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Neuauflage in Wien

 
     
 
Nachdem Bundespräsident Klestil schon beim Opernball Bundeskanzler Schüssel neben sich in der Staatsloge zu erdulden hatte, mußte er ihn tags darauf in der Hofburg neuerlich empfangen - zur Angelobung einer ÖVP-FPÖ-Regierung, die er wie vor drei Jahren vergeblich zu verhindern gesucht hatte. Der Opernball verlief übrigens ohne echte Höhepunkte, und Pamela Anderson fand eindeutig mehr Aufmerksamkeit als Madeleine Albright.

Das Kabinett Schüssel II ist in personell
er Hinsicht mehrheitlich identisch mit der bisherigen Regierung. Die Ressortverteilung spiegelt allerdings die Stimmengewinne der ÖVP und die Verluste der FPÖ wider. Da Schwarz-Blau in beiden Parteien nicht unumstritten war und ist, wirken einige der Neubesetzungen wie Trostpflästerchen: So etwa wurde der Neffe des Ministerpräsidenten von Niederösterreich Landwirtschaftsminister, und die Schwester von Jörg Haider, bisher Mitglied der oberösterreichischen Landesregierung, übernimmt ein Staatssekretariat.

Nicht nur Regierungskritiker fragen sich, warum die Verhandlungen mehr als drei Monate dauern mußten. Die FPÖ hatte sich sofort nach den Wahlen zur weiteren Zusammenarbeit mit der ÖVP bekannt, zur "kleinen Koalition". Dennoch ging Bundeskanzler Schüssel nach den üblichen Sondierungsgesprächen seine eigenen selbst für Parteifreunde undurchschaubaren Wege.

Eine Weile schien es, als würde es zur Auferstehung der "großen Koalition" mit der SPÖ kommen. Beide Seiten lobten das Verhandlungsklima, und Schüssel lobte den SPÖ-Chef Gusenbauer, während andere den "starren" linken Flügel der SPÖ kritisierten. Diese Taktik von verteiltem Lob und Tadel hatte auch nicht unwesentlich zur Spaltung der FPÖ beigetragen. Starken Druck für Schwarz-Rot gab es von einigen ÖVP-Größen sowie von Medien und aus der Präsidentschaftskanzlei. Klestil hatte sogar die Geschmacklosigkeit, vom Europaparlament aus in englischer Sprache seine Ratschläge nach Wien zu schicken.

Dann kam es zu intensiven Verhandlungen mit den Grünen. Wieder gab es viel gegenseitiges Lob, und zur medialen Unterstützung war sogar der Alt-Supergrüne Daniel Cohn-Bendit angereist. Aber zur "kleinsten Koalition" reichte es nicht. Einiges deutet darauf hin, daß Schüssel von Anfang an eine Minderheitsregierung erwogen hatte: Nachdem die drei anderen Parteien in den Verhandlungen offenlegen mußten, welchen Maßnahmen sie zustimmen würden, hätte Schüssel sie je nach Bedarf beim Wort nehmen können, um schließlich in vorgezogenen Neuwahlen die absolute Mehrheit zu erlangen. Ganz nach dem Rezept von Kreisky 1970/71.

Die Koalition mit der FPÖ ist für die ÖVP nur vordergründig der bequemste Weg, denn es gibt atmosphärische Belastungen: Die ÖVP-Stimmengewinne waren fast gänzlich zu Lasten des Koalitionspartners gegangen. Finanzminister Grasser, der während der Krise von der FPÖ zu Schüssel übergelaufen war, bleibt im Amt. Schüssels Verhandlungstaktik ließ den Eindruck entstehen, die FPÖ sei nur dritte Wahl. Und der FPÖ-Chef und neue Vizekanzler Haupt mußte einigen FPÖ-Kernthemen öffentlich abschwören, darunter auch der Veto-Drohung gegen den EU-Beitritt der Tschechei. Damit sind die Vertreibungs-Dekrete wohl endgültig Rechtsgut der "Wertegemeinschaft" geworden.

Die FPÖ ist allerdings in einer prekären Lage, denn die Stimmenverluste bedeuten dementsprechend dramatische Einbußen bei der Parteienfinanzierung. Ein neuerlicher - vorgezogener - Wahlkampf wäre verhängnisvoll. Die innerparteilichen Richtungskämpfe, die keineswegs beendet sind, könnten auch zu der immer wieder kolportierten "CSU-Lösung", nämlich zur Abspaltung der Kärntner von der Bundespartei führen.

Polit-Duo: Einen neuen Versuch der gemeinsamen Regierung in Österreich starten Wolfgang Schüssel (ÖVP) und Herbert Haupt (FPÖ).
 
     
     
 
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