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Der Berlusconi von Thailand

 
     
 
Energiegeladen posierte er vor den Hotelruinen von Khao Lak, sprach den Überlebenden Trost zu und leitete höchstpersönlich die Aufräumarbeiten von Phuket ein. Vor laufender Kamera verbat er sich Almosen des Auslandes. Die Thais würden den Wiederaufbau der verwüsteten Ferieninseln aus eigener Kraft bald selbst schaffen. Niemand zweifelt daran. Kein Zweifel, Regierungschef Thaksin Shinawatra gehört zu den Tsunami-Gewinnern. 

Am 6. Februar sind in Thailand Parlamentswahlen. Die Opposition, die sichere Niederlage vor Augen, bittet um Verschiebung
. Davon will der siegesgewisse Premier nichts wissen.

Thaksin Shinawatra, seit vier Jahren Premierminister Thailands, ist oft mit Silvio Berlusconi verglichen worden. Beide beherrschen Medien- und Telekommunikationsunternehmen, führen ihre Länder mit unorthodoxen Methoden wie autoritäre Unternehmenschefs, ignorieren in- und ausländische Kritik und wenden sich beredsam und mit telegenem Aktionismus erfolgreich direkt an die eigenen Landsleute. Um seine Wiederwahl muß sich Thaksin Shinawatra keine Sorgen machen. Beim Gedanken an den Zustand der zersplitterten Opposition könne er nur lachen, verkündete er kürzlich. Allerdings ist ungewiß, ob er das deklarierte Wahlziel, 350 bis 400 Abgeordnete in der 500 Sitze umfassenden Kammer, auch tatsächlich für seine Thai-Rak-Thai-Partei ("Thais lieben Thais") wird erreichen können und ob er sich der Loyalität vieler regionaler Politbarone, die die erst 1998 von ihm gegründete Partei zwischenzeitlich eingesammelt und eingekauft hat, auch wirklich sicher sein kann.

In jedem Fall sind dem Premier schon jetzt zwei historische Meriten gewiß: In Thailand, wo es seit dem Sturz der absoluten Monarchie 1932 durch das Militär 17 Putsche, 53 Regierungen und 16 Verfassungen (die aktuelle gilt seit 1997) gegeben hat, und zivile Regierungen mit ihren zerstrittenen Koalitionen im Schnitt nur sechs Monate hielten, hält er seit Januar 2001 einen Stabilitäts- und Langlebigkeitsrekord. Politische Bosse unter den Parlamentariern kaufte er wie Kleinfirmen auf. Die Mandatsstärke seiner TRT wuchs seit den letzten Wahlen 2001 von 248 auf derzeit 299. Kaum sind die Bosse in seiner Partei, gräbt er ihrem Patronagewesen mit zentralen Auftragsvergaben in ihren Wahlkreisen das Wasser ab. Werden sie widerspenstig, macht er ihnen wegen alter Verbrechen und Korruptionsfälle den Prozeß. Bleiben sie bei der Opposition, droht ihnen außerhalb des Südens die fast sichere Wahlniederlage.

Das von den Wählern noch höher geschätzte Verdienst ist die Erholung Thailands von der durch die unsolide Wirtschafts- und Bankenpraxis ausgelösten Asienkrise von 1997, in der die Wirtschaftleistung Thailands um zehn Prozent gefallen war. Nach den ersten Banken- und Firmenzusammenbrüchen war das liquide Auslandskapital geflüchtet. Dies erzwang die Abwertung des Baht um mehr als 50 Prozent. Die meisten Thailändischen Unternehmen hatten sich jedoch zuvor billig in US-Dollar verschuldet und im Vertrauen auf feste Wechselkurse es verabsäumt, sich gegen das Währungsrisiko zu versichern. Nun kostete sie der Zins- und Tilgungsdienst das Doppelte, während ihre kreditfinanzierten Immobilien und Fabrikanlagen leerstanden. Thaksin Shinawatra hielt von dem harten Sanierungsprogramm des IWF mit seinen Bankenschließungen, Ausgabenkürzungen und der Export-orientierung nichts, mit dem seine Vorgängerregierung des Demokraten Chuan Leekpai unpopulär wurde und sich nur langsam aus der Krise arbeitete. Thaksin Shinawatra versprach seinen Wählern statt dessen ein nachfrageorientiertes Ausgabenprogramm voller bunter Wahlgeschenke: Ein Zinsmoratorium für die Bauern, Krankenhausbehandlungen für 50 Cents, ein Dorfentwicklungsprogramm mit 20.000 Euro für jeden Weiler, eine Million neue Billigwohnungen, ein Fahrrad für jedes Schulkind und als Neuauflage des Volksempfängers Billigkredite zum Kauf von Fernsehern und Computern für jede Familie. Dazu wurden aufwendige nationale Entwicklungsprojekte und Krediterleichterungen für Klein- sowie Mittelbetriebe sowie für Private (durch eine Inflation von Kreditkarten) angekündigt, um die hohe nationale Sparquote von 30 Prozent für die Wirtschaft sofort zu nutzen.

Zum Schrecken aller Wirtschaftsexperten und zum ungläubigen Staunen seiner Wähler setzte Thaksin Shinawatra seine Wahlversprechen auch alsbald in die Tat um. Der Wachstumsmotor kam mit zwei Prozent (2001), fünf Prozent (2002), 6,5 Prozent (2003) und sechs Prozent (2004) wieder in Gang und glich die Einbrüche der Krise mehr als aus. Ungenutzte Kapazitäten an Arbeitskräften, Immobilien und Fabrikanlagen wurden wieder genutzt. Die Auslandsschulden wurden von 109 Milliarden US-Dollar (1997) auf 65 Milliarden US-Dollar (2002) zurück-gefahren. Der Beistandskredit des IWF von 14,5 Milliarden US-Dollar wurde im September 2003 zwei Jahre vor Fälligkeit getilgt. Auch im Jahr 2005 soll das Wachstum noch bei 5,5 Prozent liegen. Dies trotz der Verluste der Geflügelbauern durch die Vogelgrippe, die hohen Ölpreise, den separatistischen Aufstand der Muslime in Pattani und der Tsunami-Verwüstungen auf Phuket. Denn wie in den anderen betroffenen Ländern hat die Tsunami nur einen recht begrenzten Küstenstreifen hart getroffen, in dem weniger als ein Prozent der Bevölkerung leben und wirtschafteten. Der Rest des Landes blieb intakt.

Thailands Staatshaushalt ist trotz der vielen Subventionsprogramme - einschließlich einer Dieselölverbilligung, die den Staat täglich sechs Millionen Euro kostet - mit einer Gesamtverschuldung, die 45 Prozent des Bruttoinlandsprodukt (BIP) entspricht, und einem aktuellen Haushaltsdefizit von zwei Prozent des BIP nach deutschen Maßstäben noch relativ wenig verschuldet. Wie der Rest der dynamischen Wachstumsregion Südostasiens kann das Land auch nach dem Tsunami-Unglück seine Auslandsschulden unschwer bedienen.

Zur Verbesserung der Staatsfinanzen und um dem organisierten Verbrechen, dessen Spitzen bis in die hohe Politik reichen, den Geldhahn abzudrehen, beschloß Thaksin Shinawatra die Prostitution und das in Thailand ebenso beliebte Glücksspiel steuerpflichtig zu legalisieren. Ihr gemeinsamer Beitrag zum BIP wird auf 40 Milliarden Euro (acht Prozent) jährlich geschätzt. Mit den Einnahmen von zehn Milliarden Euro pro Jahr will der Regierungschef während der nächsten fünf Jahre die Verkehrs-infrastruktur des notorisch infrastrukturschwachen Landes ausbauen. Als erstes soll eine S-Bahn in und um die vor dem Verkehrsinfarkt stehende Zehnmillionenmetropole Bangkok gebaut werden. Dann soll das Überlandnetz der maroden Eisenbahn zweispurig ausgebaut und elektrifiziert werden, gefolgt von einem Nord-Süd- und Ost-West-Autobahnnetz. Weitere Mammutprojekte sind der Ausbau des Flughafens von Chiang Mai im Norden, verbunden mit Dienstleistungsparks. Phuket hätte eigentlich zum Hightech-Zentrum ausgebaut werden sollen.

Es gibt auch Schattenseiten: Ein Feuerwerk populärer Ideen, die vordergründig plausibel erscheinen, oft aber wie Umschuldungen, Schuldenstundungen, Dieselsubventionen und Verbrauchssteigerungen auf Kreditkartenbasis die Kosten nur verschieben und künftiges Wachstum gefährden. Da wegen der niedrigen Kapazitätsauslastung in Thailand nur wenig produktive Investitionen geleistet werden, wird die Wettbewerbsfähigkeit Thailands auch nicht gestärkt. Die strukturellen Schwächen bleiben: das veraltete Ausbildungssystem, die niedrigen Absolventenzahlen, die geringe Produktivität der Landwirtschaft, Korruption und Willkür bei Verwaltungsentscheiden und Gerichtsurteilen, die politisierte Kreditpolitik der Banken, verschleppte Konkurse (vor allem wenn die Firmen Ministern gehören), die Engpässe im Verkehr und die massiven Probleme im Umweltschutz: die fehlende Abwasserklärung, ungenügende Müllentsorgung, auch von Giftmüll, und die fortgesetzten ungeregelten Rodungen. Auch verzichtet Thaksin Shinawatra im Gegensatz zur früheren Exportförderung darauf, billige Kredite gezielt an wettbewerbsstarke Branchen und Unternehmen mit guten Exporterfolgen wie Automobilwerke, Elektronikteile-, Textil- und Nahrungsmittelverarbeiter oder an verläßliche Devisenbringer, wie den Fremdenverkehr, zu vergeben. Laut dem Premier gehört die Zukunft der Exportfertigung ohnehin China. Statt dessen solle sich Thailand auf Spitzentechnologien konzentrieren. In einem Land, wo ein Drittel der Jugend die Hauptschule nicht abschließt, nur 14 Prozent eine Oberschule besuchen und nur 5 Prozent studieren, fehlen dazu aber schlicht - im Gegensatz zu Japan, Korea, Hongkong, Taiwan und Singapur - qualifizierte Arbeitskräfte. Da helfen visionäre Appelle und konsumfördernde Ausgabenprogramme des Technologiemilliardärs wenig, der schon Ende 2003 verkündete, Thailand wolle keine Entwicklungshilfe und Almosen der Ersten Welt mehr, da es bis 2020 die asiatischen Tigerländer überholt und zur entwickelten Welt aufgeschlossen haben würde.

 

Regierungschef und Multimillionär: 1988 kam für Thaksin mit dem Erwerb der ersten Mobiltelefonkonzession Thailands der Durchbruch. Mit dem Gewinn kaufte er sich in die Medienbranche ein. Inzwischen mischt er in zahlreichen Geschäftszweigen mit. Sein souveränes Auftreten bei der Flut und entschlossenes Handeln - das bisher vor allem aus dem Umgang mit Kriminellen bekannt war - ließ Korruptionsvorwürfe verstummen.
 
     
     
 
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