|  | Zwei Generationen haben sie sich     abgeschuftet, um aus dem Elend herauszukommen. Diszipliniert und beispielhaft fleißig     haben sie sich nachgerade eigenhändig aus dem Dreck gewühlt. Und jetzt wird ihnen     mitgeteilt, daß alles verloren ist, daß sie noch mal von vorn anfangen können. Schlecht     kann einem werden beim Gedanken an die Millionen Familien von Korea  bis Indonesien, die     zur Zeit eine Tragödie durchmachen, die im schnöden Nachrichtendeutsch als     "Asienkrise" abgehakt wird. 
 Natürlich bewegt die Deutschen neben purem Mitleid mit den betroffenen Menschen in     Ostasien die bange Frage, ob der "asiatische Virus" übergreifen kann auch auf     Europa  so wie einst der Börsenkrach in den USA 1929 auch unserem von     "Versailles" ohnehin schwer verwundeten Land, das Genick brechen sollte.     Experten sind sich da noch uneins. Fest steht nur: Völlig ungeschoren kommt niemand     davon, auch wir nicht. Dabei können sich die Deutschen glücklich schätzen, daß die     gepriesene "Globalisierung", die engst mögliche Verflechtung aller     Volkswirtschaften, noch nicht soweit fortgeschritten ist, wie ihre Verfechter es gern     gehabt hätten. Sie sollte uns alle reicher machen, statt dessen hätte eine noch     weiterreichende Globalisierung im Moment nur dafür gesorgt, daß die asiatische Krise wie     ein Pfeil um die ganze Erde geschossen wäre.
 
 Jetzt wird allerorts auf einmal beruhigt festgestellt, daß Ostasien nur eine     untergeordnete Rolle im deutschen Außenhandel spielt, noch vor wenigen Monaten wurde von     gleicher Stelle dieselbe Tatsache als schwerer Nachteil gewertet. Wie sich die Zeiten     ändern.
 
 Aber was noch nicht ist, kann noch werden, will heißen: Das Desaster muß durchaus     nicht auf den Fernen Osten beschränkt bleiben, zumal die "Hilfe" des     Internationalen Währungsfonds (IWF) an die krisengeschüttelten Nationen sich als     Bumerang erweisen könnte. Experten meinen gar wie der Asienkenner und     Ex-US-Außenminister Henry Kissinger, daß die Medizin schlimmer sein könne als die     Krankheit: Allerorten gehen die Investitionen rasant zurück, Baukräne werden vor     halbfertigen Gebäuden stillgelegt, Ausgaben radikal gekürzt, die Konjunktur scheint     zusammengebrochen. Ausgerechnet in dieser Situation den betroffenen Staaten, wie der IWF     es tut als Bedingung für seine Beihilfen, eine strenge Haushaltsdisziplin aufzuerlegen,     verschlimmert die Lage nur noch. Das gleiche gilt für die schärfere Beaufsichtigung von     Banken (die ohnedies straucheln), ohne daß für die Sicherheit der eingelegten Gelder von     Privatkunden ausreichend Vorsorge getroffen wird. Das kann die Panik bloß weiter     steigern.
 
 In Ostasien wird daher der Vorwurf laut, der IWF betätige sich nicht als Retter,     sondern als Aasgeier im Dienste "westlicher" Banken und Großkonzerne. Diese     Behauptung ist gar nicht mal so abwegig: Erst jetzt kann sich, durch den Währungsfond     unterstützt, die internationale Hochfinanz an asiatischen Konzernen, Banken oder     Immobilien bedienen wie an Billigwaren auf dem Wühltisch. Der IWF gibt die Losung aus,     die Asiaten müßten sich jetzt "öffnen für den freien Wettbewerb". Das klingt     gut, doch in der Praxis heißt dies zur Zeit nichts als Ausverkauf. Nach dem rapiden     Verfall der Börsenkurse, der Immobilienpreise und der asiatischen Währungen kann man     sich für lächerliche Dumpingpreise dort einkaufen. "Dieses Programm läßt sich nur     als Sozialismus zugunsten von Banken und Konzernen bezeichnen", kommentiert bitter     "Wirtschaftswoche"-Chefredakteur Stefan Baron.
 
 Im Moment sind alle Blicke auf Hongkong gerichtet. Noch ist die Währung der einstigen     britischen Kolonie fest an den US-Dollar gebunden. Doch wie lange noch? Wenn der     Hongkong-Dollar freigegeben werden muß und ins Rutschen kommt, dann, so wird befürchtet,     knallt es in ganz China. Schon jetzt befindet sich das Land nahe am Absturz. Von bis zu     150 Millionen Arbeitslosen (an die 20 Prozent also) ist die Rede. 300 000 marode     Staatsbetriebe dämmern vor sich hin und können nur mit Regierungsgeldern am Leben     erhalten werden. Wenn jetzt die dringend benötigten Investitionen aus Hongkong in den     wenigen "Boomtowns" wie etwa Schanghai ausbleiben sollten, kann das völlig     unabsehbare Folgen haben.
 
 In den USA übrigens hat sich das private Aktienvermögen seit 1987 verzwanzigfacht,     gleichzeitig stieg die private Verschuldung erheblich. Das riecht nach gewaltiger     Spekulation auf ewig weiter steigende Börsenkurse. So und nicht anders sah es schon     einmal aus  am Vorabend der größten Weltwirtschaftskrise aller Zeiten.
 
 
 
 
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