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Nach der Wahl: Ende der Beliebigkeit

 
     
 
Am Abend des Wahltages ging Gerhard Schröder erst einmal auf Tauchstation; es dauerte ungewöhnlich lange, bis der in Berlin mühsam regierende Ober-Genosse sich mit seinen Mit-Verlierern auf eine Sprachregelung verständigt hatte. Zerknirscht sprach der Kanzler von "einer der bittersten Niederlagen in meinem Leben", um dann aber wieder in die Offensive zu gehen. Auf die Frage, ob er an Rücktritt denke, antwortete er knapp und bündig: "Ich denke nicht daran, und andere denken auch nicht daran." Daß Schröder selber nicht an Rücktritt denkt, überrascht nicht. Dafür ist sein Machtbewußtsein viel zu stark ausgeprägt, wie auch der Wahlkampfstil vor dem 22. September 2002 und jetzt vor dem 2. Februar bestätigte - alleiniges Ziel war der Machterhalt
. Aber wen meint Schröder mit "anderen"? Die Wähler in Hessen und Niedersachsen wohl nicht; die Wahlergebnisse lassen jedenfalls eher den Schluß zu, daß viele sehr wohl daran denken, den vollmundigen Staatsschauspieler lieber heute als morgen aus dem Kanzleramt zu jagen.

Wer sich nach solch schallenden Ohrfeigen auch noch hinstellt und allen Ernstes verkündet, eigentlich mache man doch alles richtig, nur hätten die Wähler das leider nicht richtig verstanden, der muß schon über ein sehr robustes Selbstbewußtsein verfügen - oder vom "wirklichen Leben" schon sehr weit abgehoben haben. Denn ganz so dumm, wie viele Politiker (übrigens nicht nur einer Partei) glauben, sind die Wähler wohl doch nicht. Und sie haben, wie sich jetzt zeigte, ein recht gutes Gedächtnis. Gemäß dem Motto "Man lügt nur einmal" haben sie sich die Mogelpackung aus Kriegsangst, Gerechtigkeitsgeschwafel und leeren Reform-Versprechungen nicht ein zweites Mal aufschwätzen lassen. Viel Verpackung fast ohne Inhalt - diese Verkaufsstrategie des Medienkanzlers ging nicht mehr auf.

Dies sollte auch für die strahlenden Sieger ein ernstes Warnsignal sein. Vor allem Christian Wulff ist hier gefordert: Er muß jetzt das leisten, was Roland Koch ihm noch voraus hat, nämlich eine überzeugende Landespolitik zum Wohle der Bürger in Niedersachsen, und darüber hinaus muß er, gemeinsam mit Koch, dafür sorgen, daß in Berlin nicht nur Fehler im Detail korrigiert, sondern die Weichen grundsätzlich neu gestellt werden. Mit einem halblinken Schmusekurs, einer informellen Großen Koalition durch die Hintertür, geht das nicht. Der Wählerauftrag vom 2. Februar ist auch als Aufforderung zu verstehen, endlich wieder klares Profil zu zeigen. Zum Beispiel in der Frage der sowjetischen Enteignungen in der SBZ 1945/49: Hier hat Wulff Gelegenheit, seinen erfreulich klaren Worten zugunsten der Opfer nun Taten folgen zu lassen.

In diesem Zusammenhang sind auch die Äußerungen Oskar Lafontaines zu bewerten. Man muß seine Grundsatz-Positionen nicht unbedingt teilen, kann ihm aber zumindest in einem entscheidenden Punkt zustimmen: Das Debakel der Schröder-Partei hängt auch damit zusammen, daß niemand mehr so recht weiß, wofür eigentlich das "S" im Parteinamen steht. Beliebigkeit statt Programm, nach allen Seiten offen, mit wildentschlossenem Sowohl-als-Auch heute dafür und morgen dagegen - das ist genauso Wählerbetrug wie die vielen konkreten Versprechungen, die nach der Septemberwahl nicht eingehalten wurden.

Die Tatsache, daß die Wähler zu Hunderttausenden innerhalb weniger Monate die parteipolitischen Fronten wechselten, bekräftigt auf dramatische Weise den unseligen Trend zur Beliebigkeit und Verwechselbarkeit unserer Volksparteien. Das sollte auch die Union nicht im Siegestaumel verdrängen. Insbesondere die CDU hat es, analog zur SPD, über lange Zeit ebenfalls versäumt, klarzumachen, wofür das "C" in ihrem Namen steht. Christian Wulff und Roland Koch werden sich langfristig auch daran messen lassen müssen, ob es ihnen gelingt, aus ihren glänzenden Wahlsiegen die Kraft zu schöpfen, hier endlich wieder für klare Verhältnisse zu sorgen.
 
     
     
 
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