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Nach 65 Jahren aus der Wohnung

 
     
 
Die Verkaufsmanagerin hört die Frage anscheinend nicht zum ersten Mal und lächelt sie routiniert weg: „Nein, keine amerikanischen Heuschrecken!“ Die Inhaberfirma befinde sich in Österreich. Dann redet sie über Erbpacht und Monatszins, über Raumhöhen und den variablen Zuschnitt der Wohnungen, preist die neuen Balkone, die modernen Fenster, die gute Bausubstanz an. Selbstverständlich würden nur freigezogene Wohnungen zum Verkauf angeboten. Ob man die Mieter zum Auszug genötigt habe? Nein, niemand werde verdrängt, es handele sich um normale Umzüge. Die Wohnungen seien danach einfach nicht mehr vermietet, sondern zum Verkauf vorbereitet worden. Aber in der Anlage wohnten doch vor allem Kleinverdiener, wollten die wirklich weg? Und war nicht irgendwo sogar von einem sozialen Brennpunkt die Rede? – Nun, die Sozialstruktur verbessere sich mit jedem Wohnungsverkauf. Vor uns habe ein Ehepaar auf der Kundencouch gesessen, das im nächsten Jahr seine Lebensversicherung ausgezahlt bekäme und nach einer Sicherheit für den Ruhestand Ausschau halte. Die schicke Wohnung kostet nur 1000 Euro pro Quadratmeter. „Das ist doch ein Grund zuzugreifen, oder?“

Wir befinden uns in der Wohnsiedlung „Grazer Gärten“ in Berlin-Schöneberg. Es handelt sich um langgestreckte, vierstöckige Häuser, errichtet in der soliden Bauweise von 1938. Die Häuser bilden Karrees um ruhige Innenhöfe. Bis zur S-Bahn-Station Friedenau sind es zwölf Minuten, für uns ein bißchen weit weg vom Schuß, wie wir schließlich finden. Außerdem hat uns der giftige Blick irritiert, mit dem eine Anwohner
in unsere Frage nach der Adresse der Musterwohnung quittierte. Ihre Reaktion hat Gründe: Die Wohnanlage gehörte bis vor kurzem zur landeseigenen „Gemeinnützigen Siedlungs- und Wohnungsbaugesellschaft“, abgekürzt GSW, was auch werbewirksam mit „Gut und sicher wohnen“ übersetzt wurde. Und das für wenig Geld. Doch diese goldenen Mieterzeiten sind zu Ende. 2004 gingen die 66000 Wohnungen der GSW für 2,1 Milliarden Euro an ein Konsortium der amerikanischen Immobilienfonds Ceberus und Whitehall, einer Unterabteilung von Goldman Sachs. Sie und die anderen – vor allem angelsächsischen – Fonds mit Namen wie Annigton, Corpus oder Fortress können sich in Berlin auf weitere Angebote freuen. Als nächstes stehen die 48000 Wohnungen der Städtischen Wohnungsbaugesellschaft (WoBa) und die 5100 Wohnungen der Berliner Verkehrsbetriebe auf der Verkaufsliste.

Die Fonds wollen sich nicht langfristig engagieren, sondern nach fünf bis sieben Jahren die Wohnungen mit Gewinn abstoßen. Soweit sie gewinnträchtig erscheinen, werden sie saniert, modernisiert, teuer weitervermietet oder noch lieber verkauft. Gewiß, es gibt positive Beispiele. Im Plattenbaubezirk Hellersdorf nehmen die amerikanischen „Lone-Star-Funds“ durchaus Rücksicht auf die Interessen der angestammten Mieter. In den besseren Wohngegenden sind diese jedoch nachrangig. Aus Zehlendorf wird von 80jährigen Witwen berichtet, die seit über 65 Jahren in den Wohnungen leben, die sie von ihren Eltern übernommen haben. Die neuen Besitzer setzen alles daran, sie von der Notwendigkeit neuer Sanitäranlagen und moderner Leitungs- und Heizungssystemen zu überzeugen. Dafür sind umfangreiche Umbauten und Wanddurchbrüche nötig. Während der Bauphase sollen sie in Ersatzwohnungen ziehen, andernfalls müssen sie mit Ersatzklos auf dem Hof Vorlieb nehmen. Am Ende wird auf jeden Fall eine saftige Mieterhöhung stehen. Unausgesprochen hoffen die Besitzer, daß sich die alten Damen zum endgültigen Auszug entschließen, damit die modernisierten Wohnungen anschließend teuer verkauft werden können.

So stehen der sozialpolitisch erwünschten Bildung von Wohneigentum die Zerstörung gewachsener Wohnstrukturen und die Verdrängung sozial schwacher Gruppen gegenüber. Diese Entwicklung wird bundesweit zunehmen, denn Finanzminister Peer Steinbrück (SPD) will den deutschen Wohnungsmarkt noch weiter für die sogenannten REIT-Firmen (Real Estate Investment Trusts) gegen den Protest des Mieterbundes öffnen. Der Ausverkauf des öffentlichen Immobilienbesitzes spült zunächst Geld in die leeren Kassen, doch gleichzeitig verlieren die Kommunen ein wichtiges soziales Steuerungsinstrument. Bereits jetzt konstatieren Stadtsoziologen die zunehmende soziale und ethnische Ghettoisierung. Eines Tages muß der eingetretene Schaden dann wieder mit Milliardenaufwand (aus öffentlichen Mitteln) bekämpft werden.

Berlins Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD) beim Plausch mit einer Seniorin im Plattenbaukiez Berlin-Hellersdorf. Foto: pa

"Soziale Gerechtigkeit" auf Rot-Rot: Bewohner werden vergrault, Finanzinvestoren machen das schnelle Geld
 
     
     
 
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