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Prämien für Systemtreue

 
     
 
Als das Bundesverfassungsgericht Ende April die Rentenkürzungen für ehemalige Angehörige der Zusatz- und Sonderversorgungssysteme der DDR in einigen Punkten für verfassungswidrig erklärte, hätten die Reaktionen unterschiedlicher nicht sein können. Die einen sprachen von Verhöhnung der Opfer, von Rentengeschenken für die Stützen der Diktat
ur. Andere gaben zu bedenken, die Urteile trügen zum "Zusammenwachsen" der Republik bei, versprachen sich eine "befriedende Wirkung". Die PDS schließlich begrüßte die Urteile. Die "demokratischen Sozialisten", die es geschickt verstehen, sich zu Opfern zu stilisieren, sich als Hüter der Verfassung darzustellen, hatten das geltende Rentenrecht als Diskriminierung bezeichnet. Sie redeten nun von überfälliger "Anerkennung von Lebensleistungen".

Angesichts dieser unverschämten Sophisterei ist die Verbitterung derjenigen, die unter der sozialistischen Diktatur gelitten haben, verständlich. Tatsächlich erweist sich das Grundgesetz erneut als Segen für die, die es früher scharf bekämpft haben. Gewisse DDR-Eliten kommen in die finanzielle Obhut eines wirtschaftlichen Systems, das sie nicht politisch akzeptiert haben.

Die alte Regierung war mit den Rentenkürzungen ein verfassungsrechtliches Risiko eingegangen. Doch wurden die DDR-Nomenklaturkader keineswegs der Verelendung preisgegeben. Im Einigungsvertrag ist 1990 vereinbart worden, daß bei der Überleitung der 63 DDR-Zusatz- und vier Sonderversorgungen "ungerechtfertigte Leistungen abzuschaffen und überhöhte Leistungen abzubauen" seien. Dieser Grundsatz der Rentenüberführung, und das ist das Entscheidende an den jüngsten Urteilen, ist verfassungsgemäß. Der Erste Senat hat auch die Prämisse des Gesetzgebers nicht beanstandet, die Sonderversorgung der Beitragsbemessungsgrenze zu unterwerfen.

Kritisiert haben die Karlsruher Richter aber weitere pauschale Kürzungen. Die Kläger, ehemalige Bürger der DDR, die für ihre Alterssicherung eine Sonderversorgung von neunzig Prozent des letzten Nettolohnes erhielten, sahen sich in ihrem Eigentumsrecht verletzt und rügten einen Verstoß gegen den Gleichheitsgrundsatz. Mit den Rentenkürzungen sowie der festgelegten Höchstgrenze von 2700 DM betreibe der Gesetzgeber Vergangenheitsbewältigung mittels des wertneutralen Sozialversicherungsrechts. Der Erste Senat folgte dieser Auffassung teilweise. Die Ansprüche der Sonderversorgten genießen den Schutz der Eigentumsgarantie. Hohe Arbeitsentgelte seien nicht notwendig überhöhte Entgelte. Das geltende Berechnungssystem sei unvereinbar mit dem Gleichheitsanspruch, da es die Sonderversorgten gegenüber den "normalen" Rentnern aus dem Osten benachteilige. Die Vorgabe des Gesetzgebers, es handele sich schließlich um Repräsentanten eines Unrechtssystems sei verständlich, aber nicht sachlich.

Was heißt sachlich? Der Erste Senat selbst hat das Anliegen des Gesetzgebers, politisch motivierte Arbeitsentgelte nicht in die Rente einfließen zu lassen, ausdrücklich gebilligt. Die Entscheidungen, die in Karlsruhe zu treffen waren, setzten also ein Abwägen voraus: Inwieweit war das Leistungssystem der DDR intakt? Wann war "Leistung" bloß politische Treue? Stand jede "Sonderleistung" im direkten Dienst der Diktatur?

Zwei Millionen Menschen sind betroffen. Ein Problem mancher Bewertung liegt darin, daß zu schnell von "den" DDR-Eliten gesprochen wird. Zu den Begünstigten der Rentenversorgung zählten aber sehr unterschiedliche Personengruppen: wissenschaftliche Intelligenz, Mediziner, Kindergärtnerinnen, Künstler …, aber eben auch Angestellte des Staatsapparates sowie Angehörige der Staatssicherheit. …

Die Urteile haben politische Folgen. Und dennoch ging es den Richtern vor allem um Neutralität. Sie wollten den Vorwurf eines politischen "Rentenstrafrechts" aus der Welt schaffen. Karlsruhe gab deshalb ein ungerecht wirkendes und teures, nichtsdestotrotz souveränes Exempel der Überlegenheit des Rechtsstaates.

Das Grundgesetz schützt auch seine Feinde. Die PDS hat bereits angekündigt, die Möglichkeiten des Rechtsstaates noch intensiver zu nutzen. Von einem "BRD-Unrechtsstaat" und "Siegerjustiz" kann zwar nun keine Rede mehr sein, und vielleicht wird das Vertrauen in die Verfassungsorgane unter den ehemaligen DDR-Eliten tatsächlich wachsen.

Aber der Preis ist hoch. Die BVG-Urteile bedeuten eine nachträgliche Rehabilitierung der DDR. Erst als die Karlsruher Richter Gerechtigkeit für Täter forderten, war Bonn schnell bereit, diese Gerechtigkeit auch den Opfern des Kommunismus zu gewähren. Deren Lebensleistung muß endlich anerkannt werden. Immerhin haben gerade sie dazu beigetragen, daß die alten DDR-Eliten nun eine Rente in harter Währung und nicht in wertloser DDR-Mark erhalten. Die Opfer aber kämpfen meist erfolglos um höhere Versorgungsansprüche. Die Gelegenheit, sie zu erwerben, hatte ihnen die sozialistische Diktatur genommen.

Politische Häftlinge, die nur die halbierte Haftentschädigung für die grauenhaften Jahre in den Arbeitslagern erhalten, die Opfer politischer Repression in der DDR, die weder die Ellenbogenmentalität noch eine einflußreiche Lobby besitzen, um ihre Interessen juristisch durchzusetzen, gebührt jetzt die Aufmerksamkeit. Die berechtigten Versorgungsansprüche dieser Menschen müssen wirksam von der Politik vertreten werden. Erst dann ist das Rentenrecht wirklich gerecht – und neutral.

 
     
     
 
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