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Listige Rückkehr

 
     
 
Mit einer auffällig großen Kommentarflut hat das französische staatliche Fernsehen "Antenne 2" über das Treffen zwischen Daniel Cohn-Bendit, dem sattsam bekannten grünen Politiker, der seine Partei bei der Europawahl zum Siege führen möchte, und dem Chef der KPF Norbert Hue berichtet. Allerdings schienen sowohl "Le Monde" als auch "L’Humanité", die die traditionelle französische Linke vertreten, vorsichtiger. Die mehrseitige Linke, die "Gauche plurielle", wie man in Frankreich sagt, ist unlängst in Schwierigkeiten geraten, da der Elan und der Drang von Regierungschef Jospin zur Durchsetzung zweifelhafter Reformen auf den offen erklärten Willen Jacques Chirac
s treffen, der im Jahre 2002 wiedergewählt werden möchte. Cohn-Bendit, der sich in einem ausführlichen Interview an das linksliberale Wochenmagazin "L’Evénement du Jeudi" geäußert hat, glaubt in der Tat, die Franzosen werden 2002 schlicht und einfach die Wahl zwischen Chirac und Jospin haben und setzt alles auf eine Wahl Jospins zum Präsidenten der Republik.

Für die politischen Generalstäbler ist 2002 noch weit entfernt, so daß es sich für sie eher darum handelt, bei der Europawahl gut abzuschneiden, einer Wahl, in der nun Cohn-Bendit als Friedensstörer auftaucht. Laut einer ausführlichen Umfrage, die "L’Evénement du Jeudi" veröffentlicht, würde derzeit die Liste der französischen Grünen unter Daniel Cohn-Bendit (Jahrgang 1945) diejenige der Kommunisten übertrumpfen, und zwar mit neun Prozent gegenüber bloßen 8,5 für die KPF. Die Konservativen erlangten danach 30 Prozent, die Sozialisten 24 Prozent und die "Front National" 16 Prozent. Cohn-Bendit erklärt dem Magazin, falls er die Front National überholen würde, würde er diesen Sieg als "ebenso genießbar" wie seine Teilnahme an dem studentischen Aufstand von 1968 betrachten. Damals war der "Studentenführer" unter noch immer ungeklärten Umständen an die Macht gekommen und hatte insbesondere durch die Streikaufrufe im französischen Automobilwerk Renault Paris zum Nachgeben gezwungen, weil der Staatsbetrieb für die hohen Verdienstausfälle aufkommen mußte. 1968 war übrigens auch das Jahr, in dem de Gaulle in Kanada mit Nachdruck seinen Anspruch auf Zusammengehörigkeit mit der französischen Bevölkerung dieses nordamerikanischen Staates formuliert hatte.

Nach den 68er Unruhen wurde Cohn-Bendit aus Frankreich ausgewiesen und landete prompt in Deutschland. Und seitdem träumt er davon, in sein Heimatland durch die kleine Hintertür zurückkehren zu können. Sein offenes Ziel: Außenminister Frankreichs zu werden, was ihn in offenen Wettbewerb mit der derzeitigen Justizministerin Elisabeth Guigou und vielleicht auch mit Jack Lang, einem der Vorsitzenden des Auswärtigen Ausschusses der Nationalversammlung, bringen würde. Um von einer etwaigen roten Welle nach 2002 profitieren zu können, brauchte der grüne Politiker die Unterstützung der Kommunisten, so daß sein demonstrativ angesetztes Essen mit Robert Hue in einem am Nordbahnhof liegenden Restaurant (in Anwesenheit von vierzig Fotografen) gegenwärtig als Auftakt und Zukunftsmusik erscheint.

Wenn er Erfolg bei der Europawahl im Jahre 1999 haben will, muß Cohn-Bendit Wähler der traditionellen Linken Frankreichs auf seiner Liste sammeln. Im Gegensatz zur KPF meldet er sich nun als "ein europäischer Föderalist". Unter solchen Umständen ist es nicht erstaunlich, daß 57 v.H. der Befragten laut "Evénement du Jeudi" ihn als einen Provokateur und 63 v. H. der KPF-Sympathisanten als in das französische politische Leben gewaltsam katapultiert betrachten. Immerhin glauben 85 v. H. der Sympathisanten der Grünen , "Dany" könne die europäische Debatte vorantreiben.

Auffälligerweise übersieht der grüne Politiker mit seinem Versuch, eine neue Linke auf die Beine zu stellen, den gewieft ausgebauten Machtapparat der kommunistischen Partei. 1968 war Georges Marchais an der Spitze der KPF und verweigerte den aufrührerischen Studenten seine Unterstützung. Seitdem sind die Grünen, die ansonsten in verschiedene Lager gespalten sind, nur noch eine bloße Nebenerscheinung des politischen Lebens Frankreichs. Die Anwesenheit der grünen Politikerin Dominique Voynet als Umweltministerin in der Regierung Jospin sieht aber eher als ein wahltaktisches Manöver der Sozialisten denn als ein Durchbruch der Grünen aus. Zudem sind die Grünen Frankreichs vom Druck der französischen Trotzkisten bedroht, die unter der Leitung der im nationalen Sechseck sehr beliebten Arlette Laguiller einen Einzug in das Straßburger Parlament erhoffen können.

Dreißig Jahre nach 1968 kommt Daniel Cohn-Bendit nach Frankreich zurück, Ob er tatsächlich "die grüne Bombe sein könnte", wie es im "L’Evénement du Jeudi" heißt, bleibt so noch dahingestellt.

 

 
     
     
 
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