A B C D E F G H I J K L M N O P Q R S T U V W X Y Z
     
 
     
 

Glücksbringer zu Silvester

 
     
 
Ein mit Erbsenstroh zurechtgemachter Bär, der von einem Bärenführer an der Kette gehalten wurde, ein Schornsteinfeger und eine Zigeunerin bildeten die Gruppe, die am Silvesterabend von Haus zu Haus zog, um die Dorfbewohner mit Spiel und Tanz zu unterhalten. Zudem sollte dieser Umzug im kommenden Jahr Glück und Segen für Haus und Hof und die besuchten Menschen bringen.

Helmut, den Kleinsten, schickte man zu einem Nachbarn, der als gutmütig bekannt war, um Erbsenstroh zu erbitten. Bereitwillig gab dieser so viel heraus wie etwa benötigt wurde. Mit großem Eifer wurde nun das Erbsenstroh geglättet und lange Seile daraus geflochten. Brunhilde, die ja "nur ein Mädchen" war, wurde von den großen Jungen dafür ausersehen, die Rolle des Bären zu übernehmen.

Da half kein Zetern und kein Wehklagen. Unerbittlich wurde sie vom Kopf bis zu den Füßen mit den kratzenden Strohseilen umwickelt. Um sie völlig unkenntlich zu machen, wurde ihr das Gesicht mit einer Stoffmaske verdeckt. Daraufhin sah sie nun nicht gerade wie ein Bär aus, aber ein Ungetüm war sie auf jeden Fall.

Ihr Bruder Eugen übernahm die Aufgabe des Bärenführers. Sobald er auf seiner Mundharmonika spielte, mußte der Bär tanzen oder sich im Kreis drehen. Rudi, der Wortführer unter den Nachbarskindern, hatte sich die Rolle des Schornsteinfegers vorbehalten, und der kleine flinke Helmut wurde von ihm zur Zigeunerin bestimmt.

Michel, den Bürgermeister und größten Bauern des Dorfes, wollte man zuerst mit einer Vorstellung beehren, denn seine Spenden waren in den vorhergehenden Jahren stets großzügig bemessen gewesen, und Humor hatte er auch. Freundlich wurde der abenteuerlich vermummten Schar auf ihr Klopfen hin die Haustür geöffnet, und mit Gepolter und Mundharmonikaspiel ging’s in die gute Stube. Der Bär drehte sich nach den Klängen der Musik, und der Bärenführer ließ ihn kleine Kunststückchen vorführen. Die Zuschauer waren von diesem Schauspiel so sehr angetan, daß sie nicht auf die beiden anderen Besucher achteten.

Unbemerkt war der Schornsteinfeger in die Küche geschlichen und machte sich am Herd zu schaffen. Mit seinem Besen stieß er in den Aschkasten, und alsbald war der Steinfußboden mit der herausfliegenden Asche bedeckt. Als Michel durch das Klappern am Herd auf das Treiben aufmerksam wurde, brach er in schallendes Gelächter aus. Die Hausfrau dagegen lief mit einem entsetzten Aufschrei in die Küche und scheuchte den Schornsteinfeger hinaus.

In dem allgemeinen Tumult achtete niemand auf die Zigeunerin. Sie bediente sich an dem zum Silvesterabend üppig gedeckten Abendbrottisch. Brot, Speck, Wurst und eine Flasche Schnaps
verschwanden alsbald in ihrem Henkelkorb. Die beiden Söhne des Hauses merkten indessen nichts von dieser "einnehmenden" Beschäftigung. Gar zu gerne hätten sie gewußt, wer hinter dem Erbsenstroh steckte. Dem ganzen Gehabe nach vermuteten sie ein weibliches Wesen dahinter. Doch der Bärenführer achtete darauf, daß niemand dem Bären zu nahe kam. Notfalls machte er von seiner Kette Gebrauch und teilte den Neugierigen derbe Schläge damit aus.

Die jungen Mädchen wiederum hatten ihre liebe Not, sich den Schornsteinfeger vom Hals zu halten, der versuchte, eine um die andere in den Arm zu nehmen und abzuküssen. Mit viel Gelächter und Geschrei gelang es ihnen, rechtzeitig zu entwischen, so daß er seine Spuren nicht allzu deutlich hinterlassen konnte.

Um dem Spektakel ein Ende zu bereiten und sich die Besucher vom Hals zu schaffen, belohnte der Hausherr die Aufführung mit einigen Geldstücken. Mit Mundharmonikaspiel, Bärengebrumm und Kettengerassel bedankte sich die Gruppe für die Gaben. Weiter ging’s zum nächsten Haus, um die dortigen Bewohner ebenfalls mit einer Vorstellung zu beglücken.

Ob der Bürgermeister, als er sich zum Abendessen setzen wollte, immer noch gelacht hat, ist kaum anzunehmen. Doch in späteren Jahren hat er sicherlich so manches Mal geschmunzelt, wenn er sich die übermütigen Streiche von damals in Erinnerung rief.

 
     
     
 
Diese Seite als Bookmark speichern:
 
     
     
     

     
 

Weitere empfehlenswerte Seiten:

Kirche und Welt in der Frühen Neuzeit im Preussenland

Sorgenkind deutscher Export

Mit einer fröhlichen Weise

 
 
Erhalten:
 

 

   
 
 
1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11
WISSEN48 | ÜBERBLICK | THEMEN | DAS PROJEKT | SUCHE | RECHTLICHE HINWEISE | IMPRESSUM
Copyright © 2010 All rights reserved. Wissensarchiv