pitt oder Pamela Anderson, die bis dahin nicht gerade durch den übermäßigen öffentlichen Gebrauch ihrer Hirnfunktion hervorgetreten waren, unterhielten sich plötzlich über griechische Gnostiker oder philosophierten tiefschürfend über den Sinn des Lebens. Und der Schweizer Journalist Tom Kummer, der für eine Handvoll deutscher und schweizerischer Zeitungen in Los Angeles tätig war, schrieb es auf. Scheinbar. Denn nach einem jüngst erschienen Artikel des Münchner Nachrichtenmagazin
s "Focus" darf als sicher gelten, was viele von Kummers Kollegen seit langem vermuteten: die meisten dieser Interviews sind Fälschungen.

Seit Jahr und Tag berichtete Kummer nicht nur für das Magazin der "Süddeutschen Zeitung" (SZ), sondern auch für das "Zeit-Magazin", den Zürcher "Tages-Anzeiger", die angesehene Schweizer "Weltwoche" und andere erlauchte, meist linksliberale Zeitungen und Zeitschriften. Die SZ steht jetzt für ihren laxen Umgang mit der Wahrheit zu Recht am Pranger. Doch wenn nun auch einige der genannten Zeitungen auf die SZ mit dem Finger zeigen, dann ist dies zumindest ein Zeichen von doppelter Moral.

Doch auch in der "Zeit" oder der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung", die sich selbst bekanntlich als Muster des ernsthaften Journalismus sehen, ist der Zeitgeist des Pop-Journalismus eingedrungen. Bei der "Zeit" mit der Beilage "Leben", die FAZ präsentiert auf diesem Gebiet ihre "Berliner Seiten". Da kommt es denn auch nicht so sehr auf die dröge Präsentation wissenswerter Fakten an, sondern interessant ist allein, was schön verpackt daherkommt. Seit langem waren die zuständigen Chefredakteure des SZ-Magazins, Ulf Poschhardt und Ulf Kämmerling, gewarnt worden. Interessiert hat sie das offenbar nicht. Die gesamte Journalistenzunft will über Kummer Bescheid gewußt haben. Warum hat sie in der Öffentlichkeit  geschwiegen?

Schließlich: Warum war Kummer über so lange Zeit so erfolgreich? Des Rätsels Lösung ist ziemlich einfach. Er schrieb, was die Leser gern konsumieren wollten. Hätte er die Stars und Sternchen tatsächlich interviewt, dann wäre das Ergebnis dürr, wahrscheinlich langweilig gewesen.

Da heute jeder mittelmäßige Schauspieler über eine eigene Rechtsabteilung verfügt, die ihm sagt, was er zu sagen hat, und was nicht, ähneln Treffen mit Journalisten immer mehr aalglatten Politikerreden. So etwas will jedoch keiner hören, geschweige denn lesen. Also muß eine künstliche Wahrheit her. Eine, die zwar nicht wahr ist, aber doch immerhin interessant.

Indessen hat die Geschäftsführung der SZ die Konsequenzen gezogen: Die beiden Chefredakteure des SZ-Magazins, Poschhardt und Kämmerling, müssen ihren Hut nehmen. Auch sie waren ein Teil des "Pop-Journalismus", der es mit der Wahrheit nicht so genau nahm. Doch haben sie tatsächlich auch nur dort ein Auge zugedrückt, wo ihre anderen Kollegen die Wahrheit nicht wissen wollten. Das Verhältnis zwischen dem "SZ-Magazin" und der Mutterzeitung war traditionell unterkühlt. "Macht Ihr Eure Zeitgeist-Sachen, wir machen ernsten Journalismus", hieß es auf einer Redaktionskonferenz. Und so wurde es auch gehalten. Zwar gab es warnende Stimmen. So klagte SZ-Reporter Hans Leyendecker über mangelnde Prüfung und Kontrolle: "Die schreiben irgendwas, und das steht dann in der Zeitung." Doch kann man über etwas wie Lebensgefühl so kühl schreiben wie über ein Gipfeltreffen von Politikern? Tatsächlich aber erschienen auch Geschichten, vor denen der Hausjurist der SZ zuvor eindringlich gewarnt hatte. "Juristen warnen doch immer", meinte daraufhin eine Redakteurin, "da müssen wir drüber stehen." – Hatten sie alle bereits vergessen, daß vor nicht allzulanger Zeit ein Journalist, der für "stern-tv" "Ereignisse" wie "Neonazi-Demonstrationen" für die eigenen Sendungen fälschte, sogar zu einer Gefängnisstrafe verurteilt wurde?

"Leben auf der Überholspur", so hieß eine Hollywood-Romanserie, die den Zeitgeist der Filmmetropole beschwor. Auf der Überholspur befand sich schließlich auch Tom Kummer. Dort lebt es sich freilich gefährlich, wenn man irgendwann einmal vergißt, wo man sich gerade befindet. Und das scheint er getan zu haben. Die Strafe folgte jedenfalls auf dem Fuß.

Doch nicht nur die Chefredakteure und der Fälscher tragen die Schuld am Geschehenen. Schließlich fällt ein guter der Teil der Schuld an dieser Affäre auf den Leser selbst. Es dürstet ihn nach immer mehr Abwechslung. Immer schneller müssen beim Fernsehen die Einstellungen wechseln, sonst wird umgeschaltet. Immer kürzer müssen die Artikel sein, sonst werden sie nicht mehr gelesen, immer knalliger muß alles gestaltet werden, sonst interessiert sich keiner mehr dafür. Wohin das führt? Zu mehr Wahrheit und Erkenntnis offenbar nicht. Antonia Radelbeck

 
     
     
 
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