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Pjöngjangs Polit-Poker

 
     
 
Es ist schon auffällig: Von Zeit zu Zeit, etwa im Abstand von ein bis zwei Monaten, kommen aus Nordkorea Details über die Nuklearfähigkeit dieser Diktatur. Man vermutet, daß das Land mit dem psychopathischen Diktator Kim Jong Il über zwei Atombombe
n verfügt, genug, um die Millionenstädte Seoul oder Tokio einzuäschern. Zuerst wurden die Inspektoren der Atomkontrollbehörde aus dem Land verwiesen, dann stieg man selber aus dem Atomwaffensperrvertrag aus, und jetzt verlangt die kommunistische Diktatur von den USA einen Gewaltverzicht, also freie Hand bei der Erpressung der Nachbarschaft. Entweder ist die Lage bei der Energieversorgung wirklich so verzweifelt, daß Pjöngjang mit der Reaktivierung des Atommeilers von Jongbyon und dem Pokerspiel mit seinem Nuklearprogramm mehr Öl und Nahrungsmittel erpressen will, oder die steinzeitkommunistische Diktatur ist größenwahnsinnig geworden.

Nordkorea hungert. Und das seit Jahren. Wer aus dem isolierten Land herauskommt, berichtet von unterernährten Kindern, militarisierten Schulen und einer Funktionärskaste, die den Schweinen in Orwells "Farm der Tiere" gleicht. Die Welt war bereit zu helfen. Amerika liefeRohöl gegen die Zusicherung, daß das Nuklearprogramm eingestellt würde. Das lief ein paar Jahre gut, bis Pjöngjang im Herbst 2002 zugab, ein geheimes Nuklearprogramm zu unterhalten. Jetzt tun sie das sogar ganz offen.

Die Situation ist krisenreif. Und wie bei jeder Krise gibt es ein Zeitfenster. Im Fall Nordkorea beträgt es etwa ein Jahr. Dann könnte, falls nichts geschieht, Pjöngjang die Brennstäbe aus dem reaktivierten Atommeiler bearbeitet, militärisch nutzbares Plutonium gewonnen haben und über eine industrielle Anlage für Atombomben verfügen. Es gibt zusätzlich noch zwei weitere Reaktoren mit ungleich höheren Kapazitäten. Wenn sie erst einmal funktionieren, wird die Diktatur in zwei Jahren mehr als fünfzig Atombomben bauen können.

Die für ein abschreckungsfähiges Nuklearprogramm benötigten Trägerraketen haben die Nordkoreaner zur Genüge. Sie exportieren sie sogar, ebenfalls schon seit Jahren, vor allem in den Nahen Osten. Das letzte Beispiel ist noch in frischer Erinnerung. Scud-Raketen, mit denen chemische, biologische und nukleare Bomben über einige hundert Kilometer ins Ziel getragen werden können und von denen jüngst ein Dutzend in den Jemen exportiert wurde, hätte genauso gut nach Bagdad oder Damaskus unterwegs sein können. Sowohl Syrien als auch der Irak und der Iran sind in den letzten Jahren von Nordkorea mit Raketen beliefert worden. Alle vier Länder stehen auf der Liste der sogenannten "Schurkenstaaten", also Staaten mit ausgeprägten Sympathien für den internationalen Terrorismus und mit Regierungen, die von Menschenrechten ziemlich wenig halten.

Die Krise muß also innerhalb des nächsten Jahres gelöst werden. Entweder man kommt zu der Vereinbarung von 1994 zurück, oder das Jahr 2003 erlebt genau ein halbes Jahrhundert nach dem Korea-Krieg eine Zuspitzung mit ungewissem Ausgang. Heute ist die Lage freilich anders als vor fünfzig Jahren. Diesmal hat China ein Interesse daran, den Krisenherd einzudämmen. Nordkorea gehört zu Pekings Einflußgebiet. Die Chinesen würden ihre internationale Glaubwürdigkeit, auf die sie sich einiges einbilden, riskieren, was auch wirtschaftliche Folgen haben könnte. Schon jetzt ist Washington mißtrauisch geworden, weil ein Teil des nuklearen Know-hows der Nordkoreaner und insbesondere die Fertigkeiten beim Raketenbau aus China kamen. Hinzu kommt der Argwohn, daß Peking nicht nur Pjöngjang, sondern auch Kairo mit Raketentechnologie bedient, vielleicht sogar mit Kenntnissen im Nuklearbereich. Auf jeden Fall hat man in Washington sehr genau registriert, daß der ägyptische Präsident Mubarak die Zusammenarbeit mit China forciert und Veröffentlichungen über die Absicht Kairos, die Bombe zu bauen, nicht dementiert hat. Diese Veröffentlichungen waren über die westlichen Geheimdienste in größeren Zeitungen lanciert worden - eine Art Test für Mubarak.

Auch die Russen sind an einer unkalkulierbaren Krise im asiatischen Nachbarschaftsraum nicht interessiert. Auf der Halbinsel Kamchatka unterhalten sie Basen für Atom-U-Boote, die im Radius der nordkoreanischen Raketen liegen. Diese U-Boote sind für Moskau das letzte Mittel, um geostrategisch mit Amerika Schritt zu halten. Denn mit dem Bau eines weltraumgestützten Raketenabwehrsystems läuft Amerika der Welt sicherheitspolitisch davon, das einzige Gegenmittel wären atomar bestückte modernste Unterseekreuzer, die von Satelliten nicht erfasst werden und sich auch unter Wasser so leise fortbewegen, daß sie nicht geortet werden können. In den Bau dieser U-Boot-Flotte investiert Moskau auch unter Putin erhebliche Mittel. Das will man sich durch einen Randstaat wie Nordkorea nicht gefährden lassen.

Mehr noch als die Amerikaner dürften sich die beiden Nuklear-Großmächte China und Rußland im neuen Jahr also der Entwicklung auf der koreanischen Halbinsel annehmen. Schon um Washington seine weltpolitischen Grenzen zu markieren. Moskau und Peking sind da nicht zimperlich. Für die Europäer ist das allerdings kein Grund, sich gelassen zurückzulehnen. Die Krisenlöser werden sich ihre Dienste honorieren lassen. Denn wenn die Krise als Pokerspiel endet, wird irgendjemand das Öl und die Nahrungsmittel für Nordkorea bezahlen müsse
 
     
     
 
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