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Nachdenken in der Not

 
     
 
Man trifft hierzulande immer wieder (und leider auch immer öfter) auf Zeitgenossen, die „ostdeutsche Kulturarbeit“ in Anlehnung an das medial durchgesetzte Verständnis von „Ostdeutschland“ wie selbstverständlich auf die neuen Länder beziehen - etwa auf die grandiosen Parkfestspiele in Potsdam/Sanssouci.

Es gilt, wie bei anderen vertriebenenpolitischen Themen auch, dichte Nebel der Unkenntnis aufzulösen: „Ostdeutsche Kulturarbeit“ beinhaltet begrifflich ausschließlich die Pflege und Erhaltung des kulturellen Erbes der ehemaligen ostdeutschen Provinzen sowie der deutschen Siedlungsgebiete im Südosten und Osten Europas.

Eben dieser Aufgabe fühlt sich seit den 1970er Jahren an führender Stelle die „Stiftung Ostdeutscher Kulturrat
“ verpflichtet. Wissenschaftler und Experten vieler Disziplinen arbeiten dort ehrenamtlich mit. Längst nicht alle von ihnen gehören der Erlebnisgeneration an, viele stammen aus Mittel- und Westdeutschland oder wurden erst nach 1945 geboren. Der Ostdeutsche Kulturrat (OKR) zählt auch nicht zum Bund der Vertriebenen, sondern speist sich gewissermaßen aus eigener Wurzel. Das wird - gerade von Kritikern - häufig übersehen.

Zu den einer interessierten Öffentlichkeit bekanntesten Projekten des OKR gehört die Wanderausstellung „Große Deutsche aus dem Osten“. Sie hat sich als ein „Renner“ erwiesen und wurde bisher in 23 bundesdeutschen Städten sowie in Ungarn, im Baltikum und in Königsberg gezeigt. Für das kommende Jahr sind die masurische Hauptstadt Allenstein und weitere Kommunen in der Republik Polen im Gespräch.

Darüber hinaus muß die Studienbuchreihe „Vertreibungsgebiete und vertriebene Deutsche“ erwähnt werden, ferner die regelmäßig erscheinende „Kulturpolitische Korrespondenz“ (KK), die sich zum wichtigsten Forum für ostdeutsche, aber auch polnische und tschechische Literatur vor und nach 1945 entwickelt hat, sowie regelmäßige Konferenzen über bedeutende Persönlichkeiten und historisch wichtige Plätze im Osten Deutschlands.

Ein Beispiel für diese in der Regel vor Ort stattfindenden Veranstaltungen ist das jüngste Symposion über den Maler Lovis Corinth in Königsberg und Tapiau.

Am 26./27. Oktober tagten nun die Gremien der Stiftung Ostdeutscher Kulturrat an ihrem Bonner Sitz. Zentraler Gesprächsgegenstand war die Finanzierung der künftigen Arbeit. Schließlich hatte der neue Kurs der rot-grünen Bundesregierung gegenüber Einrichtungen der ostdeutschen Kulturarbeit auch dem OKR die Einstellung der institutionellen Förderung ab dem 20. Juni 2000 eingebracht. Zwar konnten Zinserträge von Altvermögen und Einnahmen aus Publikationen die Arbeit der Stiftung weiter gewährleisten, aber nur mit erheblichen Einschränkungen im Personalbereich - sechs von acht hauptamtlichen Mitarbeitern mußten ausscheiden.

Um weitere Substanzverluste zu vermeiden und Kräfte zu bündeln, wurde mit der „Kulturstiftung der deutschen Vertriebenen“ zum 1. Januar 2001 eine Arbeitsgemeinschaft „Deutsches Kulturerbe des Ostens“ gebildet.

Über ein halbes Jahrhundert nach der Vertreibung ist es einfach nicht mehr vertretbar, daß reich vorhandene Fachkompetenz zersplittert wird und man nebeneinanderher arbeitet. Letzteres führte in der Vergangenheit beispielsweise dazu, daß in den 90er Jahren in Berlin thematisch ähnliche Lehrerseminare des OKR und der Kulturstiftung im Abstand von zwei Wochen stattfanden.

Kuratorium und Stiftungsrat des OKR plädierten auch angesichts solcher Fehlentwicklungen vor zwei Wochen mit großer Einmütigkeit für eine baldige Fusion beider Organisationen und auch für eine Zusammenarbeit mit Einrichtungen, die vom Bund in den letzten Jahren neu geschaffen wurden. Hier ist zuvorderst das „Deutsche Kulturforum östliches Europa“ in Potsdam zu nennen.

Im Gegenzug sollte die Bundesregierung bei allem Drang zur Neuordnung anerkennen, daß die über Jahrzehnte angehäuften Erfahrungen des OKR und der Kulturstiftung bei der ostdeutschen Kulturarbeit unverzichtbar sind.

Vielleicht fällt dies leichter, wenn man sich bald in Berlin oder anderswo in Mitteldeutschland häufiger über den Weg läuft. Der OKR-Sitz Bonn war historisch begründet und bis zur Wende unbestritten. Seit der Wiedervereinigung erscheint er wegen der Entfernung zu den Entscheidungszentren an der Spree und erst recht zu den früheren Ostprovinzen als Anachronismus.

 
     
     
 
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