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Kulturklau in Krakau

 
     
 
Nicht nur in Moskau und St. Petersburg befindet sich deutsche Beutekunst, sondern auc im polnischen Krakau. Hier wie dort ist die Forderung nach ihrer Rückgabe eine Frage de Rechts und vor allem der kulturellen Identität Deutschlands.

Ab 1941 und verstärkt ab 1944 lagerte die Preußische Staatsbibliothek in Berli angesichts des alliierten Bombenterror
s ihre Bestände an sichere Stellen aus. Die wertvollen Bücher und Handschriften verteilten sich auf über 30 Orte. Viele gelangten in die schlesische Abtei Grüssau, wo sie nach Kriegsende von den Polen entdeckt und wie all dortigen Vermögenswerte zum "polnischen Staatseigentum" erklärt wurden.

Sorgfältig registriert kamen diese Bestände der Berliner Staatsbibliothek nun in die Jagiellonische Bibliothek zu Krakau. Sie beinhalten u. a. die Nachlässe ode Nachlaßteile Alexander von Humboldts, Hoffmanns von Fallersleben, Gustav Freytags un Felix Mendelssohn-Bartholdys sowie etwa 500 000 Auto-graphen, darunter Zeugnisse Goethes Schillers und Herders. Hinzu kommen Notenhandschriften Bachs, Beethovens, Mozarts un Schuberts. Bedeutend sind auch 1400 Bände mit abendländischen Handschriften aus de Mittelalter und der frühen Neuzeit.

Der Berliner Staatsbibliothek fehlen von ihren einst über drei Millionen Büchern noc immer 700 000. Einiges wurde im Krieg vernichtet, der Rest dürfte sich zum Großtei ebenfalls in Krakau befinden.

Von polnischer Seite wurde die Existenz der intern als "Berlinka" bezeichneten Kulturgüter 1980 offiziell bestätigt. Fast alles ist seitdem für die internationale Forschung freigegeben. Zwischen Bibliotheksfachleuten aus Berlin und Kraka konnten enge Kontakte aufgebaut werden. Doch sobald Vertreter der Staatsbibliothek ode deutsche Politiker eine etwaige Rückgabe ins Gespräch bringen, schlägt die Stimmun schlagartig um.

Dabei kann sich die deutsche Seite auf eine klare Rechtslage stützen, nämlich auf die im Nachbarschaftsvertrag von 1991 mit Polen im Grundsatz eingegangene Verpflichtung zu Rückerstattung der kriegsbedingt angeeigneten Kulturgüter – und zwa "beginnend mit Einzelfällen", wie es im Text heißt. In Warschau wird imme wieder betont, daß es sich – anders als bei Rußland – um gar kein "Beutekunst" handele, da die Kulturgüter nicht gezielt verschleppt worde seien. Am Tatbestand der Verletzung der Haager Konvention ändert das aber nichts.

Diese internationale Regelung legt fest, daß in Kriegen unabhängig von de Schuldfrage die Kulturschätze eines jeden Landes nicht zur Beute gemacht werden dürfen Eigentlich wäre die Angelegenheit ein klassischer Fall für den Internationale Gerichtshof in Den Haag, doch die Bonner Politiker sind zu einem solchen Schritt offenba nicht bereit.

Bis heute hat sich in der Frage der von Polen unter Beschlag genommenen deutsche Kulturgüter wenig bewegt. Der letzte Vorstoß kam aus Warschau. Im Dezember 1998 regt Präsident Alexander Kwasniewski in einem Interview mit dem Berline "Tagesspiegel" eine baldige Rückgabe an und nannte ausdrücklich den Fundus in der Jagiellonenbibliothek.

Allerdings müsse Deutschland den ersten Schritt tun, so Kwasniewski. Viele nach 193 im Zuge der deutschen Besatzung aus polnischen Museen und Archiven verschwundene Gemälde Akten etc. seien nicht mehr aufgetaucht. Diese Verluste gelte es aufzuklären, denn e könne nur eine Einigung geben, bei der sich keine Seite "bis aufs Hem ausgezogen" fühle.

Tatsächlich ist der Verbleib zahlreicher von den Nationalsozialisten aus polnische Sammlungen geraubter Exponate bis heute unbekannt. In den Wirren des Kriegsendes und de unmittelbaren Nachkriegszeit fielen sie deutschen Privatleuten oder amerikanische Soldaten in die Hände oder wurden in die UdSSR verschleppt. Es dürfte ein äußers schwieriges, zum Teil unmögliches Unterfangen sein, diese verschlungenen Weg nachzuvollziehen.

Bereits 1995 hat die polnische Seite dem Auswärtigen Amt eine Verlustliste mit 11 Objekten überreicht, die auf dem Territorium der Bundesrepublik vermutet werden. Vo Büro für polnisches Kulturerbe im Ausland stammt eine Zusammenstellung mit über 60 00 von Deutschen entwendeten Kunstschätzen, darunter u. a. die polnischen Kronjuwelen.

Festzuhalten bleibt, daß die Regierung in Warschau ebenso wie die in Moskau an eine Unrechtszustand festhält, der alleine durch eine politische Entscheidung zu korrigiere wäre, während von deutscher Seite in der Regel alles zurückerstattet worden ist, worau der Staat zugreifen konnte. Doch historisch bedingte Verkrampfungen verhindern de überfälligen Versöhnungsakt.

In Polen kommt hinzu, daß das Land im Zweiten Weltkrieg ungeheuer schmerzhaft kulturelle Verluste erlitten hat. Zwei Drittel des Bibliotheksbestandes wurden damal zerstört. Die Warschauer Nationalbibliothek besitzt von ihren einst 40 000 Handschrifte gerade noch 2000. Das Gefühl, diese Lücken durch die Schätze aus Deutschland füllen zu müssen, ist weit verbreitet.

Gäbe es genug Möglichkeiten für einen Tausch geraubter Kulturgüter, so ließe sic das Problem leicht beseitigen. Doch den mit genauen Ortsangaben versehenen deutsche Eigentumsansprüchen stehen eben nur vage und kaum zu realisierende polnische Forderunge gegenüber. Aktionen wie der Dokumentenhandel vom Juni 1997 werden selten bleiben. Damal waren dem Bundesarchiv in Koblenz 770 Bände mit Akten des Reichssicherheitshauptamte übergeben worden; im Gegenzug erhielt Polen 367 Aktenbände aus de "Generalgouvernement".

Ohne Zweifel können großzügige Regelungen für die Verleihung deutsche Kunstschätze an polnische Museen sowie finanzielle Hilfen die Rückgabebereitschaf erhöhen. Andererseits sollte den Warschauer Politikern deutlich gemacht werden, daß ih Staat durch die Aneignung der deutschen Ostgebiete bereits derart viel an deutsche Kulturgütern bekommen hat, daß ein materieller Ausgleich gegeben ist. Schließlic könnte eine deutsche Regierung auch auf den Gedanken kommen, die Übergabe von Bestände alter ostdeutscher oder schlesischer Museen bzw. Bibliotheken zu fordern. Juristisc wäre ein solches Unterfangen zumindest nicht völlig aussichtslos.

Ohne politischen und wirtschaftlichen Druck der deutschen Seite wird sich de Beutekunst-Streit sicherlich nicht im Sinne einer völkerrechtlich einwandfreien Lösun bereinigen lassen. Wie groß die polnischen Widerstände sind, bekam zuletzt Kwasniewsk selbst zu spüren. Die Reaktionen auf seine Rückgabe-Initiative waren so heftig, daß de Präsident Anfang Januar die Gemüter beschwichtigen mußte: Es gehe nicht darum, s erklärte er im Rundfunk, "die Kunstwerke physisch von einem Ort zum anderen zu bringen". Statt dessen solle sich eine neue Stiftung um sie kümmern und Kopie anfertigen, um diese Kultur für alle zugänglich zu machen.

Der mangelnde Durchsetzungswille der deutschen Politiker spricht dafür, daß die Entwicklung in diese Richtung gehen könnte. Andererseits halten sich sogar die zuständigen polnischen Stellen noch alle Optionen offen. Dies zeigt sich u. a. darin daß die Berliner Bestände in Krakau nach wie vor anhand der alten Signaturen sortier und getrennt von den Eigenbeständen aufbewahrt werden.

Die Berliner Staatsbibliothek weist immer wieder auf die Zerrissenheit ihrer 194 hastig ausgelagerten Exponate hin, die eine dauerhaft getrennte Aufbewahrung unsinni erscheinen läßt. In Krakau befinden sich so gut wie keine vollständige Bestandsgruppen. So lagern von der Sammlung deutscher Flugschriften aus de Reformationszeit 1789 Dokumente an der Spree und etwa 800 an der Weichsel. Ähnliches gil für die Flugschriften aus dem Dreißigjährigen Krieg, die für die Zeit bis 1628 in de deutschen Hauptstadt und für die Spanne von 1628 bis 1648 in der polnische Krönungsstadt zu finden sind.

Eine spannende Frage ist, ob Polen die Entscheidung der russischen Verfassungsrichte vom 20. Juli nutzen kann. Gemäß diesem Urteil bekommen alle im Zweiten Weltkrieg mi Deutschland verfeindeten Staaten das Recht zugesprochen, ihre in die Sowjetunio verschleppten Kulturzeugnisse zurückzufordern. Erhalten die Polen tatsächlic nennenwerte Bestände wieder, so würden damit zugleich die Aussichten auf eine Heimkeh der polnischen Beutekunst nach Deutschland wachsen
 
     
     
 
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