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          Mit     großer Beunruhigung reagiert man in Polen auf die Meldung der amerikanischen     "Washington Times", Rußland habe Atomwaffen ins Königsberger Gebiet verlegt.     Nach nicht genannten US-amerikanischen Geheimdienstquellen und Mitteilungen aus dem     US-Verteidigungsministerium soll es sich um Kurzstreckenraketen mit einer Reichweite von     etwa 70 Kilometern handeln.
       Sowohl der neue Königsberger Gouverneur Jegorow als auch das Verteidigungsministerium     in Moskau dementierten. Einen "Neujahrs-Scherz" nannte Jegorow den Bericht der     "Washington Times" der Nachrichtenagentur RIA-Nowosti gegenüber. Er     unterstrich, der Ostseeraum und darunter auch das Königsberger Gebiet seien     atomwaffenfreie Zone, daran halte man sich strikt.
       Der Sprecher der Baltischen Flotte in Königsberg Anatolij Lobskij nannte den Bericht     der französischen Nachrichtenagentur "Agence France Presse" (AFP) gegenüber     eine politische Verleumdung: "Entweder", so Lobskij, "ist das eine     politische Provokation oder inakkurater Journalismus   ". Insbesondere die USA scheint     man russischerseits für diese Informationspolitik im Auge zu haben.
       Sehr emotional reagierte währenddessen in einer Moskauer Pressekonferenz der russische     Präsident Wladimir Putin auf die Vermutungen: "Ein absoluter Quatsch", so sagte     der Präsident ostentativ in deutscher Sprache.
       Der Pressesprecher der russischen Botschaft in Berlin, Viktor Koslikin, stellte     gegenüber dem  kategorisch jedwede Stationierung von Atomwaffen in     Abrede. Diese Gerüchte seien "in manchen Redaktionsstuben hinter dem Ozean"     entstanden  und spielte so offenbar auf einen US-amerikanischen Ursprung der     Pressemeldungen an. Insbesondere in Polen habe man diese Falschinformationen begierig     aufgegriffen.
       Dennoch bleibt man in Polen mißtrauisch, der polnische Verteidigungsminister Bronislaw     Komorowski fordert Aufklärung, Regierungssprecher Krzysztof Luft verlangte eine     internationale Überprüfung der russischen Militäranlagen im Königsberger Bezirk und     hofft auf russische Zustimmung, jedenfalls nähme die polnische Regierung die     Angelegenheit durchaus ernst.
       Bedroht fühle man sich in Polen nicht, stellte Ex-Außenminister Bronislaw Geremek in     einem Radio-Interview fest, man sei Nato-Mitglied, aber es erweise sich wieder einmal,     daß die russische Politik und etwaige Aufrüstungspläne Sicherheitsfragen seien, die man     nicht aus dem Auge verlieren dürfe. Auch der derzeitige Außenminister Bartoszewski     möchte die Angelegenheit erst in Ruhe mit den Russen und den Nato-Partnern klären und     will die Ruhe bewahrt sehen. Bedroht würde man sich dann fühlen, wenn die Russen einer     internationalen Inspektion nicht zustimmten, pflichtet dem Verteidigungsminister Bronislaw     Komorowski bei, denn das Königsberger Gebiet sei ohnehin als "übermäßig"     aufgerüstet zu betrachten. Ein Vertreter des US-Außenministeriums hält die Forderung     Komorowskis allerdings für sinnlos, weil keinerlei Waffenkontrollvereinbarungen     existierten, die eine solche Kontrolle erlaubten.
       Besorgter als Warschau, ja aufgeschreckt reagierten die Menschen und Medien im Raum     Allenstein, denn in Masuren würden die Raketen im Ernstfall einschlagen. Womit zielen die     Russen da auf uns? (Czym celuja w nas Rosjanie?), fragt die Allensteiner Tageszeitung     "Gazeta Olsztynska" mit einem Riesenaufmacher auf der Titelseite.
       Die Berichterstattung gipfelte in einem Artikel über die angeblichen     Stationierungsorte der Raketen im Königsberger Gebiet. Beweise für diese Behauptungen     konnten bislang allerdings nirgendwo erbracht werden. Die Tendenz ist allerdings deutlich      die Bevölkerung im südlichen Ostdeutschland glaubt eher, daß es dort wirklich     Atomraketen gibt. Immer wieder wird dort auch daran erinnert, daß die Russen selbst für     den Fall der mittlerweile erfolgten Nato-Osterweiterung mit der Verlegung von Atomwaffen     ins Königsberger Gebiet gedroht hatten.
       In einem Interview sagte der Pressesprecher der polnischen Kriegsmarine Kapitän zur     See Janusz Walczak der "Gazeta Olsztynska", er sähe im Inhalt der     amerikanischen Berichte keine Sensation, es sei nur sonderbar, daß diese Informationen     gerade jetzt kämen, die Waffenbasen an der Ostsee seien ja alle bekannt. Auch     Regierungssprecher Krzysztof Luft bestätigt den polnischen Kenntnisstand.
       Demnach befinden sich in der Gegend von Insterburg 18 Abschußrampen für Lenkraketen     des Typs "Totschka" (Nato-Bezeichnung SS-21) mit einer Reichweite von je nach     Sprengkopfart 70 bis maximal 120 Kilometern. Diese Raketen können Gefechtsköpfe mit     einer Sprengkraft von zehn bis hundert Kilogramm TNT transportieren und werden von mobilen     Startrampen abgeschossen, die auf Transportern des Typs S/L-375 montiert sind. Ebenfalls     im Insterburger Raum sollen angeblich 64 Flugzeuge des Typs NBJ Su-24 stehen, die mit     taktischen Atomwaffen bestückt werden können und je nach Flugprofil einen Aktionsradius     von bis zu 850 Kilometern haben.
       Die Kurzstreckenraketen würden, sollten die amerikanischen Angaben nicht aus der Luft     gegriffen sein, also beispielsweise Goldap vernichten können, Lötzen, das Gebiet um die     großen Masurischen Seen oder Bartenstein. Natürlich könnten sie in entgegengesetzter     Richtung auch das Memelland zum Ziel haben. Die Litauer allerdings halten eine heimliche     Verlegung von Atomwaffen ins Königsberger Gebiet zumindest auf dem Landwege über von     Litauen kontrollierten Transitwegen für unwahrscheinlich, erklärte Linas Linkevicius,     der litauische Verteidigungsminister. Er äußerte in seiner Stellungnahme, man wisse     nicht, ob es wahr sei oder nicht, er sähe allerdings keinen Grund, warum die Russen die     Situation in die Eskalation treiben sollten. Im Hinblick auf die teilweise sehr     aufgeregten polnischen Reaktionen mahnte er zur Ruhe. Dieses Thema, so Linkevicius, solle     nicht zu exzessiv diskutiert werden, da sonst Nato-Befürworter in der Region     "verängstigt" werden könnten.
       Zum weiteren im Königsberger Gebiet konzentrierten Militärpotential gehören nach     polnischen Erkenntnissen 52 000 Soldaten und Marinesoldaten, 36 Abschußrampen für     S-300W-Raketen, 843 Panzerwagen, 924 Kampfpanzer und 50 Kampfhubschrauber. Szenarien, die     bei vielen ein Gefühl der Bedrohung aufkommen lassen. Eine Telefonaktion der "Gazeta     Olsztynska" machte das deutlich: Von hundert Befragten meinten immerhin 31, die Nato     sollte taktische Atomwaffen nach Ermland und Masuren verlegen.
       Eine weitere Frage taucht im Zuge der Berichte wieder auf: Was ist mit den aus     russischen Kriegsschiffen der Baltischen Flotte entfernten Atomwaffen geworden?     Amerikanische und polnische Geheimdienstler wollen seit gut zwei Jahren beobachtet haben,     daß solche Waffen im Hauptquartier der Flotte gelagert würden. Wladimir Sliwjak von der     Königsberger Umweltschutzorganisation "Ecodefense" bestätigt, daß, auch     nachdem 1992 die Sowjetunion den Abzug aller taktischen Atomwaffen aus Europa     bekanntgegeben hatte und die Erklärung der Ostsee zur atomwaffenfreien Zone erfolgt war,     in Königsberg Atomwaffen gelagert würden. So fordern insbesondere die Polen Aufklärung     darüber, ob die Baltische Flotte nur das Meer meint, wenn von atomwaffenfreier Zone die     Rede ist, oder auch die Häfen und Königsberg.
       Zwar müsse man offiziellen Dementis Glauben schenken, meint der Pressesprecher des     polnischen Verteidigungsministeriums Eugeniusz Mleczak, stimmte aber dem auch in Rußland     bekannten Sprichwort zu, wonach Vertrauen gut, Kontrolle aber besser sei. Nachdenklich     machen muß immerhin, daß es sich bei den US-amerikanischen Quellen, der "Washington     Times", im Gegensatz zur "Washington Post" oder der "New York     Times" nicht um ein ausgesprochenes Produkt des amerikanischen Spitzenjournalismus     handelt, sondern um ein Blatt, das dafür bekannt ist, auch schon einmal als Sprachrohr     für Geheimdienst und Pentagon zu dienen. Jenseits aller Aufgeregtheiten sollte die     politische Zukunft der Region so gestaltet werden, daß sich keine der beteiligten     Parteien bedroht fühlen muß. 
 
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