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Hauptstadtrolle aufgewertet

 
     
 
Der Bund steht für seine Hauptstadt in der Pflicht. Diese Feststellung ist banal, in Deutschland aber keine Selbstverständlichkeit. Im Zuge der Föderalismusreform könnte sie jedoch Eingang ins Grundgesetz finden. „Hauptstadt der Bundesrepublik Deutschland
ist Berlin. Die Repräsentation des Gesamtstaates in der Hauptstadt ist Aufgabe des Bundes. Das Nähere wird durch ein Bundesgesetz geregelt.“ Das klingt vage und ist ein verwässerter Kompromiß zwischen Bund und Ländern, aber besser als nichts. Ursprünglich wollte der Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD) eine Auflistung konkreter Bundespflichten verankert wissen. Die hauptstadtbezogene Infrastruktur, die kulturelle Repräsentation sowie nationalgeschichtlich bedeutsame Einrichtungen sollten durch den Bund finanziert werden. Die Entscheidung der beiden Verhandlungsführer in der Föderalismuskommission, Edmund Stoiber und Franz Müntefering, den zweiten Satz des Kompromißentwurfs, der die Verantwortung für die Repräsentation dem Bund zuweist, ersatzlos zu streichen, hatte in Berlin Entsetzen ausgelöst. Der Bund wiederum versuchte lange Zeit, sich unter Hinweis auf die 400 Millionen Euro, mit denen er die Kultur in Berlin unterstützt, aus der Verantwortung zu stehlen. Das meiste davon aber fließt in die Sanierung der Museumsinsel. Der Bund finanziert auch das Jüdische Museum und die Internationalen Filmfestspiele, die als drittes großes Filmfestival neben Cannes und Venedig eine Visitenkarte Deutschlands darstellen. Hinzu kommt die Akademie der Künste Berlin-Brandenburg, in der die Akademien aus Berlin (West) und der DDR zusammengeschlossen sind. Gerade das DDR-Erbe kann nicht als exklusive Angelegenheit Berlins behandelt werden. Für die Polizeidienste überweist der Bund an Berlin 38,7 Millionen Euro. Nach Senatsangaben wären im Jahr jedoch rund 105 Millionen nötig. Das ist realistisch, denn jährlich gibt es hier 3.000 Demonstrationen, viele davon mit Teilnehmern aus ganz Deutschland. Wenn wütende Bauern mit ihren Traktoren die Berliner Innenstadt lahmlegen, ist das wirklich kein originär Berliner Ereignis, es verursacht aber enorme logistische Anstrengungen und Kosten. Gerade wird beklagt, daß ausländische Botschaften, etwa die afghanische, zu wenig geschützt seien, andererseits ist die Berliner Polizei an die Grenze ihrer Möglichkeiten gekommen. Zunächst hatte es den Anschein, als habe Klaus Wowereit während der Verhandlungen einen schweren taktischen Fehler begangen, als er den Vorschlag von Bundesinnenminister Otto Schily (SPD) unterstützte, die Rolle des Bundeskriminalamtes (BKA) zu stärken. Von Schily ist bekannt, daß er das BKA am liebsten ganz in Berlin konzentrieren will. Vor einem Jahr war sein Vorstoß, die BKA-Behörden in Wiesbaden (Hessen) und Meckenheim bei Bonn (Nord-rhein-Westfalen) nach Berlin zu holen, am Widerstand der Länder gescheitert. Wowereits Unterstützung für Schily brachte die anderen Ministerpräsidenten dementsprechend gegen ihn auf. Weder im Bund noch im Kreis der Ministerpräsidenten werde er ernst genommen, höhnte die Opposition, als die Entscheidung von Müntefering und Stoiber bekannt wurde. Drei Tage später stellten sich die Ministerpräsidenten indessen überraschend hinter die Hauptstadtklausel. Hintergrund soll eine Geheimabsprache zwischen Wowereit und der Bundesregierung sein. Diese soll ihm Unterstützung für die Klausel zugesichert haben. Im Gegenzug will sich Wowereit bei seinen Länderkollegen weiter für die Kom- petenzausweitung des BKA einsetzen. Warum lassen sich die Landesfürsten darauf ein? Nun, weil solche Kungeleien zwischen dem Bund und einzelnen Ländern allgemein üblich sind und dieses Instrument nicht beschädigt werden soll. Es bleibt ein prinzipielles Problem. Noch weiß Deutschland nicht, was für eine und wieviel Hauptstadt es haben will. Die Länder fürchten, daß ein gesteigerter Aufwand in Berlin ihre Bedeutung verringern würde. Ein Problem ist auch der Berliner Landesstatus. Andere Hauptstädte genießen einen Sonderstatus als Bundesdistrikt und sind so den Eifersüchteleien der Parteien und Provinzen untereinander enthoben – Berlin nicht. Und da es in Berlin eine strukturelle linke Mehrheit gibt, haben die Unionsländer erst recht kein Interesse daran, diese zu päppeln, damit sie ihnen anschließend im Bundesrat auf die Füße fällt. Die jetzige Entscheidung kann somit nur ein erster Schritt sein auf dem Weg zu einem vernünftigen Status für Berlin. 3.000 Demonstrationen im Jahr führen die Berliner Polizei an den Rand des Leistbaren – doch der Bund zahlt nur 38,7 Millionen: Anti-Hartz-Demo in der Hauptstadt vergangenen Sommer 
 
     
     
 
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