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Greife - wilde Kreaturen

 
     
 
Die hoheitsvollsten aller Greife zogen im Glauben des alten Griechenlands den Wagen de Nemesis, der Göttin der Gerechtigkeit. Sie jagte um die Erde, beschützte die Guten un vollzog Rache an den Bösewichten. Das alte Rom wiederum sah Greife vor den Wagen de Sonnengottes Apollon (auch Sol genannt) gespannt; mit mächtigen Flügelschlägen risse sie das feurig gleißende Gefährt tagtäglich von Osten nach Westen durchs Weltall. De literarisch berühmtesten Greif bescherte uns Lewis Carolls in "Alice in Wunderland", veröffentlicht 1865. Dort treffen die Herzkönigin und Alice auf eine Greif, der schlafend in der Sonne liegt. "Hoch, Faulpelz", sagte die Königin "bring die junge Dame hier zur Schildkröte." Und so geschieht es. Alsbal lehren Greif und Schildkröte der kleinen Alice die Krebsquadrille tanzen …

Wo das Urbild des Greifs entstand, ist unbekannt wie jeder Mythos
. Doch um 3000 v. Chr waren Greife in künstlerischer Darstellung bereits in Ägypten und Mesopotamien bekannt Über Syrien, Palästina, Anatolien traten sie ihren Flug nach Europa an. Wie sahen si aus? Um es kurz zu sagen: Schrecken erregend. Ihr Bild unterlag jedoch Wandlungen. I grauer Vorzeit hatte der Greif den Körper eines Löwen, die Schwingen und den Kopf eine Adlers mit hochstehenden spitzen Ohren. Spätere und bleibende Vorstellung zeigt ihn noc fürchterlicher. Der Leib und die Hinterbeine waren mit dem Löwen identisch geblieben die krallenbewehrten Vorderbeine wiesen auf den Adler hin, ebenso der Kopf, der riesig Hakenschnabel. Überproportioniert waren nun die Flügel und die steilen Ohren.

Als Mischwesen verkörperte er den "König der Tiere" und den "Köni der Lüfte". Konnte es da noch wundern, daß er zum heraldischen Symbol der Fürste und Reichen dieser Welt avancierte? Zweifellos ein selbstverräterischer Wappenschmuck denn von den Charaktereigenschaften des Greifs ist Bekümmerliches zu melden. Gold hatt es ihm angetan. Eine der ältesten Überlieferungen erzählt vom Kampf um Gold zwische Greifen und den angeblich einäugigen, im Norden Europas siedelnden Arimaspen. Es mu sich – dem Geschichtsschreiber Herodot zufolge – um unermeßliche Goldhort gehandelt haben. Doch egal ob viel oder wenig, wo immer der Greif einen Goldschat aufspürte, kratzte er ihn aus der Erde; Edelsteine, kostbare Erze waren vor seine Raubklauen nicht sicher. Er polsterte die Nester seiner Brut damit. Näherten sich ih Menschen, riß er sie in Stücke. Sein Instinkt ließ ihn wittern, daß diese jämmerlich Gattung zweibeiniger Aufrechtgänger raffgierig wie er selbst sei. Die Furcht vo Besitzverlust machte den Greif menschlich, weshalb er auch am Ende alle Greuel-Legenden die sich um ihn als gefürchtete "wilde Kreatur" rankten, zum Wächter irdische und sakraler Güter erhoben wurde. Und dabei blieb es.

Durch die Jahrhunderte wurden Greife meist zu zweit dargestellt. Sie flankierte Grabmäler und Urnen als Wächter der Toten. Sogar Altäre, Kandelaber, Weihgefäße ware ihrer Obhut anvertraut. Im 18. und 19. Jahrhundert dekorierten sie öffentliche Gebäude schmückten Fassaden, Friese, Gesimse, waren auf wertvollen Bucheinbänden, Textilien zu finden. Sie wurden sogar zum Firmenzeichen einer Automarke, einer Brauerei, selbs Wirtshausschilder zeigten den Greif. Zunftzeichen der Friseure wurde er in London. Noc 1988 kreierte Wolf Olins für die Midland Bank ein Greif-Signet. Flüchtig betrachte erinnert das abgebildete Vogeltier an einen Geier, der sich über die Werteinlage hermachen will.

In einem Essay über Greife weist Peter Armour darauf hin, daß die Menschen de Mittelalters den Greif als reales Lebewesen sahen, ungeachtet der Tatsache, daß sie ni einen Greif vor Augen gehabt hatten. Die stets wirtschaftlich orientierten Brite gelangten zu einem erstaunlichen Gedankenschluß. Armour: "Um 1200 begannen jedenfalls in England, einige Menschen die Greife mit der habgierigen Aristokratie zu vergleichen." Das rief die Verteidiger der Greife in die Arena. Einer war Alexande Neckam: "Sein Argument war, Greife seien Tiere und könnten deshalb nicht bewuß Sünden begehen; ihre Freude am gleißenden Gold sei rein natürlich und instinktiv. Die Habgier des Adels hingegen sei bewußt."

Die Ansichten über das mythische Flugtier unterlagen Veränderungen, überwiegend abe wurde der Greif verherrlicht, auch mit Menschen in Verbindung gebracht, die als außergewöhnlich galten und mit ebensolchen Taten Ruhm ernteten. Einer von ihnen wa Alexander der Große, der im 4. Jahrhundert v. Chr. Beherrscher der Hälfte der damal bekannten Welt war. Eine Buchmalerei im "Alexanderroman", einer Sammlung vo Forschungsreisen und Abenteuern aus dem frühen 14. Jahrhundert, zeigt den Mazedonier in einem Flugkäfig, der von vier Greifen in die Lüfte über Indien getragen wird. De Himmel sollte erforscht werden. Einfälle muß man haben und die hatte der tollkühn Alexander. Die unglaubliche Kunde lautete, daß er die Greife fangen und mit Tauen an de Käfig binden ließ. Während des Flugs hielt Alexander mit Fleisch bestückte Spieße au den Käfigfenstern und die Greife flogen, eifrig kauend, durchs Himmelsblau. In de ironischen Ritterepos vom "Rasenden Roland" von Ludovico Ariosto (1474 bis 1533 rettet der Sarazene Ruggiero die an einen Felsen gefesselte Angelica vor eine Seeungeheuer. Dessen Schwanz streckt sich den Beinen der Schönen entgegen – d sprengt der Befreier auf einem Hippogryph, einer Kreuzung aus Greif und Stute heran un sticht seine Lanze in den Rachen des Ungetüms. Erleichtert atmet Angelica auf.

Der Engländer John Ruskin (1819 bis 1900) lieferte eine eigentümlich wehmütig Zeichnung von Greifen. Er skizzierte den brüchigen Portikus der mittelalterliche Kathedrale von Verona; das Gemäuer wird von ruhenden Greifen gestützt. Vergänglichkei weht. Und vergänglich war der Glaube an das Vorhandensein von Greifen in freier Natur Bereits Mitte des 13. Jahrhunderts hatte der Theologe und Naturforscher Albertus Magnu geäußert, "daß niemand einen Greifen entdeckt oder aus eigener Anschauun beschrieben habe". Sir Thomas Browne schrieb 1646 in seiner "Pseudodoxi Epidemica" ("Von verbreiteten Irrtümern"), die Existenz von Greifen se auszuschließen, denn "wenn sie nach dem Gesetz der Tierkunde betrachtet werden erweist sich die Erfindung als monströs, um weniges geringer als die Erdichtung vo Sphinxen, Chimären und Harpyien".

Der Streit um die Existenz der Greife dauerte dennoch eine Weile an. Phantasie mocht sich nicht von ihnen trennen. "Eine heutige Theorie geht davon aus, der antike Glaub an Greife sei durch die Entdeckung von Dinosaurier-Überresten und -Eiern in der Wüst Gobi entstanden." Der Greif könnte also ursprünglich ein Flugsaurier gewesen sein den menschliche Vorstellungskraft zum Fabeltier verwandelte. Wie es auch sei, in Volksglauben geriet der Greif allmählich in Vergessenheit, geraume Zeit tummelte er sic noch in Romanen und Gedichten herum, und schließlich entschwand er. Aber ist er deshal tot? Keineswegs! Mit den Science-Fiction-Monstren ferner Planeten feierte er Auferstehung Wiederkehr. Peter Armour: "Diese sind heute so lebendig, wie es der Greif eins war." Warum? Weil unsere Tageswirklichkeit genau so farbentrist vertröpfelt wie in ehemaligen Zeiten. Mirakulöse Wesen zaubern Glanz hinein.

 
     
     
 
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