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Plädoyer gegen deutsch-polnische Geschichtsklitterung:

 
     
 
Die Geschichte könnte die große Lehrmeisterin der Gegenwart sein, sie könnte helfen die Zukunft zu gestalten. Es ist interessant, sich mit Geschichte zu befassen, aber e bringt auch Verdruß. Zum Beispiel in bezug auf das deutsch-polnische Verhältnis.

Man kennt die gebetsmühlenhaften Beschwörungen der Verständigung. Doch trot einschneidender Veränderungen seit dem Jahr 1989, dem Annus mirabilis, als Mauern un sonstige absurde Trennungen inmitten Europas weggefegt wurden, ist noch immer Befangenhei in der Betrachtung der historischen Beziehungen festzustellen.

Auf deutscher Seite trübt das Schuldbewußtsein angesichts des von Deutsche ausgelösten und verlorenen Krieges den Rückblick, auf polnischer Seite sind es die Schuldgefühle für die Vertreibung. In der Bundesrepublik scheint man es am bequemsten zu finden, sich gleich ganz von der Geschichte abzuwenden. Diese wird radikal verkürzt, u ein Bild der Vergangenheit konstruieren zu können, das mit der üblichen Political Cor rectness in Einklang zu bringen ist. Aber gerade zur Jahrtausendwende kann übe bedeutende historische Gestalten nicht hinweggesehen, über herausragende Ereignisse nich hinweggeschwiegen werden.

In Polen ist unter der Herrschaft der Sowjets 50 Jahre lang Haß gegen das Nachbarvol im Westen geschürt worden. Der Publizist Adam Krzeminki bezeichnete die Angst vor de Deutschen als "Mörtel des stalinistischen
Imperiums". Nach de Nachbarschaftsvertrag vom 16. Januar 1992 wurden dann endlich auch dort neue Denkansätz öffentlich zugänglich, wo jahrzehntelang Tabuzonen jede Bewegung verhindert hatten.

Texte wie Jan Jozef Lipskis "Zwei Vaterländer, zwei Patriotismen", der Jahr zuvor in der Pariser Emigranten-Zeitschrift "Kultura" erschienen war, erregte nun auch in Polen großes Interesse. Vor allem blieben Plädoyers wie das Lipskis fü Toleranz und die gemeinsame Sorge um das Kulturerbe nicht folgenlos.

Eine wissenschaftliche Kommission unter der Leitung von Artur Hajnicz befaßte sic sogar mit dem nach wie vor heiklen Komplex der Vertreibung der Deutschen aus den von Pole "übernommenen Gebieten". Diese Umschreibung von Hajnicz (siehe dessen 199 erschienenes Buch "Polens Wende und Deutschlands Vereinigung") markierte de öffentlichen Abschied vom Mythos der "wiedergewonnenen" piastischen Gebiete.

Auf die Massenmedien haben all diese Erkenntnisse jedoch nur wenig Einfluß genommen Blättert man heute in polnischen Publikationen, so ist zumindest festzustellen, daß da Mißtrauen den Deutschen gegenüber geblieben ist.

Aber der manipulierte Umgang mit historischen Realitäten gehört auch im heutige Deutschland zum Medienalltag. Hier ist die Vergangenheit Ritualen der Selbstdemütigun unterworfen. Sogar das Mittelalter wird durch das Prisma der tragischen Erfahrungen de 20. Jahrhunderts reflektiert. Die ruhmreiche deutsche Geschichte des Hochmittelalter paßt manch einem offenbar nicht ins Bild. Denn es gehört sich heute nicht, stolz au deutsche Geschichte zu sein.

In dem ansonsten facettenreichen "Stern-Millennium" (Nr. 3) und de FAZ-Beilage "Bilder und Zeiten. Das Jahrtausend" (24.4.99), taucht in de Abhandlungen zum 13. Jahrhundert die deutsche Ostsiedlung mit keinem Wort auf. Damit wir eine der größten zivilisatorischen Leistungen der Deutschen in der Geschichte Europa einfach unterschlagen. Man fragt sich, warum. Wahrscheinlich war auch hie "politische Korrektheit" die Triebfeder – vielleicht, weil die Autore fürchteten, die geschichtliche Realität könnte unbequeme Fragen aufwerfen oder gar ein breitere Diskussion um die Vertreibung der Deutschen entfachen.

Konsequenterweise wird oft auch die überaus reiche Geschichte und Kultur der Deutsche jenseits von Oder und Neiße der politischen Voreingenommenheit geopfert. Damit gerä gleichzeitig das fruchtbare Zusammenwirken der Völker im östlichen Raum in Vergessenheit. Also eben genau das, worauf man sich heute im zusammenwachsenden Europ eigentlich stützen könnte und sollte.

Eine beeindruckende Objektivität beweist demgegenüber der polnische Historiker Jerz Krasuski, der bereits in seiner markanten Publikation "Polacy in Niemcy" (Pole und Deutsche) von 1970 den Mut zeigte, übliche deutschfeindliche Mythen zu widerlegen.

In seinem 1998 erschienenen Buch über die Geschichte der Deutschen ("Histori Niemiec") schreibt Krasuski ganz offen, daß die meisten polnischen Städte – allen voran Posen und Krakau – im 13. und 14. Jahrhundert deutsch waren und de Prozeß der Polonisierung der meisten Städte Polens bis ins 19. Jahrhundert andauerte. E wendet sich auch gegen das Schreckgespenst von den blutrünstigen Ordensrittern, in dere Tradition dann angeblich die SS stand. Krasuski weist darauf hin, daß die Unterwerfun der Prussen durch den Deutschen Orden durchaus nicht grausamer war als vergleichbar Kämpfe im Mittelalter. Und er zeigt, daß auch Polen daran teilgenommen haben.

An einer Vernichtung der ansässigen Bevölkerung sei der Orden überhaupt nich interessiert gewesen, betont der Historiker. Im Gegenteil: Die Menschen wurden gebrauch und durch Neusiedler ergänzt, die später die Einheimischen friedlich assimilierten. Die anderen slawischen Stämme wie die Pomoranen und die slawischen Schlesier seien ohnehi friedlich im Deutschtum aufgegangen. Weiter lesen wir bei ihm, die deutschen Siedle – aus wirtschaftlichen Gründen von Fürsten und kleineren Feudalherren ins Lan gerufen – hätten den technischen Fortschritt mitgebracht und das Gemeinwesen gu organisiert. Beides ist bekannt, aber es tut gut, das von einem polnischen Historike bestätigt zu bekommen.

Aber Jerzy Krasuski schreibt auch mit einer Unbefangenheit über Grundzüge deutsche Geschichte, wie es zur Zeit vielleicht nur Ausländer fertigbringen: "Die Deutsche erfuhren in ihrer Geschichte drei Katastrophen: Die erste war der Niedergang de Hohenstaufen, der im Grunde gleichzeitig der Niedergang des mittelalterlichen Kaisertum war, die zweite der Dreißigjährige Krieg und seine Folgen, die dritte – zwe verlorene Weltkriege und der Verlust in tausend Jahren eroberter östliche Landschaften."

In einem Europa, das den Völkern ein gemeinsames Haus bieten möchte, ist es geboten die kulturellen und zivilisatorischen Gemeinsamkeiten sowie die ethnischen Verflechtunge hervorzuheben und zu reflektieren. Um so bedauerlicher ist es, wie selten heut beispielsweise daran erinnert wird, daß Otto III. im Jahre 1000 den polnischen Köni Boleslaw am Grabe des Heiligen Adalbert in Gnesen zum "Bruder und Mitarbeiter a Reich" ernannt hat.

Bekannter sind eheliche Bindungen wie die des Piasten Heinrich des Bärtigen vo Schlesien mit der heiligen Hedwig aus dem Hause Andechs. Doch wer kennt schon da romanhafte Schicksal Richesas, der Tochter Wladyslaw "des Vertriebenen", die in erster Ehe den spanischen Kaiser ehelichte und deren Tochter Konstanze von Aragon war, die Mutter des Hohen-staufen-Kaisers Friedrich II.

Deutsche und Westslawen haben sich im Zuge der Christianisierung untrennbar vermisch und gehören einem Kulturkreis an. In welchen Proportionen diese Osmose der Völke stattgefunden hat, ist schwer nachzuvollziehen. Aber sie ist eine bedeutsame historisch Realität. Auch bei vollem Bewußtsein späterer Entwicklungen, die den Nationen ihr spezifischen Prägungen verliehen haben, kann das Wissen um ein gemeinsames ethnisches un kulturelles Erbe eine tragfähige Grundlage der Annäherung und Zukunftsgestaltung sein.

Solches wäre um so nötiger, als viele Polen befürchten, mit dem EU-Beitritt könnt die Präsenz der Deutschen in ihren ehemaligen Ostgebieten und ihrem historische Einflußbereich übermächtig werden. Hier fehlt die Einsicht, daß die Deutschen zur Zei ein Volk ohne nationales Selbstbewußtsein sind – ein "kranker Riese", wi die englische "Times" feststellte.

Echten Anlaß zur Sorge gibt die Möglichkeit, diese Niedergeschlagenheit der Deutsche könnte dazu führen, daß sie ihre erneute Verantwortung im Osten allzu zögerlic wahrnehmen. Allen Betroffenen würde das immens schaden.

Wünschenswert wäre eine Europäisierung aufgrund gemeinsamer christliche Traditionen, also ein positives Zurück zur Vergangenheit. Nicht unwahrscheinlich ist abe eine Entwicklung, die das neue Europa im Zeitalter der Globalisierung zu einer noc stärkeren Amerikanisierung hinführt. Ob das den Untergang des Abendlandes bedeutet bleibt abzuwarten.

Die Zukunft wird anders sein, als wir es uns denken. Aber wir sollten nicht versäumen sie mitzugestalten. Die Geschichte kann dabei helfen.

Renata Schumann wuchs in Oberschlesien auf, promovierte 1979 in Breslau über "Da Bild der Deutschen in der polnischen Literatur" und siedelte 1983 in die Bundesrepublik aus. Als Schriftstellerin machte sie sich hier vor allem durch de Erzählband "Muttersprache – Oberschlesische Geschichten" (1993) und de Roman "Ein starkes Weib – Das Leben der Hedwig von Schlesien" (1996) eine Namen
 
     
     
 
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