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Millennium: Jahresende oder Zeitenwende?

 
     
 
Gigantisch soll es zelebriert werden, dieses Millennium, das bereits zum "Wort des Jahres 1999" gewählt wurde. Wer das nötige Kleingeld besitzt, kann die Jahreswende auf den Fidschi-Inseln verbringen, der Ort, an dem es zuerst heißt: Prosit Neujahr. Die Dekadenz kennt dabei keine Grenzen, schnell noch in den Flieger gesetzt und über die Zeitzone geflogen, schon darf ein zweites Mal angestoßen werden. Den Normalbürger trifft es da schon härter, er muß sich zur zentralen Millenniumsfeier am Brandenburger Tor
mit Hunderttausenden Leidensgefährten die Füße plattstehen. Wer sich dem Spektakel zu entziehen versucht, bleibt Außenseiter. Mitleid erregen höchstens Taxifahrer, Feuerwehrmänner oder Krankenschwestern. Schenkt man Presse und Bildmedien Glauben, ist ganz Deutschland von diesem Fieber angesteckt. Aber warum sollte das vergangene Jahrtausend um aller Welt nur 999 Jahre andauern? Offenbar liegt hier ein Irrtum vor.

Die Fehleinschätzung des konkreten Zeitpunkts für den Jahrtausendwechsel liegt wahrscheinlich in der falschen Interpretation unseres Kalendariums begründet. Dies richtigstellend muß man davon ausgehen, daß ein Jahr Null nicht existiert; dem Jahr 1 v. Chr. schließt sich das Jahr 1 n. Chr. an. Der Kalender beginnt somit nicht im Jahre Null, wie viele vermuten, sondern erst im Jahre Eins. Wenn die Null also erst gar nicht mitgezählt wird, sind dem auslaufenden Jahrtausend die vollen tausend Jahre wirklich zu gönnen. Eine Zehnerreihe beispielsweise geht ebenfalls nicht von null bis neun, sie geht von eins bis zehn, folglich auch von einundneunzig bis einhundert. Der korrekte Zeitpunkt für das Millennium ist folglich der 31. Dezember 2000; soweit zur nüchternen mathematischen Logik. Mit dem Erkenntnisgewinn könnte man die Böller eigentlich getrost wieder einpacken. Verständlicherweise aber ist in den Augen des oberflächlichen Betrachters die Zäsur zwischen 1999 und 2000 allemal größer als zwischen 2000 und 2001.

Tröstlich bleibt, daß der Täuschung, der man heutzutage unterliegt, bereits schon ganz andere aufsaßen. So beging Papst Bonifaz VIII. den gleichen Fauxpas, als er zur Jahreswende 1299 das 14. Jahrhundert bereits vorzeitig einläutete – und das bei dem Unfehlbarkeitsanspruch des Papsttums. Allerdings weiß man auch seit Karel Wojtila, alias Papst Johannes Paul XII., daß Pommern, Schlesien und Ostdeutschland von jeher urpolnisches Gebiet waren. Den Päpsten gleich erging es dem zweiten Schwert Gottes, dem Deutschen Kaiser in irdener Gestalt Wilhelm der Zweite. Der Fehler, den er machte, dürfte bekannt sein, es war derselbe. Das neue Jahrhundert sollte für das Deutsche Reich einen Platz an der Sonne vorsehen, wenn das 1899 kein Grund zur Vorfreude war. Feiern ließ der Kaiser gern. Bekanntlich kam es dann aber doch ein wenig anders.

Nimmt man es einmal ganz genau, würden die Zahlenspiele, ob denn nun 2000 oder 2001 das Millennium stattfindet, überhaupt keine Rolle mehr spielen. Es würde sich in jedem Fall um verspätete oder verfrühte Aufwartungen an den neuen Zeitabschnitt handeln. Im Judentum beispielsweise befindet man sich mit dem Zählen bereits im siebenten Jahrtausend. In den islamischen Ländern hingegen beginnt die Zeitrechnung erst mit dem Propheten Mohammed, also runde 600 Jahre später als im Christentum. Der Religionsstifter Mohammed erklärte damals seine Lehren zur wiederhergestellten Urreligion Abrahams, welche von Christen und Juden verfälscht worden seien. Wer "fälscht", könnte also auch am Kalender gedreht haben, ein Schelm, wer Böses dabei denkt. Selbst im hiesigen Abendland war man sich lange Zeit nicht darüber einig, wie man nun eigentlich die Zeit einteilen sollte. Anfangs gab es den Julianischen Kalender, benannt nach Julius Caesar. Selbstbewußt, wie man in Rom war, zählte man die Jahre nach Gründung der ewigen Stadt, die für das Jahr 753 v. u. Z. angenommen werden muß. Der Julianische Kalender war allerdings in seiner Berechnung etwas zu lang, der Frühlingspunkt rückte dadurch immer weiter auf frühere Termine. Im 16. Jahrhundert betrug der Unterschied dann ungefähr 10 Tage, das gab letztendlich den Ausschlag zur Umstellung auf den jetzigen Gregorianischen Kalender. Im Jahr 1582 von Papst Gregor XII. eingeführt, wurde das mittlere Gregorianische Jahr auf 365, 2425 Tage festgelegt. Erst nach 3000 Jahren ergibt sich damit eine unwesentliche Zeitverschiebung von nur einem Tag. Das "Wie" des Zählens ist seither im Abendland unstrittig, aber nicht das "Ab wann".

Mittlerweile ist es längst offenkundig: Jesus wurde erwiesenermaßen bereits "vor Christus" geboren, wobei die Geburt wohl auf das Jahre fünf oder sechs fallen muß. Den Fehler verursachte der Mönch Dionysis Exiguus, dessen Berechnungen um 607 von der katholischen Kirche offiziell angenommen wurden. Der fromme Mann wußte, daß die Geburt von Jesus Christus in der Regierungszeit des Königs Herodes lag, was er jedoch nicht wußte: Herodes war bereits im Jahre 4 v. u. Z. gestorben. Folglich hat die Jahrtausendwende schon Mitte der Neunziger stattgefunden – und keiner hat es gemerkt. Es hat auch niemand geklatscht, und keine Neujahrsansprache des Bundeskanzlers mit salbigen Worten markierte das beginnende 21. Jahrhundert.

Mit dem Millenniumfieber greift jedoch noch ein weiteres Bewußtsein um sich. Denn es kursiert neben den allerorts verkündeten Feierlichkeiten gleichzeitig die Furcht vor einem bevorstehenden Weltuntergang. Anscheinend weisen die drei Nullen in der Zahl 2000 für viele erschreckend darauf hin. Glaubte der Mensch des Mittelalters vor tausend Jahren noch beim Übergang in das neue Säkulum, der Zeitpunkt sei gekommen, wo einem der "Himmel auf den Kopf fällt", so denkt der moderen Europäer eher an eine Invasion von Außerirdischen oder dergleichen. Auch stehen Kometen oder Meteoriten in dem dringenden Verdacht, pünktlich zum Millennium das sündige Treiben auf der Erde ein für allemal zu beenden.

Im Mittelalter war es die Katholische Kirche, die derartige Gedanken verbreitete. Schließlich liegt der eschatologische Glaube an ein Ende aller Tage, ein Jüngstes Gericht und das Tausendjährige Friedensreich auf Erden unter der Herrschaft Jesus Christi – wie in der Johannesoffenbarung mit gewaltigen apokalyptischen Bildern proklamiert – dem Christentum unweigerlich zugrunde. Immer wieder in der abendländischen Geschichte ist dieser biblische Endzeitglauben aufgegriffen und politisch mißbraucht worden.

In der heutigen aufgeklärten Welt, denn diese soll sie spätestens seit der Französischen Revolution bekanntlich sein, wird das Mittelalter allenfalls belächelt. Man kanzelt es als eine Zeit der Unkultur ab und geißelt es als generell finster und grausam. Heute geht es einem anscheinend viel besser, man hat die Ketten der Zwangsherrschaft zerbrochen und dünkt sich nun als freies Individuum. Man hat ein imaginäres jüngstes Gericht nicht mehr zu fürchten, fliegt ins All und ist auch ansonsten völlig Herr seiner selbst. Dennoch gruselt man sich hin und wieder gern, wenn auch nur so zum Zeitvertreib. Unterstützung in dieser Geisteshaltung bekommt der Mensch des zwanzigsten Jahrhunderts von den Botschaftern Hollywoods und deren geistigen Kindern. Freundlicherweise erklären sich jene bereit, einigen das Denken abzunehmen. Da die Furcht vor dem jüngsten Tag nicht mehr aktuell erscheint, beschwört man dem Vokabular der Zeit angemessen "Armageddon" oder "Deep Impact" als moderne Geschichte vom Weltuntergang. Man entdeckt Nostradamus wieder, der alles schon einmal vor 400 Jahren vorausgesagt hatte. Ein deutscher Privatsender widmet sich besonders eifrig und einfallsreich den Themen "Millennium" und "Armageddon". Ob nun Seifenoper oder der "Große TV-Roman", zu allem und jedem gibt es die sogenannten "Millenniumfolgen". Das Heraufbeschwören der Endzeitstimmung läßt die Einschaltquoten wunderbar steigen. Erfolgreich ist eben, was sich verkaufen läßt. Wie die Lieder mit den originellen Texten zum Thema 2000, die derzeit die Hitparaden erobern. Der Tag X steht demzufolge kurz bevor, das leichte Gemüt ist zu Tränen gerührt. Ein "Prosit Neujahr" dem zivilisatorischen Fortschritt inmitten unserer aufgeklärten Zeit.

Mit allen anderen Gedanken sollte man sich am Silvesterabend nicht die gute Endzeitstimmung verderben lassen. Die Millenniumfeiern kommen ja ohnehin zu früh. Oder doch schon zu spät? Was bleibt, ist ein fader Beigeschmack, die Parole heißt: Zeitenwende.

 
     
     
 
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